Parteitag der Linken in Magdeburg: Tortenattacke auf Sahra Wagenknecht
Auf dem Linken-Parteitag greifen Aktivisten Fraktionschefin Wagenknecht an – wegen ihrer Äußerungen zum Asylrecht. Kipping und Riexinger bleiben an der Spitze der Linken.
Parteichef Bernd Riexinger hat sich gerade in Rage geredet über die AfD, da kommt es auf dem Bundesparteitag in Magdeburg zum Eklat. Aktivisten laufen durch die Reihen, werfen Flugblätter mit der Überschrift „Torten für Menschenfeinde!“ zwischen die Delegierten. Ein Mann und eine Frau nähern sich Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht, die in der ersten Reihe des Plenums gerade noch verfolgt hat, wie Riexinger die AfD am liebsten „auf dem Müllhaufen der Geschichte“ sehen wollte.
Der Mann ist es, der Wagenknecht die Torte ins Gesicht wirft, während die Frau weitere Flugblätter verteilt. Braune Creme überall, auf dem Gesicht und auf dem roten Kostüm von Wagenknecht, am Boden. In den Flugblättern heißt es, ebenso wie die Vertreter der AfD sei Wagenknecht stets darum bemüht, den ,Volkszorn‘ in politische Forderungen zu übersetzen. „Die Forderung nach einem neuen Schießbefehl bleibt Beatrix von Storch und der AfD vorbehalten, die ideologische Munition wird ihnen dabei jedoch nicht zuletzt von Wagenknecht & Co. geliefert.“
Wagenknecht verlässt sofort den Saal, erst am Nachmittag taucht sie wieder auf. Gegen die beiden Aktivisten wird Anzeige erstattet.
Als sie am Nachmittag wieder auftaucht, sagt sie: „Ich lasse mich auch von dieser saudämlichen Aktion nicht davon abhalten, Politik für die Linke zu machen. Schlimmer als die ganze Torte ist die Beleidigung, mit Frau von Storch auf eine Stufe gestellt zu sein.“
Mit ihrer Attacke gegen Wagenknecht haben die Aktivisten exakt die gleiche Methode gewählt, wie sie bereits gegen Beatrix von Storch, stellvertretende Vorsitzende und Europaabgeordnete der AfD, Ende Februar in Kassel angewandt worden war. Ihr warf damals ein als Clown verkleideter Mann bei einer nicht öffentlichen Sitzung der Bundesprogrammkommission der AfD eine Torte ins Gesicht. „Tortenwürfe auf Menschen mit anderer Meinung sind Angriffe auf den Kern unserer Demokratie: sie bekämpfen die freie Meinungsäußerung mit Gewalt gegen Personen“, postete von Storch nach dem Angriff auf Wagenknecht.
Grenzen der Aufnahmebereitschaft
Wagenknecht hat in den vergangenen Wochen mehrfach mit Äußerungen zur Flüchtlingspolitik für innerparteiliche Empörung gesorgt. „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“, sagte sie nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht. Es war ein Satz, den sie dann zwar nicht mehr wiederholte. Aber auch später sprach sie von Grenzen der Aufnahmebereitschaft.
Unmittelbar vor dem Parteitag hat Wagenknecht in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur Kritik an ihrer Äußerung zurückgewiesen, nicht alle Flüchtlinge könnten nach Deutschland kommen. „Was ich damals gesagt habe, ist eine Banalität.“ Natürlich seien Kapazitäten nicht unbegrenzt. Politisch Verfolgte müssten Asyl erhalten. „Aber es nützt ärmeren Ländern nichts, wenn wir ausgerechnet die bestausgebildeten Menschen nach Deutschland holen.“ Die Linke wolle, dass die Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive haben. „Deshalb ist unsere zentrale Forderung, über die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht nur zu reden, sondern endlich etwas zu tun“.
"Das war ein Angriff auf uns alle“
Auf dem Parteitag führt die Attacke gegen Wagenknecht sofort zum Schulterschluss. „Das ist keine Form des politischen Umgangs“, sagt Riexinger. Gewalt sei in keiner Form zu akzeptieren, schon gar nicht gegen Frauen. Auch Sahra Wagenknecht habe „keiner Asylrechtsverschärfung in diesem Land jemals zugestimmt“. Riexinger setzt seine Bewerbungsrede für den Parteivorsitz – er und Katja Kipping stellten sich in Magdeburg der Wiederwahl – aber fort.
