Rede vor EU-Parlament: Merkel plädiert für "echte europäische Armee"
Die Bundeskanzlerin unterstützt die Idee des französischen Präsidenten von einer europäischen Armee. Eine Abkehr von der Nato sieht Merkel darin nicht.
Bei ihrer Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg hat sich Bundeskanzlerin Merkel für die Einführung einer europäischen Armee ausgesprochen. Merkel sagte: "Wir müssen an der Vision arbeiten, eine echte europäische Armee zu schaffen." Als Reaktion auf diese Ankündigung gab es von vielen Abgeordneten langanhaltenden Applaus - aber auch viele Buh- und Zwischenrufe. „Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt,“ führte die Bundeskanzlerin aus.
Weiter sagte Merkel, ein solcher Schritt stelle keine Abkehr von der Nato dar. Sie könne keinen Widerspruch erkennen, wenn eine europäische Armee innerhalb der Nato agiere. Zudem könne eine solche Struktur zu Effizienzsteigerungen führen, wenn die Europäer durch die gemeinsamen Streitkräfte die große Zahl unterschiedlicher Waffensysteme reduziere.
Die Buhrufe für Merkel kamen nach Angaben von Abgeordneten im Saal überwiegend von rechtsextremen Parlamentariern. Auch Abgeordnete der EU-kritischen britischen UKIP hätten sich beteiligt, berichteten Teilnehmer. Merkel sagte nur: „Dass ich den Kern getroffen habe, zeigt sich an dem Protest. Das ist schön und ehrenvoll.“ Parlamentspräsident Antonio Tajani fragte rhetorisch: „Brauchen wir vielleicht einen Tierarzt in diesem Saal?“
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hatte vergangene Woche erneut eine „echte europäische Armee“ für mehr Unabhängigkeit von den USA ins Spiel gebracht und damit mehrfach Kritik von US-Präsident Donald Trump auf sich gezogen. Zuletzt sprachen sich auch SPD-Chefin Andrea Nahles sowie Merkels mögliche Nachfolgerin im CDU-Vorsitz, Annegret Kramp-Karrenbauer, für eine europäische Armee aus.
Struktur der Armee bisher vollkommen unklar
Wie eine europäische Armee aussehen könnte, ist bislang unklar. Nach Vorstellungen Frankreichs könnte im ersten Schritt von einer kleinen Gruppe von Staaten eine schlagkräftige Interventionstruppe für Kriseneinsätze zum Beispiel in Afrika aufgebaut werden. Erst in der nächsten Etappe würde dann das Projekt einer „echten europäische Armee“ angegangen werden. Dies sieht die Bundesregierung allerdings kritisch, weil Macron die Interventionstruppe außerhalb des EU-Rahmens aufbauen will, um auch die vor dem EU-Austritt stehen Briten mit einzubeziehen.
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„Eine Europäische Armee muss innerhalb der Europäischen Union aufgestellt werden und nicht außerhalb. Dafür haben wir vor einem Jahr die Europäische Verteidigungsunion geschaffen“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche. Sie stellte wiederholt auch klar, dass die Verantwortung für Truppeneinsätze bei den Staaten und Parlamenten bleiben müsse. Statt von einer europäischen Armee sprach sie am Montag von einer „Armee der Europäer“.
Die EU hat bereits seit 2007 Krisenreaktionskräfte. Die sogenannten Battlegroups kamen aber noch nie zum Einsatz, unter anderem, weil die Truppensteller die Einsatzkosten zum Großteil selbst tragen müssten.
Trump ist gegen europäische Armee
US-Präsident Trump hatte sich zuletzt mehrfach gegen die Idee einer europäischen Idee ausgesprochen. Europa solle erst einmal „seinen gerechten Anteil an der Nato“ bezahlen, kritisierte er. Macron fordert hingegen offen, dass sich Europa unabhängiger von den USA machen müsse. „Was ich nicht sehen möchte, sind europäische Länder, die ihr Verteidigungsbudget steigern, um (US-) amerikanische oder andere Waffen zu kaufen“, sagte er am Sonntag dem US-Nachrichtensender CNN.
Darauf twitterte Trump am Dienstag: „Emmanuel Macron schlägt den Aufbau einer eigenen Armee vor, um Europa gegen die USA, China und Russland zu verteidigen. Doch es war Deutschland in den Weltkriegen Eins und Zwei - wie ging das für Frankreich aus? Sie haben in Paris angefangen, Deutsch zu lernen, bevor die USA vorbeikamen. Zahlt für die Nato oder nicht!“
Weitere Themen: Wirtschaft und Migration
Neben der Außen- und Sicherheitspolitik ging Merkel auf zwei weitere Felder ein: In der Wirtschafts- und Finanzpolitik appellierte sie an die Euro-Länder, sich an die Regeln zu halten. Wer darauf setze, Probleme allein durch neue Schulden zu lösen und vorherige Verpflichtungen zu missachten, der stelle den Euro-Raum infrage, sagte Merkel am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg. Der Euro könne nur funktionieren, wenn jedes einzelne Mitglied die Verantwortung für tragfähige Finanzen erfülle.
Merkel nannte kein Land beim Namen. Doch streitet sich die EU-Kommission derzeit mit Italien über den Staatshaushalt 2019, der eine wesentlich höhere Verschuldung vorsieht als vorher vereinbart.
Im Politikfeld Flucht und Migration sprach sich Merkel für eine Stärkung der europäischen Institutionen aus. Europa müsse im Umgang mit Flucht und Migration gemeinsame Wege finden, sagte sie über die Zukunft Europas. Wenn jeder seine nationale Zuständigkeit behalten und keiner der europäischen Grenzschutztruppe Zuständigkeiten geben wolle, „dann kann die noch so groß und noch so gut sein, dann wird sie ihre Arbeit nicht erfüllen können“. Hier müssten die Mitgliedstaaten ein stückweit auf nationale Kompetenzen verzichten.
Sie plädierte für ein gemeinsames europäisches Asylverfahren. Wenn jeder seine Entscheidungen unterschiedlich treffe, wüssten das die betroffenen Menschen sofort, die dann innerhalb der EU weiterzögen. Ohne gemeinsame Maßnahmen werde es nicht gelingen, mit der Aufgabe klarzukommen, fügte sie unter Applaus wie auch Buhrufen der Parlamentarier hinzu.
Gegenseitiger Respekt und Solidarität bedeute immer, auch nationale Egoismen zu überwinden, betonte Merkel und räumte ein, dass sich auch Deutschland „nicht immer tadellos verhalten“ habe: So habe man in den Jahren vor der Flucht- und Migrationsbewegung von 2015 „viel zu lange gebraucht“, um die Flüchtlingsfrage als eine gesamteuropäische Aufgabe anzunehmen.
Eingeklammert wurden Merkels Ausführungen zu den drei Politikfeldern von Bemerkungen zum Verhältnis der Begriffe Toleranz und Solidarität. So wüssten die europäischen Länder andere Positionen und Meinungen als die eigenen tolerieren; zugleich gebiete es die Solidarität, immer wieder nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. (Tsp, dpa, epd)