Verlorene Corona-Generation: Lockdown, als gäbe es kein Morgen? Ein Appell im Namen der Kinder
Vor allem die Kinder leiden unter den Pandemie-Maßnahmen. Sträflich ist, wie die Politik dieses Leid ignoriert. Sie muss endlich handeln. Ein Kommentar.
Und nun tagen sie wieder in diesem Gremium, das die Verfassung nicht kennt, wollen wieder verlängern, will sagen verschärfen, weil jede Verlängerung eine Verschärfung ist. Lockdown bis März, mindestens. Als gäbe es kein Morgen, möchte man meinen.
Die Kanzlerin und die Ministerpräsident:innen – sie machen immer so weiter, obwohl sie wissen, dass auch sie zu wenig wissen. Ein Strategiegipfel, mit allen, die etwas dazu beitragen könnten, und sei es widerstreitende Meinungen? Von vielem ist die Rede, davon nicht.
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Vielleicht kommt am Ende noch die China-Variante auf den Tisch: Abschließen, bis es null Covid mehr gibt. Was es dann im Leben sonst noch so gibt – sehen wir später.
Darin liegt auch der Grund, warum der Lockdown für Schulen, vor allem die, und Kitas in wenigstens absehbarer Zeit ein Ende haben muss. Immer weiter so? Besser nicht.
Unabhängig von Frankreich, das einen harten Lockdown hat, aber nicht für Schulen – die psychische Belastung der Kinder (und der Eltern) steigt immer mehr, warnen Psychologen; die Grundrechte werden insgesamt gefährlich lange missachtet, warnt beispielsweise der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Jürgen Papier; die Folgekosten steigen immens, warnt Ludger Wößmann, der am Ifo-Institut in München forscht.
Ihn hat jüngst der „Spiegel“ zitiert, und was er sagt, erschreckt. Wößmann gehört immerhin zu den weltweit führenden Bildungsökonomen.
Billionenbombe Schulausfall
Copyright „Spiegel“: Wößmann hat ausgerechnet, welche Einkommensverluste auf die Corona-Generation unter den Schülern zukommen könnten, über den Verlauf ihres gesamten Lebens. Und wie sich der geringere Wissensstand auswirken dürfte auf die deutsche Volkswirtschaft insgesamt. Der Schaden beträgt demnach schon 2,2 Billionen Euro, selbst dann, wenn nur die durchschnittlich zwölf Wochen Schulausfall im Frühjahr 2020 berücksichtigt werden. Nimmt man sechs Wochen im zweiten Lockdown hinzu, sind es 3,3 Billionen Euro. Sollten die Schulen auch nach Februar flächendeckend vier weitere Wochen geschlossen sein, würde die Summe auf 4,1 Billionen Euro steigen. 3,3 Billionen Euro entsprechen ungefähr der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik im gesamten Jahr 2020.
Wößmann ist nicht allein mit seinen Befürchtungen. Das DIW unterstützt die Rechnung, der Pisa-Chef auch. Aber selbst die, die sagen 'viel zu hoch', rechnen damit, dass 2040, wenn alle Corona-Jahrgänge im Arbeitsmarkt angekommen sind, der ökonomische Effekt bei etwa 300 Milliarden Euro Gesamtverlust liegt. Bis 2050 würde er sich auf über 700 Milliarden Euro mehr als verdoppeln.
Das zum Finanziellen – weil das die Politiker sichtlich beeindruckt.
Die psychischen Folgen scheinen ja nicht so sehr bei ihnen anzukommen. Anders als Computerspiele. Der Mensch, übrigens nicht zuletzt der junge, ist ein soziales Wesen. Kein Mensch kann ohne den anderen leben. Das beginnt schon bei der Geburt. Vereinzelung schädigt die Psyche; wen’s interessiert: Blogs und viele Experten wissen davon zu berichten.
[Mehr zum Thema: Horror Homeschooling - wie meine Kinder lernten, dass ich keine Ahnung habe (T+)]
Hinzu kommt: Wie viele Eltern können nicht leisten, was quasi selbstverständlich vorausgesetzt wird – Homeschooling. Wie viele sind nicht privilegiert, haben keine Laptops, Drucker, keine großen Wohnungen. Wie viele haben keine Arbeit mehr oder verlieren sie gerade. Kurz: Es geht um Millionen. Was übrigens, für die Hartgesottenen, auch wieder ein wirtschaftlicher Aspekt ist.
Wiedereröffnung von Schulen und Kitas ist Lackmustest
Von dem, was diese Politik der Verfassung auf Dauer antut, weil Gesundheitsschutz Vorrang gewährt wird, weil Debatten darum nicht geführt werden, (weitgehend) zu schweigen. Nur so viel: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat schon mehrmals angemahnt, sich der Frage zu stellen, ob wir jedes Leben um jeden Preis schützen wollen. Was bedeutet das für die Freiheitsrechte des Einzelnen, zum Beispiel?
Geführt werden muss eine solche Debatte, zur Selbstvergewisserung auch der Politiker. Ja, und dieser Impuls kommt von Schäuble, der selbst eine Hochrisikoperson im Hinblick auf Covid ist.
Was also tun? Die Idee eines Stufenplans, vorgelegt von einigen Ministerpräsidenten, ist doch mindestens diskussionswürdig. Sie wird auch unterstützt von der Diakonie Deutschland, einer bedeutenden Sozialorganisation.
Copyright Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie: „Ein Stufenplan für die Wiedereröffnung von Schulen und Kitas wäre ein wichtiges Signal für die Familien in Deutschland, die nun schon seit Monaten unter Pandemie-Stress stehen. Wenn der Lockdown noch einmal verlängert wird, braucht es solche positiven Perspektiven, dass es danach endlich wieder aufwärts geht. Die Politik darf bei der schrittweisen Öffnung von Kitas und Schulen allerdings nicht zu kurz springen: Für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer muss es überzeugende Schutzkonzepte geben. Dazu gehören Schnelltests, Hygienepläne und Vorbereitungen für zügige Impfungen. Damit wird die Wiedereröffnung von Schulen und Kitas zum Lackmustest für das Wiederhochfahren aller anderen Bereiche des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens.“