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"In Deutschland hat die Kirche ernsthafte Anstrengungen unternommen, um die Fälle aufzuarbeiten", meint Johannes-Wilhelm Rörig, Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
© dpa

Nach UN-Bericht zu Missbrauch: „Es fehlt eine umfassende Aufarbeitung“

Johannes-Wilhelm Rörig, der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, sieht Defizite bei Kirche und Staat.

Das UN-Kinderschutzkomitee hat ein hartes Urteil gefällt: Die katholische Kirche gehe mit den Missbrauchsfällen fahrlässig um, wolle sich der weltlichen Justiz entziehen und befördere sogar noch die Fortsetzung des Missbrauchs. Sind die Vorwürfe gerechtfertigt?
Die UN schauen auf die Kirche weltweit. Da kann ich mir kein Urteil bilden. In Deutschland hat die Kirche ernsthafte Anstrengungen unternommen, um die Fälle aufzuarbeiten. Aber es fehlt eine umfassende Aufarbeitung. Die Zusammenarbeit mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer scheiterte vor einem Jahr. Ein Nachfolger ist noch nicht bekannt.

Der UN-Kinderrechtsausschuss prangert auch Missstände in Deutschland an. Kinder seien in Schulen nicht ausreichend vor sexuellen Übergriffen geschützt, und es mangele an Beratungsstellen.
Da spricht mir das Komitee aus der Seele. Besonders in ländlichen Gebieten und für Jungen und Menschen mit Migrationshintergrund fehlt es an spezialisierten Beratungsstellen. Vielen Einrichtungen fehlt es an Geld und Personal.

Johannes-Wilhelm Rörig.
Johannes-Wilhelm Rörig.
© Thilo Rückeis

Auch Ihre Funktion wird in dem Bericht angesprochen. Es wird bemängelt, dass die Stelle des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten nicht gesetzlich und somit auf Dauer verankert ist. Sie verhandeln darüber seit Monaten mit der neuen Bundesregierung. Haben Sie Hoffnung?
An der Bereitschaft, das Amt eines Missbrauchsbeauftragten und die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs gesetzlich zu verankern, wird sich zeigen, wie ernst es der Koalition mit der Bekämpfung von Missbrauch ist.

Die UN fordern auch, dass die Bundesregierung die Aufklärung der Missbrauchsfälle nicht den einzelnen Institutionen überlassen soll. Was könnte sie tun?
Sie sollte eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung einsetzen. Das Gremium sollte beim Missbrauchsbeauftragen angesiedelt sein und von fünf, sechs Wissenschaftlern unterschiedlicher Richtungen getragen werden. Auch hier müssten Datenschutzrichtlinien und Kirchenrecht berücksichtigt werden. Für all das braucht es eine gesetzliche Grundlage. Bei der vorhergehenden Regierung hatte ich oft das Gefühl, gegen Wände anzurennen. Jetzt steht immerhin im Koalitionsvertrag, dass die unabhängige Aufarbeitung gesichert werden soll.

Der UN-Bericht fordert Kirche und Staat auf, Opfer angemessen zu entschädigen. 2011 hatten Bund und Länder zugesagt, einen Fonds zu errichten, aus dem Betroffene Sachleistungen bis zu 10 000 Euro beantragen können. Doch nur die Bundesregierung hat bislang 50 Millionen eingezahlt. Was ist mit den Ländern?
Bisher hat nur Mecklenburg-Vorpommern eingezahlt, Bayern hat eine Zahlung verbindlich zugesagt. Das ist ein Hohn für die Betroffenen – zumal die damaligen Justiz-, Familien- und Forschungsministerinnen 2011 versprachen, dass „unbürokratisch und schnell“ gehandelt werde. Der Fonds ist für Menschen, die in der Familie missbraucht wurden. Auch mit den Kirchen wurde eine Regelung getroffen. Aber es ist noch nicht klar, welche Hilfen es für Menschen geben soll, die zum Beispiel in öffentlichen Einrichtungen geschädigt wurden oder in Sportvereinen und Institutionen der Wohlfahrtspflege.

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