Ansbach, Merkel und die Flüchtlinge: Linke fallen über Sahra Wagenknecht her
Das "Wir schaffen das" von Angela Merkel sei "leichtfertig" gewesen, sagt Sahra Wagenknecht - und fordert eine Debatte über "Gefahrenpotenziale" von Flüchtlingen. Sabotiert sie Rot-Rot-Grün?
Die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht bekam den Beifall von der falschen Seite. "Ganz richtig! Schuld hat maßgeblich die verfehlte deutsche Flüchtlingspolitik. Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD", twitterte André Poggenburg, Fraktions- und Landeschef der AfD in Sachsen-Anhalt.
Aktueller Anlass: eine Wortmeldung von Wagenknecht zur Flüchtlingspolitik nach dem Selbstmordattentat in Ansbach. Die Ereignisse der letzten Tage zeigten, "dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte", hatte die Linken-Politikerin erklärt. Und: "Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten."
Wagenknecht wiederholte das so ähnlich in Statements für die "heute"-Nachrichten des ZDF und die ARD-"tagesthemen" - während in ihrer eigenen Partei längst eine heftige Diskussion um die Äußerung entbrannte. Für viele passte sie ins Bild. Schon mehrfach hatte die Oppositionsführerin viele ihrer Genossen gegen sich aufgebracht. "Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt", erklärte sie nach den Silvesterübergriffen in Köln - eine Äußerung, die sie nach heftiger innerparteilicher Kritik nicht mehr wiederholte.
Wagenknecht spricht von "Fehlinterpretationen"
Auch die Brisanz ihrer Äußerung zu Ansbach hatte Wagenknecht offenbar zunächst unterschätzt. Am Dienstag erklärte sie auf Facebook, ihre Stellungnahme habe offenbar zu "Missverständnissen" und "Fehlinterpretationen" geführt. "Es ging mir weder darum, die Aufnahme von Flüchtlingen zu kritisieren noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen", versicherte sie: "Das habe ich weder gesagt noch gemeint." Sie betonte weiter, dass sie "rassistische Parolen und pauschale Verdächtigungen von Schutzsuchenden" immer wieder mit aller Deutlichkeit kritisiert habe. Zugleich erneuerte Wagenknecht ihre Kritik an Merkel, die ihr "Wir schaffen das" zwar "fleißig gepredigt" habe, es "aber unterlassen hat, die notwendigen sozialen und politischen Voraussetzungen zu schaffen, die gebraucht werden, damit Integration gelingen kann".
Es ist eine Masche, die auch aus der AfD bekannt ist: Erst provozieren - und später soll alles nicht so gemeint gewesen sein.
Deutlich auf die Wortmeldung vom Montag hatte zunächst Matthias Höhn reagiert, der Bundesgeschäftsführer der Linken. "Der Respekt vor den Opfern gebietet es, sich mit lauten, populistischen Reaktionen zurückzuhalten", schrieb er auf Facebook, ohne die Fraktionsvorsitzende dabei namentlich zu erwähnen. Der Parteimanager betonte: "Der Terrorismus ist nicht mit den Flüchtlingen ins Land gekommen." Und mahnte: "Die Ermittlungen zu den schrecklichen Taten der letzten Tage haben gerade begonnen. Politik tut gut daran, die Ergebnisse abzuwarten." Mit Blick auf das von den IS-Terroristen für sich reklamierte Attentat in Ansbach erklärte Höhn: "Jede Einschränkung unserer offenen Gesellschaft aufgrund dieses Anschlages wäre ein Sieg für den IS. Millionen hat der IS in die Flucht getrieben, viele haben den Weg nach Europa geschafft, auch hierher zu uns. Es wäre geradezu zynisch, diesen Menschen ausgerechnet wegen des IS pauschal Aufnahme und Hilfe zu verweigern."
Besonders groß ist die Verärgerung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die Linke im September bei Wahlen behaupten muss. "Mein Bundesgeschäftsführer spricht mir aus dem Herzen", erklärte der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer. Und teilte auf Twitter Beiträge, in denen es beispielsweise hieß: "Das Statement von Wagenknecht in ZDF-"heute" bewahrt mich davor, Die Linke Berlin zu wählen." Der frühere Landesvorsitzende der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter, warnte vor Wagenknecht-Wahlkampfeinsätzen im Nordosten: "Ich hoffe, niemand aus meinem wahlkämpfenden Landesverband lädt diese Genossin zu irgendwas ein..."
Verärgert sind auch alle, die Rot-Rot-Grün für eine denkbare Option nach der Bundestagswahl 2017 ansehen - und Wagenknecht als Saboteurin dieser Variante.
Kritik von Landtagsabgeordneten: Plumpe Stimmungsmache
Landauf und landab schlossen sich Funktionäre und Anhänger der Linkspartei den Wagenknecht-Kritikern an. "Ich wünsche mir mehr klare Haltung von der Linkspartei, was die Flüchtlingspolitik betrifft. Finde die aktuelle Wagenknecht-Position gefährlich", erklärte die frühere Piraten-Politikerin Anke Domscheit-Berg, die 2017 für die Linke in Brandenburg in den Bundestag einziehen will. Der Berliner Landtagabgeordnete Stefan Liebich verschickte einen Satz aus dem Parteiprogramm "Schutzsuchende dürfen nicht abgewiesen werden", dazu der Kommentar: "Aus gegebenem Anlass: Das ist unsere Position!"
