Nach dem Scheitern von Jamaika: Linke fordert Neuwahlen - und den Linksschwenk der SPD
"Die Linke ist in keinem sehr guten Zustand für Neuwahlen", sagt Ex-Fraktionschef Gregor Gysi. Die Partei fordert sie dennoch. Und verbindet damit Hoffnungen auf Rot-Rot-Grün.
Das Scheitern der Jamaika-Sondierer hat die Linke kalt erwischt - wie wohl die meisten Parteien. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping tritt die Vorwärtsverteidigung an und nennt Neuwahlen "die demokratisch angemessene Konsequenz". Das Aus für ein schwarz-gelb-grünes Regierungsbündnis betrachtet sie als "Zäsur" und auch als eine Chance. "Es ist Zeit für einen Neuanfang", verkündet Kipping. Die Linke werde sich "sehr unerschrocken" auf alle Eventualitäten einstellen.
Gemeint ist Rot-Rot-Grün - eine Regierungsbündnis, das zuletzt ernsthaft nur kurz nach der Ernennung von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Gespräch war. Für das die Linke aber werben würde, sollte es zu Neuwahlen kommen - wenigstens ihr reformorientierter Teil. "Ganz klar: Wir stehen für Mitte-Links-Bündnisse", erklärt Linksfraktionschef Dietmar Bartsch im MDR. "Wir wollen einen Kurswechsel in Deutschland und in Europa". Als Partner für mögliche Veränderungen nennt er die Sozialdemokraten als "erste Adresse".
Ob wirklich SPD und auch Grüne auf das Werben eingehen und die Option Rot-Rot-Grün in einem womöglich notwendig werdenden neuen Bundestagswahlkampf offensiv spielen würden, darüber gehen die Meinungen in der Linkspartei auseinander. Zwar sagt auch Bartschs Ko-Chefin Sahra Wagenknecht, Deutschland brauche eine Politik der sozialen Verantwortung. Sie fügt noch in der Nacht zum Montag eine Aufforderung vor allem an die SPD hinzu: "Neuwahlen werden nur dann die Chance auf neue Mehrheiten bringen, wenn die großkoalitionären Verlierer der letzten Wahl sich personell und inhaltlich neu aufstellen." Am Vorabend, als die Jamaika-Sondierungen noch liefen, hatte sie in der Talkshow "Anne Will" die SPD dafür gelobt, dass sie nach der Wahl auf eine große Koalition verzichtet hat.
Parteivize Wissler: Linksbündnis braucht längere Vorbereitung
Linken-Parteivize Janine Wissler ist skeptisch, was die Chance auf Rot-Rot-Grün angeht. Ein solches Bündnis "braucht doch eine etwas längere Vorbereitung", sagt sie. Und auch Ex-Fraktionschef Gregor Gysi wagt keine Prognose, wohin die SPD steuert. Er sei "noch gar nicht sicher, dass wir zu Neuwahlen kommen", erläutert Gysi dem Tagesspiegel. "Die SPD könnte glauben, dass sie jetzt mehr bei der Union erreichen kann als vor den Jamaikaverhandlungen. Zwar würde es der SPD trotzdem schaden, aber sie hat Schaden für sich noch nie gemieden."
Offen spricht Gysi aus, was viele in der Partei denken: "Die Linke ist zur Zeit in keinem sehr guten Zustand für Neuwahlen. Aber sie hat auch die Fähigkeit, sich wieder zusammenzurappeln und ein gutes Ergebnis zu erzielen." Es ist eine Anspielung auf den Streit, unter führenden Genossen, der nach der Bundestagswahl offen ausgebrochen war. Wagenknecht in einem Brief an die Mitte Oktober in Potsdam tagende Klausur der Linksfraktion Kipping und ihren Ko-Chef Bernd Riexinger offen attackiert, ihnen "Intrigen" und einen "penetranten Kleinkrieg" vorgeworfen. Kipping und Riexinger wiesen die Vorwürfe mit Nachdruck zurück.
Parteimanager trat nach Führungsstreit zurück
Ausgestanden ist der Konflikt längst nicht. Vor gut einer Woche erklärte Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn seinen Rücktritt und begründete das auch mit den Auseinandersetzungen in der Führung. Ob sein Nachfolger, der frühere Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf, ein guter Schlichter sein wird, muss sich noch weisen.
Neuen Zündstoff für die innerparteilichen Auseinandersetzungen gibt es derweil immer wieder. Erst vergangene Woche überraschte Wagenknechts Ehemann, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, die Genossen mit der Forderung nach einer neuen "linken Sammlungsbewegung". Der "Saarbrücker Zeitung" sagte Lafontaine, er stelle sich manchmal die Frage, ob er innerhalb der SPD mehr hätte bewirken können. "Aber das ist vergossene Milch." Die "neue Sammlungsbewegung der politischen Linken" müsse über SPD und Linkspartei hinausreichen, verlangte er.
Fast zeitgleich provozierte Wagenknecht ihre Parteifreunde erneut mit einer umstrittenen Wortmeldung zur Asyl-Politik. In einem Interview ging sie auf den Ärztemangel in Deutschland ein und fragte: "Wieso kann ein reiches Land wie Deutschland nicht seine Fachkräfte selbst ausbilden?" Sie kritisierte, dass Deutschland, um die Versorgungslücke zu schließen, Ärzte aus dem Irak, Syrien, dem Niger oder anderen armen Ländern hole - "zynischer geht’s nicht."
Parteivize Wissler entgegnete dazu in einem Facebook-Post an die "liebe Sahra", es sei nicht so, dass "wir" "uns" Ärzte aus Syrien "geholt" hätten: "Die Menschen sind vor einem Krieg geflohen." Und diese Ärzte würden, ebenso wie die aus dem Irak, auch nicht mit offenen Armen empfangen, sondern seien mit großen asylrechtlichen und bürokratischen Hürden konfrontiert. Zahlreiche Spitzengenossinnen und -genossen likten die Replik.