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Auch vor dem Triumphbogen in Paris gab es Auseinandersetzungen der Gelbwesten mit der Polizei.
© Abdulmonam Eassa/AFP

Ausschreitungen in Frankreich: Macron und die Macht der Straße

Bislang zeigte sich der französische Präsident bei Protesten unbeirrt – doch diesmal ist einiges anders. Wie gefährlich können ihm die Gelbwesten werden?

Bei den Protesten der Gelbwesten in Frankreich ist es zu heftigen Ausschreitungen gekommen. Vor allem in Paris um die Champs-Élysées war das Chaos groß. Der Triumphbogen wurde mit Graffiti besprüht und mit Sprüchen beschmiert. Randalierer hatten Barrikaden errichtet, zündeten Autos an, warfen Fensterscheiben ein und zerstörten Geschäfte. Präsident Emmanuel Macron besuchte nach seiner Rückkehr vom G-20-Gipfel in Argentinien den Triumphbogen, berief eine Krisensitzung ein und sagte seine Teilnahme am Klimagipfel in Kattowitz ab.

Warum eskaliert die Gewalt?

Unter die Bewegung hatten sich auch Anarchisten und extreme Rechte gemischt. Aufgeheizt durch Randalierer, schlug die soziale Wut in Gewalt um. Zahlreiche Gelbwesten ließen sich von der Gruppendynamik anstecken. Premierminister Edouard Philippe erklärte, die Demonstranten hätten „Symbole Frankreichs infrage gestellt“, das sei schockierend. Die Demonstrationen sind deshalb so gewalttätig geworden, weil die Wut eines armen Frankreichs gegen ein reiches Frankreich ungesteuert ausbricht, so wie es ein Spruch auf dem Triumphbogen deutlich machte: „Klasse gegen Klasse.“

Es ist ein Klassenkampf der Benachteiligten gegen die Privilegierten. Ein Aufschrei der sozial Benachteiligten gegen den Präsidenten, den sie als zu elitär und arrogant empfinden und von dem sie sich von oben herab behandelt fühlen. Auf Plakaten war deshalb zu lesen: „Macron, hör auf, uns für dumm zu verkaufen.“

Wer sind die Gelbwesten?

Die Bewegung der Gelbwesten hat keine wirkliche Struktur, keine echten Anführer, im Gegensatz zu vielen anderen Protesten, die von den Gewerkschaften mitgetragen wurden. Ausgelöst durch die geplanten Steuererhöhungen für Diesel und Benzin richten sich die Proteste nun generell gegen die Politik Macrons, die als ungerecht gewertet wird. Es geht auch um soziale Ungleichheiten.

Demonstrant der Gelbwesten in Paris
Demonstrant der Gelbwesten in Paris
© AFP/Abdulmonam EASSA

Unternehmen und Aktionäre profitierten von weniger Steuern, während ein Teil der Bevölkerung das Gefühl hat, an Kaufkraft zu verlieren. Betroffen von den Steuererhöhungen für Diesel sind vor allem die Franzosen, die weit außerhalb der Städte wohnen und auf ihr Auto angewiesen sind. Es protestiert ein ärmeres Frankreich aus den Regionen, Menschen, die weit weg von den Metropolen leben. Viele gehören zur Mittelschicht, die von einem idyllischen Eigenheim im Grünen träumten und nun kaum mit ihren Einkommen über die Runden kommen. Unter den Demonstranten sind aber auch Rentner, Arbeitslose oder Landwirte.

Können die Proteste weiter eskalieren?

Am dritten Samstag in Folge war die Zahl der Teilnehmer an den landesweiten Protesten weiter gesunken, aber die Gewalt ist gestiegen. Rund 136.000 Menschen sollen im ganzen Land auf die Straße gegangen sein, weniger als die Hälfte der ersten Demonstration. Laut Innenministerium waren in Paris 5500 gewaltbereite Randalierer unterwegs. Damit war die Zahl der Randalierer höher als in der Vorwoche. Am Tag nach den Ausschreitungen wurde die Polizei als überfordert kritisiert. Die fehlende Struktur der Mobilisierung macht es für die Sicherheitskräfte besonders schwierig. Zudem verstecken sich die Randalierer oft hinter den friedlichen Gelbwesten.

