Neonazi-Überfall auf Journalisten: Linke und Opferberatung kritisieren Ermittler in Thüringen
Nach dem Überfall von Rechtsextremisten auf zwei Journalisten gibt es laute Vorwürfe gegen die Behörden: Ist die Strafverfolgung inkonsequent?
Nach dem Neonazi-Überfall auf zwei freie Journalisten im Eichsfeld hat die thüringische Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner Polizei und Staatsanwaltschaft eine "schleppende Ermittlungstätigkeit" vorgeworfen. Diese sei "mehr als befremdlich", sagte Renner dem Tagesspiegel. Auch die thüringischer Opferberatung Ezra schloss sich den Vorwürfen an. Sie nannte die Strafverfolgung "inkonsequent".
Am Sonntag waren die beiden Reporter, die Fotos vom Grundstück des thüringischen NPD-Vorsitzenden Thorsten Heise in Fretterode gemacht hatten, von zwei Männern verfolgt worden, die mit Messer, Baseball-Schläger und Schraubenschlüssel bewaffnet waren. Das Auto der Journalisten wurde zerstört, ihre Fotoausrüstung geraubt. Die beiden Journalisten wurden leicht verletzt.
Renner sagte am Mittwoch: "Ich kann nicht verstehen, warum man nicht schon am Sonntag bei einem der Tatverdächtigen eine Durchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln vorgenommen hat." Sie fügte hinzu: "Angesichts der Schwere der Tat hätte versucht werden müssen, sowohl Kleidung vom Tattag, Baseballschläger, Messer, Schraubenschlüssel sowie Handys sicherzustellen. Es ist nicht auszuschließen, dass es über die Handys Absprachen im Vorfeld des Angriffs und danach gab."
Angesichts hunderter untergetauchter Neonazis, die sich aktuell ihrer Verhaftung entziehen und den Erfahrungen aus dem NSU-Komplex müsse auch geprüft werden, ob die beiden mutmaßlichen Täter nicht in Untersuchungshaft genommen werden müssten, verlangte die Politikerin.
Theresa Lauß, Beraterin bei Ezra (Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen), sagte am Donnerstag: "Obwohl Fotos der Täter und des Tatortes vorliegen und die beiden angegriffenen Journalisten schon am Tag des Angriffs eine Aussage bei der Polizei gemacht haben, sind die Täter weiterhin auf freiem Fuß. Es verwundert, dass noch kein Täter in Untersuchungshaft genommen wurde."
War Heise involviert?
Die Nähe der Angreifer zum Neonazi Heise werfe die Frage auf, "inwiefern und ob der einschlägig vorbestrafte Heise in den Tatzusammenhang involviert war oder sogar Waffen zur Verfügung gestellt haben könnte". Lauß sagte: "Der Einsatz von Waffen, der in diesem Fall den Straftatbestand der versuchten Tötung erfüllt, muss konsequent geahndet und Beweise gesichert werden."
Die Opferberatung Ezra registriert schon seit Jahren eine Brutalisierung der Angriffe durch Neonazis auf Journalisten. Durch die hohe Gefährdung werde es zunehmend schwieriger, zu Neonazistrukturen und Akteuren zu recherchieren und darüber zu berichten. "Lediglich eine konsequente Strafverfolgung der Polizei und Staatsanwaltschaft kann die Pressefreiheit an dieser Stelle gewährleisten", sagte Lauß.
NPD-Funktionär unter Verdacht
Die Landespolizeiinspektion Nordhausen hatte am Montag erstmals über den Vorfall informiert und auf der Basis von Aussagen der Opfer mitgeteilt, zwei 24-Jährige aus der rechten Szene seien die mutmaßlichen Täter. Inzwischen liegt den Ermittlungsbehörden die SD-Karte mit Fotos vom Tatgeschehen vor, die eines der Opfer gemacht hat. Damit wird einer der zunächst genannten mutmaßlichen Täter entlastet. Weiter unter Verdacht steht der andere 24-Jährige. Er soll auf dem Nachbargrundstück von Heise leben und Landesvorstandsmitglied der NPD in Niedersachsen sein. Über den zweiten Tatverdächtigen machen die Behörden derzeit keine Angaben.
Noch am Sonntag hatte die Polizei das Grundstück von Heise nach möglichen Beweismitteln durchsuchen lassen - der thüringische NPD-Vorsitzende ließ die Beamten freiwillig auf sein Gelände. Die Sprecherin der Landespolizeiinspektion Nordhausen, Fränze Töpfer, bestätigte am Mittwoch auf Anfrage, dass es andere Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Fall bisher nicht gegeben habe. Einen Durchsuchungsbeschluss könne nur die Staatsanwaltschaft anordnen. Bisher würden die Beweise dafür nicht ausreichen, "wir stecken noch mitten in den Ermittlungen". Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Mühlhausen, Dirk Germerodt, sagte dem Tagesspiegel, die Auswertung der SD-Karte dauere an.
Vorwürfe nach Festival in Ostritz
Der mehrfach vorbestrafte Heise war Organisator des Neonazi-Festivals "Schild & Schwert" am vorletzten April-Wochenende im ostsächsischen Ostritz. Auch damals hatte es Kritik an den Ermittlungen gegeben.
Zwar hatte die Polizei in Sachsen auf dem Festival T-Shirts mit der Aufschrift "Arische Bruderschaft" und dem Logo einer SS-Division beschlagnahmt, weil sie von einem Verstoß gegen den Paragraphen 86a - Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - ausging. Die Wohn- und Geschäftsräume von Heise indes wurden nicht durchsucht, obwohl ein von ihm betriebener Online-Handel die gleichen T-Shirts und auch andere Produkte mit entsprechender Aufschrift und Logo vertreibt.