Kirchen und Missbrauch: "Man hat den Opfern nicht mal zugehört"
Die Kirchen verweigern weiterhin eine Aufarbeitung des Themas sexueller Missbrauch und bieten Betroffenen weder Schutz noch Hilfe, kritisieren Experten.
Heiner Keupp räumt ja selber ein, dass der Vergleich „fragwürdig ist“, er zieht in trotzdem. „Die Automobilindustrie hat das Modell der Kirchen übernommen“, sagt er also, „wenn sie vertuscht und erst dann etwas zugibt, wenn es nicht mehr anders geht“. Keupp ist nicht bloß Sozialpsychologe, er ist auch Mitglied der „Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs“. Am Mittwoch sitzt er mit anderen Experten in der Akademie der Künste in Berlin, hier findet das öffentliche Hearing zum Thema „Kirchen und ihre Verantwortung zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs statt“. Betroffene schildern ihr Leid, Experten teilen ihre Analyse-Ergebnisse mit.
Täter wurden einfach weiterversetzt
Verantwortung? Davon hat Keupp wenig mitbekommen. Den Kirchen, der evangelischen und der katholischen, gehe es darum, „dass ihre glänzende Fassade bewahrt bleibt“. Deshalb „soll alles unter der Decke gehalten werden“. Und Opfer würden sogar noch zu Tätern gemacht, wenn führende Kirchenvertreter Missbrauchsvorwürfe als Teil einer Kampagne bezeichneten. „Besonders traurig“, sagt Keupp, „ist, es, dass die Täter nur weiterversetzt wurden“.
Die Erziehungswissenschaftlerin Merlene Kowalski hat sich intensiv mit den Fällen der Betroffenen befasst. 65 Opfer, die Missbrauch im Zusammenhang mit den Kirchen erlebten, haben sich bei der Kommission gemeldet, die Dunkelziffer ist nach Kowalskis Einschätzung aber viel größer. Alle Betroffenen schilderten eindrücklich „ihre eigene Schutzlosigkeit“. Jene Menschen, die ihnen besonderen Schutz hätten geben müssen, Vertreter der Kirche nämlich, hätten sie im Stich gelassen.
Beide Kirchen reagierten beschämend
Viele Opfer hätten sich zwar bei der Kommission gemeldet, aber nicht bei ihrer jeweiligen Kirche, „aus Scham oder weil es keinen geeigneten Ansprechpartner gab“. Andere wagten den Schritt – mit frustrierenden Folgen. „In der evangelischen Kirche machte kein einziger Betroffener eine positive Erfahrung“, sagt Kowalski. „Aber auch bei der katholischen Kirche stießen sie auf nur wenig Empathie.“ Als „besonders beschämend“ empfindet es die Expertin, dass die Täter nur geringe berufliche Folgen hätten ertragen müssen. „Die Betroffenen wollen aber, dass in dieser Hinsicht die Kirchen anders reagieren.“
Nirgendwo sind Ansprechpartner zu finden
Massive Kritik auch von Sabine Andresen, der Vorsitzenden der Kommission: „Schon der erste Schritt zur Aufarbeitung, das Zuhören, wurde von den Kirchen nicht gegangen.“ Andresen beklagte, „dass die Kirchen alles dafür tun, dass sich die Betroffenen nicht bei ihnen melden“. Wo seien denn Ansprechpartner für Opfer leicht zu finden? Wo stünden sie denn gut sichtbar auf einer Kirchen-Hompage? „Das gibt es nicht.“
Missbrauch in den Kirchen? Das war ja nicht erst seit 2010 ein Thema, als die ganzen Fälle auf einen Schlag öffentlich wurden. Der Sozialpsychologe Keupp wird da mal kurz historisch. „Schon in den 1940er-Jahren gab es Hinweise auf Missbrauch, auch in den Jahrzehnten danach.“ Und die Kirchen? „Haben nicht darauf reagiert, weil sie als positiv wahrgenommen werden wollten.“ Diesen Kirchen warf Keupp „ausgeprägten institutionellen Narzissmus“ vor. Sie hätten immer noch nicht verstanden, „dass sie Teil der Zivilgesellschaft sind“.
Auch Vorgesetzte von Tätern wurden nicht zur Rechenschaft gezogen
Matthias Katsch, selbst Betroffener im Zusammenhang mit der katholischen Kirche, möchte, dass stärker über grundsätzliche Fragen geredet wird. „Die Strukturen der katholischen Kirche fördern Missbrauch.“ Die ausgeprägte Hierarchie, der Umstand, „dass eine kleine Gruppe alles bestimmt“, dass „Männer im Zölibat vereint sind“, diese Punkte zählt er auf. Doch über diese Strukturen „wird nicht geredet“. Wütend erklärt Katsch auch, „dass bis heute kein Vorgesetzter eines Täters zur Rechenschaft gezogen wurde“.
Am Wichtigsten aber, das sagen mehre Experten, ist es, den Betroffenen zuzuhören. Diese Menschen hätten Schlimmes erlebt. „Sie sind“, erklärt Heiner Keupp, „Opfer, sie sind keine Bittsteller“.
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