Corona-Beschlüsse: Was dicht bleibt, wer öffnen darf – ein Überblick
Der Lockdown wird bis zum 7. März verlängert. Kitas, Schulen und Friseure dürfen bald wieder öffnen. Für weitere Lockerungen ist eine Inzidenz von 35 entscheidend.
Deutschland bleibt bis mindestens 7. März im weitgehenden Corona-Lockdown. Nachdem das Kanzleramt zunächst den Lockdown bis 14. März verlängern wollten, einigte man sich auf eine dreiwöchige Verlängerung des bisher bis Mitte Februar begrenzten Lockdowns. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, die Zeitspanne "sei existentiell", damit sich die Virus-Mutationen nicht zu stark ausbreiten. Es gelte, nicht in einer Wellenbewegung zu kommen, mit "rauf und runter, auf und zu".
Allerdings dürfen Grundschulen auch im Februar schon zu Präsenzunterricht zurückkehren und Kitas über die Notbetreuung hinaus öffnen, Berlin und Brandenburg planen das ab dem 22. Februar. Bei weiterführenden Schulen sind erstmal keine größeren Öffnungen über bestehende Regelungen hinaus geplant.
Merkel sagte, ihr wäre bei Schulen und Kitas ein Schließen bis 1. März lieber gewesen. "Aber ich weiß auch, dass wir in einem föderalen Staat leben." Sie habe hier als Kanzlerin kein Veto-Recht gegen die Länder.
Durchsetzen konnte sich Merkel im Gegenzug mit einer strengeren Regelung für weitergehende Öffnungsschritte. So soll etwa der Handel erst ab einer stabilen Situation von rund 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen öffnen. Und dann auch nur mit einer Begrenzung von einem Kunden je 20 Quadratmeter. Bisher galt eigentlich eine 50er-Inzidenz als mögliche Grenze. Zusätzliche Hoffnung für mehr Schutz machten bald zur Verfügung stehende Corona-Selbsttests, sagte Merkel.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) betonte, es sei fatal, jetzt vielleicht ein, zwei Wochen zu früh abzubrechen, die Lage werde stetig besser und es gehe darum, noch mehr schwere Verläufe und Todeszahlen zu verhindern.
Die wichtigsten Ergebnisse des Corona-Gipfels im Überblick:
- Der Lockdown wird verlängert - bis zum 7. März
- Für Schulen und Kitas soll schon früher die Möglichkeit von Lockerungen geben. Die Länder entscheiden für sich, was wann passieren soll.
- Friseure sollen am 1. März wieder öffnen können.
- Bund und Länder wollen frühere Corona-Impfungen für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher prüfen lassen.
- Der Handel darf erst ab einer Zahl von 35 Neuinfektionen je 100.000 Neuinfektionen in sieben Tagen öffnen.
- Die derzeit gültigen Kontaktbeschränkungen bleiben bestehen.
- Nicht notwendige private Reisen und Besuche – auch von Verwandten – sind weiterhin zu unterlassen. Das gilt auch im Inland und für überregionale tagestouristische Ausflüge.
- Die Gastronomie muss sich auf längere Schließungen einstellen.
- Die nächsten Entscheidungen sollen am 3. März fallen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte, man gehe langsamer als andere Staaten vor, biete aber auch bessere Perspektiven. Es gehe auch um einen "Sicherheitspuffer" für das zweite Quartal, wenn mehr Impfstoff vorliege. "Gerade heute haben wir viel Gemeinsamkeit entwickelt", lobte Merkel. „Weiter runter, runter mit der Fallzahl“ sei die Devise.
Fünf Stunden Verhandlung
Es entwickelten sich etwas ungewöhnliche Verhandlungen im Kanzleramt und vor den Bildschirmen in den Staatskanzleien und Bundesministerien.
Mittendrin wurde Vizekanzler auch noch in den Bundestag zitiert, wegen eines umstrittenen Versuchs, mit den USA einen Deal für einen Milliardenkauf von US-Flüssiggas im Gegenzug für das Fallenlassen von Sanktionen gegen das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann war sauer, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht mehr auf bundesweiten Regelungen bei den Schulen pocht. „Angela, ich bin über deinen Kurswechsel nicht erfreut“, sagte er nach Angaben mehrerer Teilnehmer.