Bei von Storch war die mediale Häme nach dem Tortenangriff unübersehbar. Es war naiv zu glauben, dass diese Form der Auseinandersetzung auf die Protagonisten der AfD beschränkt bleibt.
schreibt NutzerIn misty
Nach der Riexinger-Rede tritt dann zunächst Kipping ans Rednerpult. „Das war nicht nur ein Angriff auf Sahra. Das war ein Angriff auf uns alle.“ Mit Bezug auf das Flugblatt betont sie: „Wir weisen geschlossen zurück, was hier in diesem Wisch steht.“ Solidarisch zeigt sich auch Ayman Mazyek, Präsident des Zentralrats der Muslime, der als Gast auf dem Parteitag spricht. Er wünscht Wagenknecht „gute Besserung“.
Die stellvertretende Linken-Vorsitzende Janine Wissler saß während der Torten-Attacke direkt neben Wagenknecht. „Einfach irre“, meint sie – „die gleiche Aktion wie gegen von Storch. Flugblätter hätten es auch getan.“ Nur hinter vorgehaltener Hand bedauern einige, dass nach der Aktion die Debatte um Wagenknechts Position in der Flüchtlingspolitik womöglich schwieriger wird. „Die Scheißaktion hat verhindert, dass wir uns innerparteilich auseinandersetzen können“, sagt eine Genossin aus Thüringen.
Die AfD und das Grundgesetz
Dabei gibt es Diskussionsstoff genug: Wie weit darf die Linke auf „besorgte Bürger“ zugehen? Muss sie die Wähler der AfD zurückgewinnen – und wenn ja, wie?
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die als in Marzahn-Hellersdorf direkt gewählte Bundestagsabgeordnete unmittelbar mit AfD-Milieu konfrontiert ist, wirft der rechtspopulistischen Partei vor, ein Problem mit dem Grundgesetz zu haben. Dies beginne bei Artikel eins, der Würde des Menschen, gehe weiter mit Artikel drei, der Gleichheit aller Menschen und betreffe auch die Artikel vier und fünf, die Glaubens- und Meinungsfreiheit.
„Und da habe ich über Artikel 16 des Grundgesetzes, das Asylrecht, noch gar gesprochen“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Aber da reichen die Probleme ja bis weit in Parteien der sogenannten Mitte hinein.“ Pau nennt die AfD „national-rassistisch grundiert“ und zudem „stramm neoliberal“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kann nicht nach Magdeburg kommen – er ist krank. Aber seine für den Parteitag vorbereitete Rede ist ihm wichtig, er hat sie ins Netz gestellt. „Die Thüringer Landesregierung hat Haltung gezeigt. Wir haben uns der allgemeinen Hysterie der Asylrechtsverschärfung nicht angeschlossen“, versichert der erste Regierungschef einer rot-rot-grünen Koalition.
Dämpfer für Kipping und Riexinger
Die Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, haben einen kleinen Dämpfer bei ihrer Wiederwahl bekommen. Für Kipping stimmten am Samstag in Magdeburg 74 Prozent der Delegierten des Linken-Parteitags. Vor zwei Jahren hatte die 38-Jährige noch 77 Prozent der Stimmen erhalten, was damals bereits als nicht besonders gutes Ergebnis galt. Für den Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger votierten 78,5 Prozent der Delegierten (2014: 89 Prozent). Beide hatten keine Gegenkandidaten.
Kipping und Riexinger wurden 2012 erstmals Linken-Chefs, als der Partei wegen der Flügelkämpfe zwischen Reformern und Fundamentalisten die Spaltung drohte. Inhaltlich wurde um die Bedingungen für Regierungsbeteiligungen gestritten. Kipping steht der sogenannten emanzipatorischen Linken nahe, die einen dritten Weg zwischen beiden Flügeln sucht. Riexinger kommt aus dem Gewerkschaftslager.