Warum profitieren die extrem rechten Parteien von den Protesten?

Rechte und Linke buhlen gleichzeitig um die Gelbwesten, die sie als ihre Wähler sehen. Die Rechten haben sich von Anfang an hinter die Bewegung gestellt und diese unterstützt. Die Organisation der Polizei wurde von vielen Oppositionspolitikern kritisiert. Die Regierung lasse die Gewalt eskalieren, um die „Gelbwesten“ zu diskreditieren, erklärte der Rechtsnationalist Nicolas Dupont-Aignan. Marine Le Pen, Präsidentin des Rassemblement National, der Nachfolgepartei des Front National, lobte auf Twitter die friedlichen Gelbwesten vor dem Triumphbogen: „Bravo den Gelbwesten, die die Flamme des unbekannten Soldaten gegen die Randalierer schützten und dabei die Marseillaise sangen. Ihr seid das Volk, das sich gegen das Gesindel erhebt.“

Die Gelbwesten kommen aus den Gesellschaftsschichten, die die extrem Rechten als ihre Wähler sehen, diejenigen, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen. Die Bewegung verleiht den sozialen Forderungen der rechten Kräfte noch mehr Gewicht. Sollte Macron die Protestierenden nicht zufriedenstellen können, könnte das dem rechten Rand noch mehr Zulauf bringen. Allerdings bergen die Proteste auch eine Gefahr für die extremen Rechten. Um von der Bewegung zu profitieren, müssen sie zeigen, dass die Randalierer nicht aus ihren Kreisen kommen. Marion Maréchal, Nichte von Marine Le Pen, hatte in der vergangenen Woche in Paris an einer Demonstration teilgenommen und erzählte danach, die Randalierer seien linke Extremisten.

Wie gefährlich ist die Situation für Macron?

Macron verurteilte die Krawalle: „Ich werde immer Protest akzeptieren, ich werde immer der Opposition zuhören, aber ich werde nie Gewalt akzeptieren.“ Doch die Situation ist äußerst heikel für ihn. Auf dem Triumphbogen stand der Spruch: „Die Gelbwesten werden triumphieren.“ Mit seinem Besuch am Triumphbogen demonstrierte Macron am Sonntag, dass er die Situation wieder in die Hand nimmt. Bisher ist es ihm gelungen, seine Reformen durchzuboxen. Gegen die Reform des Arbeitsrechtes wurde demonstriert, doch Macron setzte die Reform unbeeindruckt um und nahm damit den Protesten den Schwung.

Doch nun steht er vor einer neuen Situation. So angespannt und gewalttätig waren Demonstrationen schon lange nicht mehr. Das alte Frankreich kommt zurück, kommentierten französische Medien schon – das Frankreich, das mit der Macht der Straße Reformen zum Kippen brachte. Macrons Vorgänger knickten regelmäßig ein und zogen Reformen zurück, wenn die Demonstrationen zu heftig wurden.

Wie könnte Macron die Situation beruhigen?

Macrons Ausspruch zeigt, dass er sich von der Gewalt nicht einschüchtern lassen will. Bisher gab es noch kein Zeichen, dass die Dieselreform zurückgezogen werden soll. Es muss aber zeigen, dass er seine Politik sozial verträglicher gestalten will und auch auf die Schichten der Gesellschaft zugeht, die sich benachteiligt fühlen. Doch die Forderungen der Gelbwesten sind vielfältig. Sie verlangen unter anderem Steuersenkungen, eine Anhebung von Mindestlöhnen und Renten.

Sollte Macron einknicken, wären ihm für die zukünftige Politik die Hände gebunden. Das reformunwillige Frankreich hätte gesiegt. Sicherlich muss er die Art seiner Kommunikation überdenken, die für viele zu arrogant wirkt. Er kann allerdings auch hoffen, dass die pazifistischen Gelbwesten angesichts der Randalierer bei den Protesten irgendwann genug davon haben und aufgeben.

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