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Auch als Chefin der Linksfraktion in einer Sonderrolle: Sahra Wagenknecht
© imago/Metodi Popow

Linke und Flüchtlinge: Ärger um Sahra Wagenknecht

In der Linksfraktion ist Sahra Wagenknecht für ihre Reaktion auf die Kölner Übergriffe heftig gerüffelt worden. Aber sie spitzt weiter zu - und findet auch Fürsprecher.

Das Lob der Rechtspopulisten hat gerade noch gefehlt. „Frau Wagenknecht hat die Situation sehr schön auf den Punkt gebracht“, findet AfD-Vize Alexander Gauland. „Wer freiwillig zu uns kommt, hat sich wie ein Gast zu benehmen. Möchte oder kann er das nicht, indem er gewalttätig und respektlos seinen Gastgebern gegenübertritt, dann muss er sofort Deutschland verlassen.“

Er freue sich darüber, so Gauland, „dass die Linke dies nun genauso wie die AfD sieht“.

Einen Tag vorher hatte Sahra Wagenknecht ganz anderes zu hören bekommen – aus ihrer eigenen Truppe. Mit Vehemenz und nahezu geschlossen stellte sich die Linksfraktion gegen ihre Vorsitzende.

Deren Äußerung nach den Silvesterübergriffen in Köln („Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“) sei nicht hinnehmbar, donnerten die Abgeordneten. Weil das Recht auf Asyl nicht verwirkbar sei. Weil man als Linke Solidarität und Menschenrechte gefälligst nicht in Frage zu stellen habe. Und weil ja wohl auch keiner ernsthaft daran denken könne, syrische Flüchtlinge zurück in die Folterkeller des Assad-Regimes zu schicken.

Nur sechs Parlamentarier verteidigten die Fraktionschefin

Partei für Wagenknecht ergriffen in der Runde der Erzürnten gerade mal sechs Parlamentarier. Der nordrhein-westfälische Linksaußen Alexander Neu. Der verlässlich gegen den Strom schwimmende Musikproduzent Diether Dehm. Der hemdsärmlige Gewerkschafter Klaus Ernst. Der Ex-Kommunist Wolfgang Gehrcke. Der einstige Verdi-Funktionär Michael Schlecht. Und der sächsische Realo Michael Leutert.

Groß beeindruckt scheint die selbstbewusste Fraktionschefin von dem Tribunal nicht gewesen zu sein. Sie habe schon kapiert, dass der Begriff Gastrecht für „einige negativ konnotiert“ sei, sagte die Gescholtene. Sie „glaube aber, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass man von Menschen, denen man Schutz gewährt, auch erwarten kann, dass sie die Regeln unseres Landes respektieren“.

"Eine völlig normale Auffassung"

Das sei eine „völlig normale Auffassung“, nicht etwa eine rechtslastige, wie ihr die Fraktion zu unterstellen versuche.

Der Chemnitzer Linken-Abgeordnete Leutert sieht das genauso – und zwar nicht erst seit den Kölner Vorkommnissen, wie er betont. Auch in der Genfer Flüchtlingskonvention sei festgelegt, dass sich Flüchtlinge an die im Aufnahmeland geltenden Regeln zu halten hätten. „Für Otto Normalverbraucher heißt das: Wenn ich jemanden in meine Wohnung eingeladen habe und von ihm beklaut werde, hat er zu gehen.“

Im Prinzip gebe es dann ja nur zwei Möglichkeiten, sagte Leutert dem Tagesspiegel. „Die Leute abzuschieben. Oder unsere Rechtsordnung mit mehr Polizei, mehr Richtern und auch mehr Gefängnissen durchzusetzen.“ Von den Linken traue sich bisher aber leider keiner, das so zu sagen.

Mehr Pragmatismus, weniger Ideologie

Das Gleiche bei der Debatte um Flüchtlingsbegrenzungen. „Wir wollen keine Obergrenzen wie die CSU“, sagt Leutert. „Aber wir können auch nicht jedes Jahr eine Million Asylbewerber aufnehmen und integrieren.“ Diesem Problem müsse man sich „mit Pragmatismus, nicht mit Ideologie stellen“, fordert der Abgeordnete. Ansonsten laufe man Gefahr, in der „äußerst gespannten Situation“ überhaupt nicht mehr gehört und ernst genommen zu werden.