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Aber letztlich ist es Teil eines Deals: Mehr Freiheit bei Schulen und Kitas, dafür erstmal noch ein paar Wochen den Lockdown weitgehend weiterführen, um nicht durch die Virus-Mutationen Rückschläge zu erleiden.
101 Tage Corona-Lockdown
Die Lockdown-Phase begann mit dem "Lockdown Light" und der Schließung von Gastronomie und des Kulturbereichs vor 101 Tagen Anfang November. Mitte Dezember folgten dann Schließungen etwa von Schulen, Friseuren und dem Handel.
Die SPD-Länder wollten im Vorfeld nur eine Verlängerung um zwei Wochen und einen klaren Perspektivplan für Lockerungsschritte.
Erarbeitet wurde die fünf Stunden lang diskutierte Beschlussvorlage am Vorabend bis etwa 22 Uhr von Merkel, Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), Berlins Rathauschef Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Wichtigste Änderung war am Ende die Verlängerung bis zum 7. statt gleich bis zum 14. März. Die nächste Corona-Runde ist für den 3. März angesetzt.
Strategiewechsel bei den Schulen und Kitas
Es gab zwei grundlegende Neuerungen im Vergleich zu vorherigen Beschlussrunden.
Erstens: Mit Verweis auf die Kultushoheit der Länder soll anders als bisher offen bleiben, wie die einzelnen Landesregierungen mit Schulöffnungen umgehen. Hier können die Länder einen Punktsieg gegen Kanzlerin Merkel verbuchen, die bisher immer auf möglichst bundesweit einheitliche Regelungen pochte. Erste Länder wie Sachsen wollen bereits ab kommender Woche zumindest die Kitas und Grundschulen wieder für alle öffnen.
Die Länder pochen aber trotzdem darauf, dass der Bund sich bei der Finanzierung der Schnelltests von Schulen gütig zeigt.
Bund und Länder beschlossen als weitere Schutzmaßnahme in diesem Bereich, frühere Corona-Impfungen für Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher zu prüfen. Merkel und die Länderchefs einigten sich auf einen entsprechenden Prüfauftrag an die Gesundheitsminister. Konkret geht es demnach darum, sie in der zweiten statt der dritten Prioritätsstufe für Impfungen einzuordnen.
Merkel habe darauf hingewiesen, dass gerade Erzieherinnen und Erzieher keine Möglichkeit hätten, die notwendigen Abstände einzuhalten, hieß es weiter. Deshalb müsse geprüft werden, wann diese so in die Reihenfolge eingefügt werden könnten, dass sie bald geimpft werden könnten. Derzeit laufen Impfungen der Gruppe eins, zu der Über-80-Jährige, Personal und Bewohner in Pflegeheimen sowie Gesundheitspersonal mit höchstem Ansteckungsrisiko zählen.
Weitreichende Öffnungen erst ab einer Inzidenz von 35
Und zweitens gibt es erstmals Öffnungsperspektiven. So sollen Friseure ab dem 1. März unter Hygieneauflagen wieder öffnen können. „Vor dem Hintergrund der Bedeutung von Friseuren für die Körperhygiene und der jetzt bereits seit längerem bestehenden Schließung erscheint es erforderlich, die Inanspruchnahme zu ermöglichen, da erhebliche Teile der Bevölkerung, insbesondere ältere Menschen, auf diese angewiesen sind", heißt es im Beschluss. Einzelne Ministerpräsidenten wie Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) hatten auf noch frühere Öffnungen an dieser Stelle gepocht, er verwies auch im Tagesspiegel-Interview auf das Problem, dass Alten- und Pflegeheimbewohner sich dringend wieder einen Haarschnitt wünschen würden. Friseure mussten Mitte Dezember mit Beginn des härteren Lockdowns schließen.
[Den aktuellen Beschlussentwurf vom 10.02.21 können Sie hier als PDF herunterladen. Der überholte Beschlussentwurf vom 09.02.21 ist hier als PDF archiviert. Hier finden Sie das endgültige Beschlussdokument.]
