FDP muss in Hamburg zittern: Nach dem „Fiasko von Thüringen“ war fast nichts mehr zu holen
Hamburgs Liberale müssen für den Tabubruch ihrer Parteifreunde in Thüringen büßen. Auch der FDP-Bundesvorsitzende geht geschwächt aus der Wahl hervor.
Aus dem Applaus spricht wohl eher die Hoffnung als echte Freude über das Wahlergebnis. Es ist Sonntagabend, draußen regnet es in Strömen, drinnen im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ist die Luft warm und trocken. Rund 60 FDP-Anhänger verfolgen hier gemeinsam die erste Hochrechnung der ARD: 5,0 Prozent zeigt der gelbe Balken der FDP um 18 Uhr. Ob die Liberalen den Wiedereinzug ins Hamburger Landesparlament schaffen, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.
Dennoch klatschen die Menschen im Foyer der FDP-Zentrale spontan – als wollten sie zu sich selbst und ihren Hamburger Parteifreunden sagen: Wacker geschlagen. Die FDP hat im Vergleich zur Wahl von 2015 zwar deutlich verloren. 7,4 Prozent der Stimmen hatten sie vor fünf Jahren in Hamburg geholt. Jetzt werden es mehr als zwei Prozentpunkte weniger.
Lindner zeigt sich zerknirscht
Doch zumindest der Absturz ins Nichts, weit unter die parlamentarische Hürde, ist den Freidemokraten erspart geblieben. Es besteht sogar die Chance, dass sie die sieben Mandate in der Bürgerschaft halten können – und die Wahl einen „erfreulichen Ausgang finden wird“, wie Parteichef Christian Lindner am Wahlabend sagt.
Eine halbe Stunde nach der ersten Hochrechnung tritt er vors Publikum. „In Hamburg haben wir heute verloren“, eröffnet Lindner seine Rede. „Das ist für die Freien Demokraten eine Niederlage. Wir haben uns dort mehr erhofft.“
Das Statement, das der 41-Jährige mit ernstem Gesicht vorträgt, ist knapp. Etwas mehr als drei Minuten spricht er, zeigt sich zerknirscht. Man brauche an diesem Abend „wieder starke Nerven“, sagt Lindner. Das Zittern um den Einzug gehört inzwischen wieder dazu an Wahlabenden der FDP. In Thüringen war es bei der Landtagswahl im Oktober so, ähnlich knapp ist es jetzt in Hamburg.
Die aktuellen Verluste der Hamburger FDP erklärt Lindner vor allem mit dem „Fiasko von Thüringen“ – der AfD-gestützten Wahl des Thüringer Liberalen-Chefs Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten vor zweieinhalb Wochen. Das Ereignis wirbelte nicht nur die Bundespolitik durcheinander, sondern ließ vor allem die Liberalen in der Hansestadt wie über Nacht in eine Art Ausnahmezustand fallen. Schnell rutschten sie in den Umfragen ab, auf unter fünf Prozent. Wochenlang hatten sie stabil bei mehr als sieben Prozent gelegen.
FDP-Spitzenkandidatin wollte sich distanzieren
Im Endspurt des Wahlkampfs musste die Hamburger FDP ihre Kampagne plötzlich gegen beispiellose Widerstände bestreiten. So sahen sich liberale Wahlkämpfer auf einmal heftigen Anfeindungen ausgesetzt – von Beschimpfungen an Infoständen bis zur Zerstörung ihrer Plakate.
Am Abend nach der Kemmerich-Wahl versammelten sich rund 1500 Demonstranten vor der FDP-Zentrale im Hamburger Stadtzentrum zu wütenden Protesten. „Ganz Hamburg hasst die FDP“, war an diesem Abend von den Demonstranten zu hören – Sprechchöre, mit denen sich normalerweise die Rechtspopulisten der AfD konfrontiert sehen und nicht die eher unauffälligen, bürgerlichen Hamburger Liberalen.
Da half es auch wenig, dass deren Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels noch am selben Tag der Kemmerich-Wahl diese als „unerträglich“ verurteilte – und zugleich eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschloss. „Das verspreche ich!“, twitterte sie.
Erklären mussten die Hamburger Freidemokraten allerdings, warum sie seit 2015 in der Bürgerschaft Dutzende AfD-Anträge mitgetragen haben. Man habe den Rechtspopulisten nicht die Chance geben wollen, sich als Opfer zu stilisieren, verteidigten sich die Liberalen.
Lindners Art zu sagen: Wir haben verstanden
Doch solche Erklärungen und Argumente konnten den in Erfurt entstandenen Image-Schaden vor der Hamburg-Wahl nicht mehr ausgleichen. Auch von Treuenfels’ Versuche, auf Distanz zur Bundes-FDP zu gehen, halfen nicht.
In der Bürgerschaft sprach sie in der letzten Aktuellen Stunde der Legislaturperiode mit Blick auf Thüringen von „schweren politischen Fehlern“ – und sagte über die FDP-Führung um Parteichef Lindner: „In Berlin, das sage ich ganz deutlich, hat es an einer unmittelbar klaren Haltung unserer Parteispitze gefehlt.“
Die Kritik greift Lindner am Wahlabend auf. „Wir haben schnell Klarheit geschafft“, verteidigt er sich rückblickend. Lindner hatte Kemmerich am Tag nach dessen Wahl zum Rückzug gedrängt und sich später im Bundestag im Namen der Partei entschuldigt. „Die FDP kooperiert nicht mit der AfD“, stellt Lindner am Wahlabend dann noch einmal klar – und erhält kräftigen Applaus.
Nun müsse wieder „Vertrauen wachsen nach einer solchen Situation“, schiebt er hinterher. Es ist Lindners Art zu sagen: Wir haben verstanden.
Stresstest für den Parteichef
Für den FDP-Vorsitzenden ist die Hamburg-Wahl der erste echte Stresstest nach dem Thüringen-Debakel. Deshalb betonte sowohl der Parteichef selbst als auch weitere prominente Freidemokraten im Vorfeld der Wahl immer wieder, dass Lindners Position unangefochten sei.
Auch wenn die Liberalen aus der Hamburger Bürgerschaft fliegen sollten, müsse Lindner zunächst keine persönlichen Konsequenzen befürchten, hieß es vorige Woche in der Partei: „Fliehkräfte wie in der CDU wird es bei uns nicht geben.“
Die Liberalen wollen unbedingt verhindern, dass der Tabubruch von Thüringen nicht nur der Hamburger FDP, sondern auch der Gesamtpartei nachhaltig schadet.
Aus der Thüringer FDP kommen indes gute Wünsche an die Hamburger Parteikollegen. „Wir hoffen sehr, dass unsere liberalen Freunde in Hamburg den Einzug in die Bürgerschaft packen“, teilt die Pressestelle der Thüringer FDP am Sonntagabend um 20 Uhr mit. „Vor uns allen liegt unglaublich viel Arbeit, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.“