Syrien-Geberkonferenz: Milliardenhilfen - damit die Flüchtlinge dort bleiben
Mit Milliardenhilfen will die Weltgemeinschaft das notleidende Syrien und seine Nachbarn unterstützen. Auch um den Andrang der Flüchtlinge zu begrenzen.
Mitmenschlichkeit und Eigennutz schließen sich nicht unbedingt aus. Das zumindest ist der Ansatz der Syrien-Geberkonferenz in London, zu der am Donnerstag viele Hilfsorganisationen sowie die Staats- und Regierungschefs von 70 Ländern zusammengekommen sind. Niemand will es so direkt sagen, aber natürlich geht es neben der Hilfe für 13,5 Millionen Menschen in Syrien auch darum, dass sich nicht noch mehr von ihnen auf den Weg nach Europa machen – indem etwa die humanitären Notprogramme der Vereinten Nationen endlich ausreichend finanziert werden. „Die Kürzungen, die durchgeführt wurden, waren unerträglich“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel in London. „Und haben die Menschen zur Flucht genötigt.“
Nun soll schnell vergessen gemacht werden, dass im vergangenen Jahr nur beschämende 53 Prozent der von den UN-Organisationen verlangten Geldmittel zusammenkamen – 3,86 statt der erbetenen 7,4 Milliarden US-Dollar. Angesichts der immer weiter eskalierenden Lage zum Beispiel in der Stadt Aleppo oder dem ausgehungerten Ort Madaja beläuft sich der für das laufende Jahr errechnete Hilfsbedarf auf fast neun Milliarden Dollar. Dieser Betrag wurde in London sogar noch etwas übertroffen, garniert mit dem vielleicht noch wichtigeren Versprechen, dass diesmal nicht nur zugesagt, sondern auch wirklich gezahlt werden soll.
"Langfristige Perspektiven"
Die Vertreterin Deutschlands, das den überwiegenden Teil der syrischen Flüchtlinge in Europa aufgenommen hat, bringt dementsprechend die größte finanzielle Zusage mit in die britische Hauptstadt. Eine Milliarde Euro für 2016 aus der deutschen Staatskasse soll nun die Fluchtursachen bekämpfen helfen, davon 570 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm – die Hälfte dessen, was von allen Staaten gefordert worden war. Bis 2018 wird die Bundesrepublik laut Merkel 2,3 Milliarden Euro bereitstellen, die für die Menschen in und um Syrien auch langfristige „Perspektiven eröffnen“ sollen. Mit anderen Worten: Bleibeperspektiven.
Es geht daher nicht allein um die angemessene Finanzierung der Nothilfemaßnahmen, sondern um Wiederaufbau und Entwicklungshilfe, also langjährige Verpflichtungen. „Selbst wenn der Krieg in Syrien morgen durch ein Wunder beendet würde“, sagt der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon als Mitveranstalter, „würden die Menschen dort noch jahrelang unsere Unterstützung benötigen.“
In bewegenden Worten schildert dann auch die Syrerin Rouba Mhaissen von der in einem libanesischen Flüchtlingslager tätigen Hilfsorganisation Sawa, was die dort Schutzsuchenden am ehesten für ein erträgliches Leben brauchen. „Sie bitten uns nicht um Essen, sondern darum, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken können.“ Von den 1,4 Millionen Kindern aus Syrien, die mit in die Nachbarstaaten geflohen sind, hat die Hälfte keinen Zugang zu Bildung. Für sie alle sollen bis Schuljahresende Mitte 2017 Schulen gefunden beziehungsweise gebaut werden. Auch die Berufsbildung gehört zu den Fördermaßnahmen. Merkel etwa kündigte 1900 Hochschulstipendien für syrische Flüchtlinge an. Für die zwei Millionen Kinder im Bürgerkriegsland selbst, die derzeit keinen Unterricht erhalten, will man sich zumindest um „mehr Zugang zu sicheren Lernorten“ bemühen.
Unterhalb der Armutsgrenze
Gerade die Vertreter der Nachbarstaaten Syriens machen klar, wie wichtig der von Merkel ausgerufene „Tag der Humanität und Hoffnung“ für ihre Länder ist. So berichtete Tammam Salam, Ministerpräsident des Libanon – dort machen eine Million syrische Flüchtlinge inzwischen fast ein Drittel der Bevölkerung aus – von stagnierendem Wachstum und zunehmender Armut, mithin also einer explosiven sozialen Gemengelage: „Bald kann mein Land einen Ausbruch nicht mehr verhindern. Es gibt ein echtes Risiko, dass die Flüchtlinge weiterziehen müssen.“ Ähnliches gilt für Jordanien, wo laut den UN 86 Prozent der Syrer, die nicht in Camps wohnen, unterhalb der Armutsgrenze leben. Jordaniens König Abdullah fordert daher „eine Investition in die Hoffnung, die in unserer Region nicht im Übermaß vorhanden ist“.
Für die Türkei hat die EU am Vorabend der Londoner Konferenz nach langem Streit mit Italien drei Milliarden Euro in diesem Sinne freigegeben. Für Libanon und Jordanien werden eigene Pakete geschnürt. Der britische Premier David Cameron kündigt entsprechende Handelserleichterungen an. So hatten die EU-Außenminister kürzlich darüber beraten, Waren „Made in Jordan“ bevorzugt auf den Markt zu lassen, wenn im Gegenzug syrische Flüchtlinge in dem Land legal eine Arbeit aufnehmen dürfen.
Doch selbst wenn das für Syrien zugesagte Geld bei den Hilfsorganisationen ankommt, so ist den Menschen damit noch nicht gleich geholfen. Denn ohne eine politische Lösung des Konflikts kann kaum gewährleistet werden, dass die Unterstützung in Form von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Trinkwasser die Bedürftigen erreicht. Die heftigen Kämpfe, überall errichtete Kontrollpunkte und zerstörte Straßen machen den Helfern zu schaffen. Zu Millionen Menschen haben sie nach wie vor kaum einen Zugang, weil die Kriegsparteien dies verhindern. Schätzungsweise bis zu 50 Städte werden wie Madaja belagert. Im Klartext heißt das, Hunger wird als Waffe eingesetzt.
Deshalb fordern die UN wie ihre Partnerorganisationen immer wieder, dass es umgehend eine Waffenruhe geben müsse. Dies sei die Voraussetzung dafür, die Notleidenden zu versorgen. Derzeit ist allerdings nicht mal daran zu denken, dass die Kampfhandlungen zumindest zeitweise unterbrochen werden. Die abgebrochenen Friedensgespräche in Genf sind kurz nach ihrem Beginn vertagt worden. Diplomaten gehen davon aus, dass eine Fortführung der Verhandlungen unter den jetzigen Bedingungen eher unwahrscheinlich ist. Die Oppositionsgruppen jedenfalls haben bereits deutlich gemacht: Sie werden erst nach Genf zurückkehren, wenn das Regime humanitäre Hilfe uneingeschränkt zulässt und die Angriffe auf Zivilisten einstellt. Danach sieht es derzeit nicht aus.
Aber ohne einen Waffenstillstand, den eine im Dezember verabschiedete UN-Resolution verlangt, werde man sich der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zufolge „im nächsten Jahr erneut treffen“. Dann könnte es, weil eine politische Lösung weiter fehle, um noch mehr Geld gehen. Auch UN-Chef Ban Ki Moon fordert, die Not der Menschen nicht zu vergessen: „Näher als in Syrien kommt man der Hölle auf Erden nicht.“