Pegida und die Versammlungsfreiheit: Merkel: An jedem Ort soll demonstriert werden können
"Wir lassen uns nicht mundtot machen", erklärten die Anführer der Dresdner Pegida-Bewegung. Nach dem von der Polizei in Dresden verhängten Demo-Verbot an diesem Montag wird über Versammlungsfreiheit diskutiert.
Trotz islamistischer Terrordrohungen will die Pegida-Bewegung in Dresden weitermachen. "Das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wollen wir uns nicht nehmen lassen", erklärte die Mitbegründerin der Anti-Islam-Bewegung, Kathrin Oertel, am Montag auf einer Pressekonferenz in Dresden. Man habe sich aus Verantwortung für die Teilnehmer zwar dazu entschlossen, die Kundgebung am Montagabend abzusagen. "Das bedeutet nicht, dass wir uns mundtot machen lassen", so Oertel. Mit Hochdruck werde an einem Sicherheitskonzept gearbeitet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte Hilfe des Bundes zur künftigen Absicherung von Kundgebungen in Aussicht. "Ich habe als Bundeskanzlerin, unbeschadet ob mir die Inhalte gefallen, ein Interesse daran, dass an jedem Ort in Deutschland demonstriert werden kann, weil es sich um ein Grundrecht handelt", sagte Merkel in Berlin. Die Demonstrationsfreiheit sei ein hohes Gut. "Ein solches hohes Gut muss, so weit als möglich, geschützt sein." Wenn der Bund gebeten werde, werde auch er natürlich hierfür Sorge tragen.
Die Dresdner Polizei hatte aus Sorge vor einem Anschlag auf die Kundgebung der islamfeindlichen Pegida-Bewegung jegliche Demonstrationen in der Stadt untersagt. Die Drohungen richteten sich offenbar vor allem gegen Pegida-Anführer Lutz Bachmann. Am kommenden Montag will Pegida wieder demonstrieren, wenn es das Sicherheitskonzept zulässt.
In der Polizei-Verfügung vom Sonntag hieß es, Attentäter seien aufgerufen worden, sich unter die Pegida-Demonstranten zu mischen. Ziel sei es, "zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams der Pegida-Demonstrationen zu begehen". Dieser Aufruf ähnele einem über einen Twitter-Account gesendeten Tweet, in dem auf Arabisch die Pegida-Demonstration als „Feindin des Islams“ bezeichnet werde. In dem Tweet heißt es zu einem Foto von Bachmann: "An die einsamen Wölfe in Deutschland. Das ist der Hund und Verantwortliche der anti-islamischen Pegida-Demonstrationen. Sein Name ist Lutz Bachmann."
Oertel und der Pegida-Vereinsvorsitzende Bachmann bekräftigten ihre Forderungen, signalisierten aber zugleich auch Dialogbereitschaft. Zu den sechs Kernforderungen der Bewegung, die bereits bei der letzten Pegida-Demonstration vom 12. Januar vorgetragen worden waren, zählen qualitative statt unqualifizierte Zuwanderung, das Recht und die Pflicht zur Integration für Zuwanderer, die Ausreise und Nicht-wieder-Einreise von Islamisten und Fanatikern, mehr direkte Demokratie, ein friedliches Miteinander in Europa sowie eine Stärkung der inneren Sicherheit.
Pegida strebt Dialog an: "Bereitschaft auf beiden Seiten da"
Nach Angaben Oertels ist Pegida mit Vertretern verschiedener Parteien in Sachsen im Gespräch, "wir wollen den Dialog". Einzelheiten dazu nannte sie jedoch nicht. "Die Dialogbereitschaft ist auf beiden Seiten da", versicherte sie. Fragen zur AfD, mit der sich Pegida vor einigen Tagen getroffen hatte, wehrte sie ab. Dies sei "heute nicht das Thema". Auch private Fragen wollten Oertel und Bachmann ausdrücklich nicht beantworten.
