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Norbert Röttgen (CDU), Rechtanwalt, Ex-Umweltminister und seit 2014 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
© Thilo Rückeis

Norbert Röttgen über die große Koalition: „Kurz vor dem Abgrund ist ,Weiter so’ keine Strategie“

Ex-Umweltminister Norbert Röttgen räumt große Versäumnisse der CDU in der Klimapolitik ein. Der großen Koalition gibt er noch Chancen. Ein Interview.

Norbert Röttgen hatte verschiedene Ämter in seiner Partei, der CDU. Unter anderem war er Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Bundesvorsitzender.

Seit 2014 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Von 2009 bis 2012 war er Bundesumweltminister.

Herr Röttgen, Sie haben vor Jahren gesagt: „Es geht beim Klimawandel um eine Frage von Leben und Tod.“ Hat die Union diese Dramatik vergessen und verdrängt?

Ja, das haben wir.

Können Sie sich das erklären?

Ich habe mich seit der Entlassung aus diesem Ressort zu dem Thema bewusst nicht mehr geäußert. Deshalb will ich jetzt nicht groß zurückblicken. Aber ich sage es mal so: Wir haben die tagespolitische Opportunität und Bequemlichkeit höher gewichtet. Wir haben die Kraft nicht aufgebracht, an einem Thema dranzubleiben, das keine Konjunktur hatte, obwohl es existenziell blieb.

Selbst existenzielle Themen geraten manchmal in der Wahrnehmung in den Hintergrund. Und wir sind davor zurückgeschreckt, es aus dem Hintergrund hervorzuholen, weil wir wussten: Bei den Konsequenzen, die das Thema Klimawandel Politik und Gesellschaft abverlangt, wird es anstrengend.

Wenn wir aktuelle CDU-Papiere lesen, würden wir sagen: Man kneift weiter vor unangenehmen Botschaften!

Es geht nicht darum, von den Menschen Opfergänge und absoluten Verzicht zu fordern. Das entsprach nie meinem Gefühl, und ich halte es auch nicht für die richtige Strategie. Die Überhitzung unseres Planeten zu verhindern ist eine Lebensaufgabe. Sie erfordert Kreativität, Anpassung und Veränderungsbereitschaft. Aber das verlangt das Leben auf allen Gebieten von uns.

Ist das jetzt nicht doch zu ... abgeklärt?

Hier in Deutschland wird keiner ein wirkliches Opfer bringen müssen, das in Relation steht zu den Folgen des Nichtstuns gegenüber dem Klimawandel. Wenn wir nicht handeln, wird unser Nichtstun Menschen in anderen Regionen dieser Welt umbringen und ihre Lebensgrundlagen zerstören. Es wird Kriege um Wasser und Weideland geben. Die Menschen werden dorthin fliehen, wo sie leben können – was wir ja alle genauso täten. Wir brauchen keine neuen Erkenntnisse. Das wissen wir alles schon.

Und wieso mussten Schulkinder uns daran erinnern?

Es gibt so ein Muster, Politik für den nächsten Wahltag zu machen. Niemand kann sich davon ganz freisprechen. Diese Kurzfristorientierung hat natürlich Langfristkosten – ökologisch wie parteipolitisch. In unserem Fall würde ich sagen: Freuen wir uns doch, dass das Bewusstsein für ein lebensnotwendiges Thema wieder da ist. Für unsere eigene Glaubwürdigkeit als CDU ist es wichtig, festzuhalten, dass wir in den letzten Jahren keine gute Klimapolitik gemacht haben. Jetzt steigen wir eben wieder ein.

Nur sind seither viele Jahre vergangen, in denen das Thema weltweit geradezu in die Defensive geraten ist.

Ja, es gibt viele Rückschritte. So bitter das ist, muss man die gegenwärtige US-Regierung sogar als den Anführer des Rückschritts beschreiben. Das Problem bleibt natürlich trotzdem global.

Auch in Ihrer Partei wird der Umstand, dass der Klimawandel weltweite Ursachen hat, zur Rechtfertigung für Nichtstun benutzt.

Es stimmt, dass sich global gesehen gar nichts ändern würde, wenn wir unsere zwei Prozent Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß komplett wegnähmen. Selbst ein klimaneutrales Deutschland würde das Problem nicht lösen.

Aber ... ?

Aber umgekehrt gilt: Das globale Problem ist nur mit Deutschland und vergleichbar entwickelten Staaten lösbar. Deutschland verursacht zwei Prozent der CO2-Emissionen und China 27 Prozent. Schaut man sich aber die Pro-Kopf-Emissionen an, liegt Deutschland mit 9,5 Tonnen im Jahr vor den Chinesen mit etwa 7,5 Tonnen.

Gleichzeitig entwickelt sich China in Richtung unseres Lebensstandards. Wenn die 1,4 Milliarden Chinesen bei neun Tonnen ankommen, wird das Problem unlösbar sein. Deshalb muss eine entwickelte Volkswirtschaft wie Deutschland vormachen, dass eine Transformation hin zu einer klimaverträglichen Wirtschaft funktioniert – und zwar ökologisch, ökonomisch und sozial.

Also, noch einmal – der erste Anschein ist: Wir können gar nichts machen. Die Wahrheit ist: Nur mit unserer Hilfe ist das globale Problem zu lösen. Und das müsste eigentlich unseren Elan beflügeln.

Wären denn andere überhaupt dazu bereit, mitzumachen?