Auch Ko-Fraktionschef Bartsch geht auf Distanz
Jan van Aken, Außenpolitiker der Linken-Bundestagsfraktion, forderte die Ablösung von Wagenknecht: "Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzender einer Linksfraktion sein."
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch begrüßte Wagenknechts "Richtigstellung", wie er am Dienstag den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" sagte. Er habe jedoch seine Kritik an ihrer Presseerklärung vom Montag "zuvor persönlich und deutlich übermittelt". Den in der Partei laut gewordenen Rücktrittsforderungen wollte sich Bartsch aber nicht anschließen.
Noch deutlicher in ihrer Kritik wurde die thüringische Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König. Sie hält die Äußerung von Wagenknecht für "puren, widerwärtigen Rechtspopulismus". Auf Twitter schrieb König: "Forderungen der Rechtspopulisten posaunen, ihnen damit den Weg bereiten, das alles als links darstellen. Dinge, die Sahra Wagenknecht kann." Ihre sächsische Kollegin Juliane Nagel betonte: "Plumpe Stimmungsmache passt nicht zu der Linken, deren Mitglied ich bin." Wagenknecht habe eine Politik, die temporär Schutzsuchenden Schutz bot, verantwortlich für einen versuchten Terroranschlag gemacht. "Und das ist kein Zufall, das ist Kalkül."
Riexinger: Das war nicht akzeptabel
Auf ihrem offiziellen Twitter-Account versicherte die Linkspartei auf die Frage, ob jemand mit Rang in der Partei die Position von Wagenknecht unterstütze: "Die meisten sehen das eher so wie Matthias Höhn."
Die Linke-Vorsitzenden Katja Kipping veröffentlichten am Dienstag eine gemeinsame Erklärung, in der Wagenknecht zwar namentlich nicht erwähnt wird, die aber doch auch auf sie gemünzt ist. In ihr heißt es, die schrecklichen Taten der vergangenen Tage dürften "nicht dazu führen, dass Flüchtlinge und Asylbewerber unter Generalverdacht gestellt werden". Alle Statistiken und Einschätzungen der Polizei und Justiz zeigten: "Geflüchtete sind weder gewalttätiger noch krimineller als der Durchschnitt der Bevölkerung. Viele Flüchtlinge sind gerade vor dem Terror des IS geflohen."
Kipping und Riexinger forderten eine "besonnene und ernsthafte gesellschaftliche Diskussion über die vielschichtigen Ursachen solcher Gewalttaten und Anschläge". Sie betonten: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die berechtigte Angst vor Anschlägen reaktionärer Islamisten genutzt wird, um noch mehr Rassismus gegen Menschen muslimischen Glaubens zu schüren!"
In einem Interview mit der "taz" sagte Riexinger, die erste Stellungnahme Wagenknechts vom Montag sei "natürlich nicht akzeptabel" gewesen, die Klarstellung der Linksfraktionschefin vom Dienstag habe man positiv zur Kenntnis genommen - "eine Klarstellung in der keine Missverständnisse vorherrschen und die auch die Position der Partei wiedergibt." Es sei richtig, dass Merkel es versäumt habe, die richtigen Schritte für eine erfolgreiche Integrationspolitik zu gehen. Aber ein Hinweis dazu müsse "dann eben auch so formuliert sein, dass klar ist, das Problem ist die Politik von Frau Merkel und es sind nicht die Flüchtlinge".
Kritik aus SPD und Grünen
Klar auf Distanz gingen führende Vertreter von SPD und Grünen. Eva Högl, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, für "grundsätzliche Kritik unserer Flüchtlingspolitik" gebe es "keinen Grund". Der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu twitterte: "Soll sie doch auch die Partei wechseln, wenn sie AfD-Position so toll findet und sich zu eigen macht. #Pfuideibel". Sein Kölner Kollege Volker Beck fragte auf Twitter: "Ob Sahra Wagenknecht schon mal bei Frauke Petry sondieren geht? #imzweifelmitfrauke."
Auf dem Linken-Bundesparteitag Ende Mai in Magdeburg hatten linke Aktivisten Sahra Wagenknecht mit einer Torte beworfen. Auf Flugblättern erklärte eine "Initiative Torten für Menschenfeinde" dazu, die Linken-Fraktionsvorsitzende sei "stets darum bemüht, den ,Volkszorn' in politische Forderungen zu übersetzen" und mache die Linkspartei so "unerträglich". Damals solidarisierte sich der Parteitag klar mit Wagenknecht. Parteichefin Kipping sagte: "Das war nicht nur ein Angriff auf Sahra. Das war ein Angriff auf uns alle."
Am Dienstag schrieb ein Twitter-Nutzer, er frage sich, ob Kipping nun "auch gerne jemanden torten würde" - sprich: eine Torte auf Wagenknecht werfen wolle. Die sächsische Linken-Landtagsabgeordnete Nagel antwortete: "Ich hoffe es inständig."