Bachmann nannte es einen "ersten großen Erfolg" von Pegida, dass es "in Deutschland wieder Politikinteresse" gebe. Vereinzelt gebe es auf Pegida-Kundgebungen auch fremdenfeindliche Menschen, diese seien aber in der absoluten Minderzahl. Bachmann nannte es erstaunlich, dass sofort Kameras in der Nähe seien, wenn problematische Transparente auf den Kundgebungen der Bewegung gezeigt würden. Die noch deutlich radikalere Legida in Leipzig nannte Bachmann einen offiziellen Ableger von Pegida. Er rief dazu auf, an deren Demonstration am Mittwoch teilzunehmen. Bei der Legida-Kundgebung am Mittwoch soll der Rechtspopulist Jürgen Elsässer als Hauptredner auftreten.
Streit um Landeszentrale für politische Bildung
Dass die Pressekonferenz in den Räumen der Landeszentrale für politische Bildung, einer staatlichen Einrichtung, stattfinden konnte, ist in Sachsen umstritten. Pegida-Organisatorin Kathrin Oertel hatte sich vergangene Woche mit der Bitte um Hilfestellung bei der Organisation der Pressekonferenz an SLpB-Chef Frank Richter gewandt. Er entschied zunächst positiv, weil seiner Meinung nach weiterhin die Notwendigkeit besteht, "das offenbar vorhandene Kommunikationsdefizit zwischen Öffentlichkeit und Pegida e.V. zu beheben". Unter anderem die Linke im sächsischen Landtag hatte die Raumvergabe kritisiert, mit der "Pegida" nach der ausgefallenen Demo "geadelt" werde.
Am Montag kritisierte auch die sächsische SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe die Entscheidung der SLpB: "Träger der politischen Bildung haben eine Riesenverantwortung. Sie müssen kontrovers und unvoreingenommen sein", sagte sie dem Tagesspiegel. "Pegida Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und sie bei Talkshows unkritisch zu begleiten widerspricht dem. Ich halte das für unprofessionell und inakzeptabel. Frank Richter ist gut beraten seine eigene Rolle kritisch zu hinterfragen, sonst verspielt er weiteres Vertrauen."
Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung in Sachsen erklärte, die Fähigkeit zu einer klaren Analyse und Kritik der Bewegung ist der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung offensichtlich verlorengegangen. "Sonst wäre klar, dass Pegida keinen Dialog will, sondern einen aggressiven Monolog aufführt. Sonst wäre klar, dass die montäglichen Mitmarschierenden nicht ,Sorgen und Ängste' eint, sondern die chauvinistisch und rassistisch grundierte Ablehnung einer pluralen Gesellschaft."
Der Vorsitzende des Kuratoriums der Landeszentrale, Lars Rohwer, wies die Kritik zurück. Die Entscheidung, einen Raum an Pegida zu geben, sei in Abstimmung mit ihm erfolgt, erklärte Rohwer, der auch CDU-Landtagsabgeordneter ist. Sie stelle "eine absolute Ausnahme dar, die der derzeitig extrem brisanten Lage geschuldet ist und durch den großen Bedarf nach öffentlicher Mitteilung in einer außergewöhnlich angespannten politischen Situation begründet war". Zur Rolle von SLpB-Chef Richter sagte Rohwer: "Frank Richter ist eine integre Persönlichkeit, die mit hohem persönlichem Engagement und Sachverstand zwischen den verschiedensten Positionen vermittelt. Sein Wirken ist immer auf das konkrete Anliegen von Menschen gerichtet und niemals parteipolitisch." Allein deshalb seien er und die Landeszentrale für politische Bildung "erhaben gegenüber derartigen Vorwürfen".
Tillich: Freiheit braucht auch Sicherheit
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verteidigte das Demonstrationsverbot für Dresden am Montag. Es habe sich um eine Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und dem Schutz der Demonstranten gehandelt, sagte Tillich vor Journalisten in Dresden. "Der Schutz von Leib und Leben von Demonstrationsteilnehmern überwog." Freiheit brauche auch Sicherheit. Tillich sagte, es handle sich aber nur um einen "konkreten Einzelfall", der auf den Montagabend in Dresden begrenzt sei. Als Konsequenz aus dem Zustrom zu der islamkritischen Pegida-Bewegung kündigte Tillich verstärkte Dialogbemühungen mit der Bevölkerung an. An dem von ihm für Mittwoch geplanten ersten Dialog mit 300 Bürgern gebe es ein sehr reges Interesse. Er werde nun in einem "Drei- bis Vier-Wochen-Rhythmus" weitere Veranstaltungen dieses Formats anbieten, kündigte der Ministerpräsident an.