Sein Vorschlag: ein „dynamisches“ und mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen festgelegtes Kontingent an Kriegsflüchtlingen, dessen Höhe sich nach den weltweiten Flüchtlingsströmen richtet. Es sei ja nichts gewonnen, „wenn alles kippt und die Bevölkerung irgendwann gar keine Flüchtlinge mehr akzeptiert“.

Manche sagen es noch drastischer, wenn auch hinter vorgehaltener Hand: Mit der Ablehnung jeglicher Asyl- und Strafrechtsverschärfungen, wie in Reaktion auf Wagenknecht sogleich von der aufgeregten Fraktion beschlossen, und einem Parteiprogramm, das munter „offene Grenzen für alle“ propagiert, werden die Linken bei ihrer Basis ein Problem bekommen. Bei den Arbeitslosen und Geringverdienern, die sich mit den Flüchtlingen in Konkurrenz um billige Wohnungen und Jobs sehen. Und insbesondere in ihren Stammländern im Osten, wo der Altersdurchschnitt der Mitglieder grade noch so unter 70 Jahren liegt.

Nach einer Forsa-Umfrage vom Januar liebäugelt mehr als jeder vierte Linken-Sympathisant mit der Teilnahme an Pegida-Protestmärschen. Und 16 Prozent ihrer Anhänger können sich vorstellen, bei den nächsten Wahlen für eine Partei zu stimmen, die den Islam in Deutschland bekämpft.

Natürlich sei das, was AfD und Pegida predigten, Rassismus, beeilt sich Leutert zu versichern – und wer dorthin wolle, den könne man nicht aufhalten. „Aber denen, die uns fragen, wie viele Flüchtlinge wir eigentlich noch aufnehmen wollen, müssen wir doch eine Antwort geben.“ Die ganzen Probleme der Linken rührten daher, „dass wir uns seit Monaten einer ernsthaften ehrlichen Debatte über dieses Thema verweigern“.

Im Pegida-Land Sachsen sehen auch Linke ein Problem

Rico Gebhardt, Partei- und Fraktionschef der Linken im Pegida-Land Sachsen, hat die Problematik wohl nicht von ungefähr schon vor Monaten angespielt. Während die parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte ihrer Partei empfiehlt, sich lieber von bestimmten Wählern zu verabschieden, hält er herzlich wenig von einer Linken als „selbstzufriedener Außenposten, der selbstgerecht auf der Kanzel steht und dem Volk predigt, wie es die Welt zu sehen hat“. Und appelliert an die Partei, ihren besorgten Wählern gefälligst auch eine Antwort auf die Frage zu geben: „Wo führt das alles hin?“

Der sächsische Abgeordnete Leutert warnt schon mal: „Wenn wir unsere Gesellschaft ruinieren, gibt es hier auch niemanden mehr, der Flüchtlingen helfen kann.“ Die Kölner Vorkommnisse seien „nur ein kleiner Vorgeschmack“ gewesen, die eigentlichen Probleme kämen erst noch. Zum Beispiel, wenn „in Chemnitz 10 000 Muslime leben, die dann auch sagen, wir wollen eine Moschee“.

Wenn man Menschen aufnehme, müsse man auch „gewährleisten, dass ihre Integration in die Gesellschaft funktioniert“, beharrte Wagenknecht nach der Standpauke ihrer Fraktion. Der Wettbewerb um billige Mieten werde „zwangsläufig die Mieten nach oben treiben“, warnte sie. Und auch der Arbeitsmarkt sei nicht unbegrenzt. Es gebe hierzulande jetzt schon 2,2 Millionen Facharbeiter, die von einem Minijob leben müssten.

Selbst das "Neue Deutschland" zeigt Verständnis

Ist das noch Realitätsbeschreibung oder schon populistisches Ängsteschüren? Das „Neue Deutschland“ ging am Donnerstag auffällig mild mit der Querulantin an der Fraktionsspitze um. Es sei „nicht schon Verrat an den eigenen Werten, auch die Ausweisung von Kriminellen für ein legitimes Mittel des Rechtsstaats zu halten, nicht einmal, wenn diese einen Asylantrag gestellt haben“, kommentierte das der Linken nahestehende Blatt.

Wagenknecht sattelte gleich noch eins drauf. Es würde Deutschland „zerreißen“, wenn in diesem Jahr erneut eine Million Flüchtlinge kämen, sagte sie am Donnerstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, zu dem unter anderem die „Leipziger Volkszeitung“ gehört. Natürlich gebe es Kapazitätsgrenzen,  "wer das leugnet, ist doch weltfremd." 

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