Coronakrise und Bürgerwut: Merkels nächste Bewährungsprobe beginnt gerade erst
In der ersten Phase der Coronakrise bekam die Kanzlerin viel Zustimmung. Nun wird sie als bevormundend wahrgenommen und erlebt Anfeindungen. Ein Kommentar.
Der erste große Brand ist gelöscht. Jetzt gilt es, noch glimmende Glutherde zu entdecken und einzudämmen, um ein neues Wiederanfachen, einen noch größeren Brand zu verhindern.
Für Angela Merkel ist es derzeit ein Déjà-vu. Die Coronakrise ist so komplex, dass sich eine lautstarke Minderheit einfache Wahrheiten sucht. Es waren diese Brandnester der Wut und des Misstrauens, die in der Flüchtlingskrise jenseits berechtigter und besonnener Kritik die Stimmung im Land polarisiert haben.
Ein Blick in das Postfach eines Unions-Abgeordneten: „Es kann nicht sein, dass wir Bürger zu Versuchsobjekten werden für die Machenschaften des „Pharmainvestors“ Bill Gates“, schreibt ein Bürger. Ein anderer warnt vor Diktatur und Ruin.
Und ein Oberregierungsrat mit SPD-Parteibuch, der 2018 versuchte, für den Parteivorsitz zu kandidieren, bezeichnet im Namen des Bundesinnenministeriums in einem 83-seitigen Analysepapier Corona als gewaltigen „Fehlalarm“. Das zeigt, dass sich die Zweifel auch in den Regierungsapparat hineinfressen.
Die Kanzlerin hat in dieser Krise kommuniziert wie selten zuvor, selbst aus der häuslichen Quarantäne heraus, mit wackeliger Verbindung. Nun wird die Regierung, von manchen frühzeitig vorhergesehen, Opfer des Präventionsparadoxons: Das Krisenmanagement mit weit weniger Toten als in anderen Staaten führt nun dazu, dass ein lauter Chor schreit: „Alles übertrieben.“
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Mehr Anfeindungen
Die leisere – und übergroße – Mehrheit stützt den Kurs von Vorsicht und Vernunft, fürchtet das Wiederaufflammen. Zwar war die Regierung völlig unzureichend vorbereitet auf einen Pandemiefall, hat dann aber mit rascher Reaktion dramatische Todeszahlen wie in Italien und Spanien verhindert.
Merkel erlebt nach dem Rekordrückhalt in der ersten Phase – Krisen sind ihr Metier – jetzt eine neue Phase, mit weit mehr Anfeindungen. Sie wird von vielen Bürgern als paternalistisch wahrgenommen.
Die Kanzlerin kämpft nun an zwei Fronten. Das zeigte am Mittwoch auch die Regierungsbefragung zur Coronakrise im Bundestag. Gegen zu viel Lockerungs-Leichtsinn. Und gegen Verschwörungsgeschichten.
Der Begriff Verschwörungstheorie ist für den teils verbreiteten Unsinn der falsche Begriff, eine Theorie sollte zumindest ein gewisses Fundament haben. In der neuen Phase, in der die ökonomischen Verwerfungen die Polarisierung und Proteste verschärfen könnten, wird eines besonders gefragt sein: Eine ehrliche, rational erklärende, offene Kommunikation, im Verbund mit einem energischen Einschreiten der Sicherheitsbehörden gegen Versuche, das Fundament der Demokratie im Schatten der Corona-Pandemie zu schwächen.
Detailliert wirbt Merkel für Geduld, verspricht, dass es erst mal keine Steuern- und Abgabenerhöhungen gibt, garantiert die Sicherheit der Spareinlagen der Bürger. Aber schon die Debatte um einen möglichen Druck auf die Renten zeigt: Sicher ist nichts mehr.
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Thema Grenzöffnungen
Dass Merkel – auch nach Druck aus den eigenen Reihen – das Thema Grenzöffnungen rasch geklärt hat und diese auch unter Wissenschaftlern umstrittenen Maßnahmen im Schengenraum bis Mitte Juni aufgehoben werden, ist ein wichtiger Schritt.
Denn der Staat ist begründungspflichtig – und je mehr Gerichte einzelne Corona-Maßnahmen einkassieren, desto mehr „Beweise“ könnten AfD, Reichsbürger und Verschwörungsfreunde für ihre Attacken vorlegen. So wird die Kanzlerin vielleicht noch mehr kommunizieren müssen, gerade wenn persönliche Begegnungen wieder möglich sind – jenseits von durchorchestrierten Bürgerdialogen.
Doch es ist auch die Pflicht jedes mündigen Bürgers, sich zu informieren und demokratisch über den richtigen Weg zu streiten. Der falsche Weg ist es, sich vor den Karren derjenigen spannen zu lassen, die den Staat von innen aushöhlen wollen.
Die nächsten Wochen werden entscheidend sein bei dieser doppelten Brandbekämpfung. Merkels nächste Bewährungsprobe beginnt gerade erst.