Söders Populismus war der CDU suspekt: Laschet ist der langweilige Kandidat gegen den Trend
Armin Laschet wird Kanzlerkandidat gegen den Willen großer Teile der Basis. Doch die CDU-Spitze hat Gründe, das Risiko einzugehen. Ein Kommentar.
Wie konnten die nur! Die CDU, da sind sich viele gerade völlig einig, scheint von allen guten Geistern verlassen. Ein populärer Kandidat stand kraftstrotzend bereit, weite Teile der CDU-Basis himmelten ihn an. Stattdessen boxt die Parteiführung mit Ach und Krach diesen Armin Laschet durch.
Selbst der kampferprobte Hesse Volker Bouffier räumt ein, dass das ein Votum gegen Umfragen, Stimmung und gefühlte Wahlchancen ist. Und die CSU reibt’s der großen Schwester gleich noch mal hinein: „Markus Söder war erkennbar der Kandidat der Herzen.“
Die Risiken liegen also auf der Hand: Enttäuschung an der Basis, bemühte statt begeisterter Wahlkämpfer, der Verlust von Wählern, die CDU oder gar CSU eigentlich nicht ihre Stimme geben würden, dem Pandemiehelden Söder aber eventuell schon. Dazu ein Unterlegener, der nach vorne die Einigkeit beschwört und hintenrum Laschet als Kandidaten eines altbackenen Establishments abtut.
Populismus ist der CDU suspekt
Dieses Nachkarten zeigt allerdings zugleich, warum die Entscheidung der CDU alles andere als Ausdruck blanker Unvernunft ist. Söder unterlief nicht nur ein schwerer taktischer Fehler, als er die CDU-Spitze als „kleines Hinterzimmer“ verunglimpfte. Er hat sich damit auch als kleiner Populist versucht, der Regeln und Verfahren nur anerkennt, wenn sie ihm nützen.
Das nährt den alten Verdacht, dass Überzeugungen, auch solche inhaltlicher Art, bei ihm generell locker sitzen.
Es steckt deshalb mehr Überlegung hinter dem Votum des CDU-Vorstands, als die auf Kirmes gepolte Twitter-Blase und andere ihm zugestehen wollen, die darin nur öde Parteiräson sehen.
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Das zeigt sich kurioserweise in der langen Nachtsitzung. Fast jeder Redner wies auf die Stimmung an der Basis hin, was die praktischerweise quasi live auf Twitter verfolgen konnte.
Am Ende entschied sich die Mehrheit trotzdem gegen den scheinbar bequemen Kandidaten. Söder, das schwang unausgesprochen mit, ist ein toller Wahlkämpfer – aber will man den als Kanzler?
Zwischen Sehnsucht nach Führung und Vorliebe fürs Maßhalten
Laschet wirkt dagegen nachgerade langweilig. Er füllt keine Hallen wie Friedrich Merz und keine Bierzelte wie Söder.
Trotzdem hat er sich gegen beide durchgesetzt. Beide Male war es knapp. In der CDU wie bei vielen ihrer Wähler liegen eben die Sehnsucht nach einem energischen Anführer und das Gefühl, mit Maß und Mitte nicht schlecht zu fahren, im ständigen Wettstreit miteinander. Zur Wahrheit gehört aber auch: Hätte die CDU einen gehabt, der beides verbindet, hätte sie den genommen und nicht den Mann aus Aachen.
Vom Kandidaten zum Wahlsieger muss sich Laschet jetzt allerdings genauso mühsam bergauf arbeiten wie bis hierher. Söder hat in dem erbitterten Machtkampf genug Zitate über die angebliche Chancenlosigkeit des Konkurrenten geliefert, um daraus einen Gepäckmarsch zu machen.
Nur eben – chancenlos ist er nicht.
Entscheidend ist die Stimmung im Herbst
Die Union hat ein abnehmendes, aber immer noch recht solides Wählerfundament. Ihre Basis murrt gerne gegen die da oben, neigt indes nicht zu nachhaltiger Verbiesterung, wenn einmal entschieden ist.
Der CSU ist ein Kanzler Laschet am Ende auch lieber als eine Kanzlerin Annalena Baerbock. Dass Söder seinen Rückzug als Offensivgefecht tarnt, ist zwar nicht besonders klug, aber mit Blick auf den Bayernstolz immerhin verständlich.
Doch wer sagt, dass am Wahltag im Herbst ein strenger Krisenmanager immer noch so gefragt ist wie mitten in der Pandemie? Oder sehnt sich eine aufatmende Gesellschaft dann erst mal nach ein bisschen alter Normalität?
Diese Wahl wird ohnehin ein Experiment, die erste ohne Kanzlerbonus. Die Grüne Baerbock weckt gerade viel Begeisterung und Fantasie, der Sozialdemokrat Olaf Scholz eher wenig.
Laschet erscheint in dem Trio als der Gemütsmensch, der Kontinuität im Wandel verspricht. Wenn er sein rheinisches Mundwerk zügelt, klug eine Mannschaft um sich schart und die eigenen Truppen sich zusammenreißen, kann er Vertrauen gewinnen. Das sind allerdings, das muss man schon auch dazu sagen, eine ganze Menge Wenns.