Grüne: Auch widerliche Meinungsäußerungen müssen möglich sein
Vor den Äußerungen von Merkel hatte die Opposition im Bundestag das Versammlungsverbot an diesem Montag in Dresden kritisiert, das die Polizei am Sonntag für den Zeitraum von 0 bis 24 Uhr verhängt hatte. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte im ZDF-"Morgenmagazin", eine solche "Einschränkung von Grundrechten" sei ärgerlich und "total bitter". Die Polizei müsse einen solchen Schritt sehr gut begründen. Die Pegida-Demonstrationen seien "widerlich", sagte Hofreiter weiter. "Aber natürlich haben unsere Behörden dafür zu sorgen, dass auch diese widerlichen Meinungsäußerungen möglich sind."
Gysi: Schwerwiegender Eingriff in das Demonstrationsrecht
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warnte vor weiteren Absagen solcher Veranstaltungen. Demonstrationen dürften nicht zu schnell untersagt werden, sagte Gysi der Nachrichtenagentur AFP. "Dafür ist es ein viel zu wichtiges Grundrecht." Es dürfe nicht die Situation eintreten, "dass eine Demonstration abgesagt wird, nur weil ein Drohbrief geschrieben worden ist".
Er sei sich bei den Dresdner Behörden "nicht ganz sicher, ob das notwendig ist", sagte Gysi mit Blick auf das am Sonntag verhängte Verbot gegen Pegida und deren Gegendemonstranten. Er könne dies aber letztlich nicht beurteilen, gab der Linken-Politiker zu. Gleichwohl sei die Entscheidung der Polizei in Dresden ein "schwerwiegender Eingriff" in das Demonstrationsrecht. Deshalb sollten solche Demonstrationen grundsätzlich stattfinden dürfen, soweit kein Menschenleben in Gefahr sei. Gysi bekräftigte zugleich, dass er Ziele und Methoden der Pegida-Bewegung "selbstverständlich" ablehne.
Ähnlich hatte sich zuvor die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. geäußert. Sie sagte im WDR: "Die Behörden müssen Beweise bringen, dass es schwerwiegende Angriffe möglicherweise gibt." Auch Jelpke betonte das Grundrecht auf friedliche Demonstrationen. "Die Behörden sind verpflichtet, die Menschen zu schützen, und ich denke, wir dürfen uns die Freiheit nicht nehmen lassen, zu demonstrieren, auch wenn solche Androhungen da sind", sagte die Linken-Politikerin.
Linken-Chefin Kipping: Pegida verbreitet Angst und Schrecken
Linken-Chefin Katja Kipping erklärte, Demokratie könne nicht durch ihre Einschränkung verteidigt werden. "Insofern kann ich mich nicht über das Verbot der Demo freuen." Die aus Dresden stammende Politikerin sagte weiter, durch das Versammlungsverbot in Dresden gerate in Vergessenheit, wer dort nun schon seit Wochen Angst und Schrecken verbreite: "Wegen Pegida trauen sich Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten nicht mehr vor die Tür. Wegen Pegida gehen viele Dresdener Bürgerinnen und Bürger montags nicht mehr in die Innenstadt. Und wegen der rassistischen Hetze von Pegida ist Dresden nun überhaupt in den Fokus des fundamentalistischen Terrorismus gerückt."
Justizminister Maas: Demokratie hält auch Pegida aus
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte: "Terrordrohung darf niemals dazu führen, dass Meinungen unterdrückt werden - egal ob uns diese Meinungen gefallen oder nicht", sagte Maas in Berlin. "Egal was von den Positionen von Pegida zu halten ist - soweit der Protest nicht gegen unsere Gesetze verstößt, ist er durch die Meinungsfreiheit gedeckt." Die Demokratie halte auch Pegida aus.
