Klausur der Bundestagsfraktion: Linke bläst Aufstand gegen Wagenknecht ab
Sahra Wagenknecht ist in der Linken umstritten. Doch die Fraktion mag nicht auf sie verzichten. Abgeordnete wollen sie jetzt auf Regeln verpflichten.
Es hätte der Tag der großen Abrechnung werden können: Am Donnerstag trifft sich die 69-köpfige Linksfraktion des Bundestages in einem Berliner Luxushotel zu einer zweitägigen Klausur. Der Unmut über ihre Vorsitzende Sahra Wagenknecht ist über die Weihnachtstage nicht verflogen, im Gegenteil: Ein als skurril empfundener Auftritt der Fraktionschefin in Gelbweste vor dem Kanzleramt sorgte für Irritationen, dann im neuen Jahr ein Tweet der von ihr initiierten Sammlungsbewegung "Aufstehen", in der gegen einen angeblichen "Regierungsrundfunk" polemisiert wurde - das auch noch mit einer Grafik, die zuvor die AfD auf Facebook verbreitet hatte.
Doch der große Aufstand, über den seit Monaten spekuliert worden ist, wird ausbleiben. Und Wagenknecht wird sich auch nicht entscheiden müssen zwischen ihrem Engagement für "Aufstehen" und dem Fraktionsvorsitz, obwohl einige Abgeordnete ihre Doppelrolle als problematisch ansehen. Das ergibt sich aus der Strategie der Wagenknecht-Kritiker, die sich in den vergangenen Wochen kurzgeschlossen haben.
Sie legen zur Klausur zwei Papiere vor, von denen aber nur über eines abgestimmt werden soll: Dieses fordert die Unterstützung der Bewegung "Unteilbar", die im Oktober mit einer Großdemonstration gegen Rechts in Berlin bundesweite Aufmerksamkeit auf sich zog. Wagenknecht hatte sich kurz zuvor zum Unverständnis vieler Genossinnen und Genossen von dem Protest distanziert, aus dem Aufruf sprach ihr zu viel Willkommenskultur für Flüchtlinge.
In dem aktuellen Papier wünschen sich die 24 Erstunterzeichner eine Fortführung der "Unteilbar"-Aktivitäten für eine solidarische Gesellschaft im neuen Jahr: "Es ist unser ureigenes politisches Interesse, dass der Kampf für eine solche Perspektive Erfolg hat und immer wieder Hunderttausende dafür in die Öffentlichkeit gehen."
"Aufstehen" habe der Linken nicht genutzt, kritisieren Abgeordnete
Lediglich zu einer Art Protokollnotiz wird das zweite Papier, das in der am Mittwoch veröffentlichten Fassung 19 Unterschriften von Abgeordneten trägt. Es ist eine Positionierung zur Initiative "Aufstehen", die Wagenknecht und ihr Gatte, der Ex-Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine ins Leben gerufen haben.
Dieses Papier soll in der Fraktionsklausur nicht in einen Beschluss münden, bleibt also unverbindlich. Ohne den Namen Wagenknecht oder den von anderen ihrer linken Mitstreiter in der "Aufstehen"-Bewegung zu erwähnen, enthält es deutliche Kritik an der Wagenknecht-Lafontaine-Initiative. Die öffentliche Wirkung der Sammlungsbewegung und die kontroverse Debatte dazu hätten "der Linken - zurückhaltend formuliert - keinen Nutzen gebracht", heißt es.
Künftig solle es deshalb keine Unterstützung von "Aufstehen"-Forderungen geben, die im Widerspruch zu den programmatischen Forderungen der Linken stehen. Eindeutig müsse sich "Aufstehen" von der rechtsextremen Szene abgrenzen, auch von Personen, die in der Vergangenheit "durch rassistische, antisemitische, antimuslimische oder andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Erscheinung getreten sind". Ausgeschlossen werden sollen Konkurrenzkandidaturen von "Aufstehen"-Initiativen bei Wahlen. Die Unterzeichner verbitten sich, dass über die Sammlungsbewegung "mit Hilfe äußeren Drucks" Entscheidungen in der Partei präjudiziert werden.