Weitere Öffnungsschritte, zum Beispiel die Wiedereröffnung von Geschäften, sollen erst ab einem Inzidenz-Wert von 35 möglich sein. In der Konferenz sagte Merkel, sie sei bei einer Inzidenz von 35 für Geschäftsöffnungen „sofort dabei“. Also kann der Einzelhandel ab der 35-Inzidenz erst öffnen, allerdings eben nur mit begrenzter Kundenzahl
Es hakt noch immer bei der digitalen Nachverfolgung
Die Idee der Lockdown-Verlängerung des Kanzleramts ist, dass, auch wegen der ansteckenderen Virusmutationen und des Impfstoffmangels die Zahlen so weit gedrückt werden sollen, dass alle Gesundheitsämter die Kontakte wieder dauerhaft nachverfolgen und Infektionsketten früher brechen können. Zudem gibt es Sorgen, dass man bei der 50er-Inzidenz schnell wieder in einem exponentiellen Wachstum mit neuen Lockdown-Maßnahmen landen könnte.
Ein Problem ist auch, dass es nicht mit dem Aufbau eines eigentlich bis Januar geplanten bundesweit einheitlichen digitalen Nachverfolgungssystems geklappt hat. Das Sormas-System ist bisher in 180 von 375 Gesundheitsämtern im Einsatz, heißt es in einer weiteren Vorlage für die Bund-Länder-Schalte.
[Mehr zum Thema: High Noon im Kanzleramt – diese Woche könnte sich entscheiden, was von Merkel bleibt (T+)]
Von Gastronomie ist bei den Lockerungsplänen ab März noch nicht die Rede, sie muss sich auf längere Schließungen einstellen.
Es fehlt an guten Lüftungskonzepten
Intensiv beraten wurden im Vorfeld auch neue Studien zu den Infektionsrisiken in geschlossenen Räumen. „Für das Infektionsrisiko über Aerosolpartikel in geschlossenen Raumen ist die eingeatmete Dosis entscheidend“, betont der Lüftungsexperte Martin Kriegel von der Technischen Universität Berlin. Er kommt in einer dem Tagesspiegel vorliegenden neuen Untersuchung zu Ergebnissen, die auch für Öffnungsschritte von großer Bedeutung sind.
[Mehr zum Thema: Angst vor Corona-Mutanten – was man jetzt über die neuen Virusvarianten wissen muss]
Die Dosis hänge ab von der Ausstoßmenge, der Atemaktivität, der Aerosolkonzentration im Raum und der Aufenthaltsdauer im Raum. Mit einer Maske könne der Aerosolausstoß und die eingeatmete Menge etwas reduziert werden, ebenso die Konzentration durch entsprechende Luftzufuhr.
Die Studie kommt zu interessanten Ergebnissen, die auch noch einmal die Debatte über Lockerungen beeinflussen dürfte. Kriegel und seine Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass ein Supermarkt mit Maskenpflicht beim Infektionsrisiko einen R-Wert von 1 hat, dass hier ein Infizierter maximal eine weitere Person anstecken wird.
„Im Vergleich dazu hat das Mehrpersonenbüro mit einer 50 Prozent reduzierten Belegung, aber ohne das Tragen einer Maske am Arbeitsplatz, einen Wert von 8." Das bedeute, dass das Infektionsrisiko in dieser Situation am Arbeitsplatz „8-mal hoher ist als im Supermarkt.“
Hingegen sei ein Theaterbesuch mit 30 Prozent Belegung und mit Tragen einer Maske auch auf dem Sitzplatz nur halb so risikoreich wie der Besuch des Supermarkts. Bei einer weiterführenden Schule, in der Räume nur zu 50 Prozent belegt sind und es eine Maskenpflicht gibt, wird der R-Wert hingegen auf immerhin 2,9 beziffert, ohne Maske liegt der R-Wert hier doppelt so hoch, weshalb Bund und Länder bei weiterführenden Schulen erst einmal weiter sehr vorsichtig vorgehen wollen.