Die große Mehrheit der Bevölkerung lehne die islamkritische Bewegung ab und sei in den vergangenen Wochen gegen Pegida auf die Straße gegangen, sagte Maas. "Das muss weiter möglich sein", mahnte der Minister, "auch wenn es für die Einzelfallentscheidung der Sicherheitsbehörden in Dresden sicher gute Gründe gab."
AfD-Vize Gauland spricht von "hilflosen Reflexen"
Der stellvertretende Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, sprach von "offensichtliche Hilflosigkeit der Sicherheitsbehörden in Dresden". Dies und die "Tatenlosigkeit der Altparteien" seien "eine politische Bankrotterklärung angesichts des islamistischen Terrors in Europa und dessen Drohungen in Deutschland". Gauland erklärte weiter: "Die akute Bedrohung mit einem 24-stündigen Demonstrationsverbot zu beantworten stellt einen schweren Eingriff in unsere Grundrechte dar, der nicht ohne weiteres hingenommen werden kann. Diese hilflosen Reflexe dürfen nicht Schule machen. Der Staat sollte besonders angesichts einer konkreten Bedrohung alles daran setzen, die Grundrechte der Bürger zu schützen und nicht temporär außer Kraft zu setzen."
Polizeigewerkschaft: Keine Alternative für Versammlungsverbot
Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft hatte die Polizei in Dresden keine Alternative zu dem für diesen Montag verhängten Versammlungsverbot. "Wenn eine unbestimmte Zahl von Menschenleben auf dem Spiel steht, muss die Polizei kurzfristig auch zu einem solchen Schritt in der Lage sein", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt am Montag dem Sender n-tv. "Deshalb stehen wir voll und ganz hinter dieser Entscheidung."
Wendt sagte, bei jeder Veranstaltung fänden Gefährdungsbewertungen auf der Grundlage der Informationen statt, die den Sicherheitsbehörden vorlägen. "Eine solche Entscheidung wie in Dresden kann und wird nur die Ausnahme sein, denn es ist ja der gesetzliche Auftrag der Polizei, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten", betonte der Gewerkschaftschef. Die Polizei tue das auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten, "aber diese Möglichkeiten sind nun einmal begrenzt", sagte Wendt mit Blick auf die Personalausstattung.
Fast 5,6 Millionen Zuschauer bei Jauch
Rund 5,57 Millionen Zuschauer verfolgten am Sonntagabend die ARD-Sendung "Günther Jauch" zum Thema "Pegida". Das entsprach einem Marktanteil von 18,3 Prozent, wie die Nachrichtenagentur epd meldete. In der Show mit dem Titel "Protest trifft auf Politik" trat auch Pegida-Funktionärin Oertel auf - sie war damit das erste führende Mitglied der Bewegung, das an einer Fernsehtalkshow teilnahm. Weitere Mitglieder der Talkrunde waren die Politiker Jens Spahn (CDU), Wolfgang Thierse (SPD) und Alexander Gauland (AfD) sowie SLpB-Chef Richter. Nach Angaben der Redaktion von "Günther Jauch" löste die Sendung eine außerordentlich große Zuschauerresonanz aus. Im Online-Forum gingen bis Montagmittag mehr als 1.800 Kommentare ein.
In Dresden gehen seit Wochen Montag für Montag tausende Pegida-Anhänger auf die Straße. Am vergangenen Montag folgten in der sächsischen Landeshauptstadt 25.000 Menschen dem Aufruf der Bewegung. In anderen Städten wie zum Beispiel Suhl oder auch Berlin sollen die Kundgebungen von Pegida-Ablegern an diesem Montag stattfinden. Der Innenausschuss des sächsischen Landtags befasst sich am Nachmittag in einer Sondersitzung mit den Terror-Drohungen in Dresden und dem Verbot von Demonstrationen von und gegen "Pegida". (mit AFP/dpa)