Corona-Lockerungen in Stufen: Öffnungsstrategien in den Ländern werden immer konkreter
Nach Schleswig-Holstein hat auch Niedersachsen ein Stufenkonzept für Lockerungen vorgeschlagen. Die Bedenken in der Bundesregierung sind aber weiter hoch.
Am Mittwoch kommender Woche entscheiden Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten der Länder, ob und in welcher Form der Lockdown in der Corona-Pandemie über den 14. Februar hinaus verlängert wird.
Immerhin sinkt die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz täglich und lag am Dienstag bei 90. Das ist zwar noch ein Stück von der Zielmarke 50 entfernt, die sich Bund und Ländern gesetzt haben. Aber schon das Sinken unter die 100er Marke führt zu gedanklichen Lockerungsübungen.
So hat Schleswig-Holsteins Regierung ein Stufenkonzept erarbeitet, nach dem etwa Kontakteinschränkungen bei einer Inzidenz von unter 100 gelockert werden könnten. Niedersachsen legte am Dienstag mit einem detaillierten Sechs-Stufen-Plan nach.
Dass der Anstoß vor allem aus dem Norden kommt, ist wenig überraschend: Dort liegen die Neuinfektionen seit Wochen deutlich unter denen im Osten oder in Bayern. Das erhöht den Druck auf eine Öffnung von Schulen, Kitas, Geschäften und Kultureinrichtungen.
Bereits am 5. Januar hatten Kanzlerin und Ministerpräsidenten verabredet, dass die Länder nicht nur neue Verschärfungen anordnen, sondern sich auch Gedanken über mögliche Öffnungsstrategien machen sollten.
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Seither diskutieren Kanzleramtschef Helge Braun und seine 16 Kollegen in den Staatskanzleien über Konzepte. Auch Familienministerin Franziska Giffey legte ein Konzept vor, wie Kitas bei sinkenden Infektionszahlen schrittweise wieder geöffnet werden könnten.
Allerdings wird in Regierungskreisen eingeräumt, dass es kommunikativ schwer zu vermitteln ist, dass man gleichzeitig über Verschärfungen und Verlängerungen einerseits und Lockerungen von Maßnahmen andererseits diskutiert.
Vor allem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, in dessen Bundesland die Zahlen nicht so stark gesunken sind wie im Norden, warnt: "Lieber länger und gründlicher", sagte der CSU-Chef zum geltenden Lockdown. "Es ist nicht die Zeit, über große Lockerungen zu reden." Unter Druck gerät er aber auch dadurch, dass das Nachbarland Österreich wieder partielle Öffnungen einführt.
Niedersachsens Weil plädiert für "goldenen Mittelweg"
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat genau deshalb einen sechsstufigen Plan vorgelegt, der Bürgern mögliche Wege sowohl Richtung Verschärfungen als auch hin zu Lockerungen deutlicher machen soll - je nachdem, wohin sich die Pandemie entwickelt.
Eine Art erweitertes Ampelsystem sieht dafür sechs Stufen von einem geringen Infektionsgeschehen und viel Freiheiten (eine Inzidenz unter 10) bis zu einem eskalierenden Infektionsgeschehen und vielen Beschränkungen (Inzidenz über 200 und einem R-Wert über 1,2) vor. Dabei spricht sich Niedersachsen in der Debatte klar für einen Mittelweg bei den Ambitionen aus.
"Goldener Mittelweg" sei ein Kurs, der den sogenannten R-Wert bei 0,8 halte. Denn ein Wert über 1,0 bedeutet, dass rechnerisch jeder Infizierte mehr als eine weitere Person ansteckt. Schärfere Maßnahmen mit dem Ziel es eines R-Wertes von 0,1 bis 0,5 führten aber wiederum "in jedem Fall zu höheren wirtschaftlichen Kosten, aber kaum zu weniger Opfern", heißt es in dem Konzept der Landesregierung.
Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) argumentiert, dass man gesellschaftliche Kosten in der Pandemie besser miteinander abwägen müsse. Günther möchte deshalb neben der Sieben-Tages-Inzidenz auch Faktoren wie die Auslastung der Krankenhäuser zur Beurteilung der Lage heranziehen.
Stimmungslage in Deutschland ist unklar
Ein weiteres Problem ist für die Politiker in Bund und Ländern, dass die Stimmungslage in der Bevölkerung nicht eindeutig ist. Während das Allensbach-Institut schrumpfende Zustimmung zur Corona-Politik der Bundesregierung ausmacht, ist laut ZDF-Politbarometer die Zahl derer, denen die Einschränkungen zu weit gehen, sogar gesunken.
Einig sind sich Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten nur, dass Schulen und Kitas bei Lockerungen Priorität haben sollten. Genau deshalb hat Familienministerin Giffey ein Konzept vorgelegt, das einen schrittweisen Übergang zur Präsenzbetreuung mit zusätzlichen Maßnahmen wie etwa regelmäßigen Corona-Tests der Erzieher verbindet.
Erschwert wird die Debatte nach Angaben aus Bund-Länder-Kreisen durch zwei weitere Faktoren - Virus-Mutationen und Richter. In dem niedersächsischen Papier wird darauf verweisen, dass die Ausbreitung der hochansteckenden Mutanten bisher nicht eingerechnet sei.
Sollten sich die zuerst in Großbritannien, Brasilien und Südafrika festgestellten Virus-Mutationen bis zum Treffen am 10. Februar stark ausbreiten, dürften die Lockerungsdebatten wieder in den Schubladen verschwinden.
Dazu kommt wie zum Ende der ersten Corona-Welle die Sorge, dass Gerichte eine schrittweise Öffnung zu sehr beschleunigen könnten. Schließlich müssen sie die Einschränkungen von Grundrechten in verschiedenen Bereichen gegeneinander abwägen. "Deshalb wird die Ministerpräsidentenkonferenz am 10. Februar die möglicherweise am besten vorbereitete seit langem sein - aber was wir dann beschließen können, weiß derzeit niemand", heißt es in Regierungskreisen in Berlin. (Reuters)
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