Dass über die Regeln zu "Aufstehen" nicht abgestimmt wird, erklären die Initiatoren auch damit, dass viele in der Partei nicht mehr an einen Erfolg der Sammlungsbewegung glauben, sie gar für "tot" erklären. Tatsächlich gab es bis zum Start von "Aufstehen" Anfang September große Aufmerksamkeit für die Initiative, die dann aber in den Monaten danach deutlich abflaute. Aus dem Kreis der Unterzeichner heißt es allerdings, das Papier sei "keine generelle Absage an ,Aufstehen' oder die Leute, die sich dort engagieren".
Abwahl von Wagenknecht wird nicht in Erwägung gezogen
Die Lösung soll dafür sorgen, dass alle in der Fraktion ihr Gesicht wahren können - Wagenknecht selbst, aber auch ihre Gegner. Die Abgeordneten vermeiden, den Streit der beiden Lager auf die Spitze zu treiben. Einen Antrag auf Abwahl der Fraktionschefin gibt es nicht. Zwar gab es in der Vergangenheit bereits einen entsprechenden Textentwurf. Doch Wagenknecht wirklich abzuwählen oder zur Vertrauensfrage zu ermuntern, zieht niemand ernsthaft in Erwägung. Nicht nur würde man so die vielen Fans der Linken-Frontfrau vor den Kopf stoßen. Den Konflikt eskalieren zu lassen, würde außerdem zwangsläufig Verlierer produzieren. Im Wahljahr 2019 will niemand das Klischee der notorisch gespaltenen und dadurch geschwächten Partei bedienen.
"Die Konflikte von 2018 sollen sich nicht wiederholen", sagt der nordrhein-westfälische Abgeordnete Niema Movassat dem Tagesspiegel. Er war einst Wagenknecht-Anhänger, heute zählt er zu ihren schärfsten Kritikern. Auch er hat das Positionspapier zu "Aufstehen" unterschrieben. Ein Anti-Wagenknecht-Papier sei der Aufruf aber nicht, sagt er. Movassat geht es um eine "inhaltlich-strategische Festlegung" der Fraktion. "Es geht nicht um einzelne Personen", unterstreicht er.
Der Druck auf die Fraktionschefin ist also relativ sanft. Dennoch: Wagenknecht wird in der Diskussion um "Aufstehen" Position beziehen und ihre künftige Rolle bei der Sammlungsbewegung erklären müssen - erhoffen sich zumindest die Kritiker der Vorsitzenden. Mit dieser Erwartung wird vermutlich auch der langjährige brandenburgische Bundestagsabgeordnete Thomas Nord seine Drohung nicht umsetzen, die Fraktion im Ärger um Wagenknecht zu verlassen.
Unter den Unterzeichnern beider Papiere sind viele der Abgeordneten, die 2017 erstmals in den Bundestag eingezogen sind, etwa Lorenz Gösta Beutin, Michel Brandt, Anke Domscheit-Berg, Gökay Akbulut, Sylvia Gabelmann und Simone Barrientos. Als Spitzenfunktionäre unterzeichnet haben die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Caren Lay und Cornelia Möhring, außerdem Martina Renner und Tobias Pflüger, beide Vizechefs der Partei. Dagegen haben die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger, die immer wieder mit Wagenknecht über Kreuz geraten sind, die beiden Papiere nicht unterzeichnet.
Kipping und Riexinger wollen "Politikwechsel" mit SPD und Grünen
Kipping und Riexinger legten am Mittwoch ihren Plan für die kommenden Monate vor. Darin betonen die beiden Politiker den Machtwillen ihrer Partei. "Für einen sozialen Aufbruch und mutigen Klimaschutz", lautet der Titel ihrer siebenseitigen Erklärung. "Das ist eine Einladung an alle, die nicht länger warten wollen", sagte Riexinger über das Papier. Es sei ein Angebot an SPD und Grüne, "den längst fälligen Politikwechsel vorzubereiten".