Der Wille ist unterschiedlich ausgeprägt. Notwendig wäre erst einmal, dass Deutschland sich mit ein paar großen Partnern einig wird. Am besten wäre natürlich ein gemeinsames Vorgehen der Europäischen Union. Aber wo das nicht schnell genug realisierbar ist, plädiere ich generell für einen Gruppenansatz in der europäischen Politik.

Fangen wir mal mit den größten Drei an – Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Wenn dieses Trio sagen würde: Für uns ist die Klimapolitik eines der wichtigsten Themen, bei dem wir unsere Politik entsprechend koordinieren – das wäre schon mal was.

Und wie soll die Zusammenarbeit mit, sagen wir, China konkret aussehen?

Ich nenne ein Beispiel. BASF tätigt in China zurzeit die größte Auslandsinvestition seiner Unternehmensgeschichte – übrigens ohne chinesische Beteiligung, was noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Für 10 Milliarden Dollar plant das Unternehmen eine Chemiefabrik im Süden Chinas, die komplett klimaneutral produziert. Das ist genau der richtige Weg. Die Chinesen könnten solch ein Projekt nicht von sich aus stemmen. Mit uns zusammen kann China nicht nur ein starker Chemiestandort werden, sondern dies auch noch so umsetzen, dass darunter das Klima nicht leidet.

Interessieren sich die Chinesen wirklich für den Klimavorteil des Projekt?

Ja klar. In China sieht man, schmeckt man, riecht man die ökologischen Folgen des politisch erzeugten Wachstumszwangs. Der ist ja der implizite Gesellschaftsvertrag, auf dem das chinesische System basiert: Das Machtmonopol der Kommunistischen Partei wird akzeptiert, so lange sie dafür sorgt, dass es dem Einzelnen jedes Jahr besser geht.

Wachstum ist die oberste Staatsdoktrin. Die Regierung weiß aber, dass ihre Bevölkerung die ökologischen Kosten auf Dauer auch nicht akzeptieren wird. Deshalb ist China – der mit Abstand größte CO2-Emittent weltweit – einer unserer natürlichen Partner bei der Lösung der globalen Überlebensaufgabe.

Und deshalb brauchen wir dafür nicht nur Klimapolitiker, sondern auch Außenpolitiker, die das Klima- Thema aufnehmen, und Handelspolitiker, die ökologische Fragen in die Wirtschaftsbeziehungen einfließen lassen. Wenn wir nicht anfangen, diese Politikbereiche miteinander zu verschmelzen, wird es beim aufreibenden Kampf mit unzulänglichen Ergebnissen auf Klimakonferenzen bleiben.

Wäre ein eigenes Klimaministerium dafür ein hilfreicher Schritt?

Ich glaube schon länger, dass unsere Regierungsstruktur noch zu sehr aus der Adenauer-Zeit stammt. Die großen Fragen Klima, Digitalisierung, Migration und Integration müssten jedes für sich in einem Haus gebündelt werden, statt dass jeder für sich daran herumwerkelt.

Und warum geht das keiner an?

Ich glaube, das liegt an unseren Beharrungskräften. Diese Trägheit und das Festhalten am Alten in der deutschen Politik wird langsam gefährlich angesichts des gigantischen, revolutionären Wandels der Wirklichkeit. Das muss ein Ende finden.

Kommen wir mal zu den politischen Kosten der Ignoranz hierzulande. Sie waren in den 90er Jahren einer der ersten CDU-Politiker, die mit Grünen sprachen. Wundert es sie, dass Ihre alten Freunde plötzlich so stark sind?

Ehrlich: Dass sie so stark werden, das kann man zwar erklären, aber es wundert mich dennoch ein bisschen. Denn das ist schon ziemlich stark!

Das hatten Sie sich so nicht vorgestellt in der „Pizza Connection“?

Nein. Die Grünen aber auch nicht. Die sind, glaube ich, nicht weniger überrascht.

Sie sagen aber: Erklären lässt es sich?

Ich fange mal mit dem Positiven an. Auch ich habe vor der letzten Bundestagswahl gesagt: Die Grünen haben keinen Lauf. Sie sind immer irgendwie für Offenheit und pro Migration, ihr Markenzeichen Klimaschutz kam als Thema im Wahlkampf nicht vor. Entsprechend zogen sie dann auch als die kleinste Fraktion in den Bundestag ein.

Jetzt hat sich die Konjunktur gewandelt. Und wenngleich es mir als CDU-Politiker ein bisschen wehtut, muss ich sagen: Die Grünen haben sich dadurch, dass sie in schlechten Zeiten zu ihrem Thema gestanden haben, Glaubwürdigkeit erworben.

Und das Kritische?

Die Grünen sind seit 2005 nicht an der Regierung. Sie haben seit fast 15 Jahren keinen Realitätstest mehr absolvieren müssen. Auch deshalb halte ich die Umfragewerte in dieser Höhe für eine Blase. Da wird wieder Luft rausgehen.

Woher nehmen Sie den Glauben?

Wir haben vor kurzem im Bundestag einen Antrag der Grünen diskutiert, bei dem es um neue Impulse für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ging. Es gab einen analytisch-beschreibenden und einen Forderungsteil. Die Analyse konnte ich im Großen und Ganzen unterschreiben.

Aber der Forderungsteil – das war reine Parteitagslyrik. Sobald die Grünen konkrete Forderungen vorlegen müssen, wird auch die Klimadiskussion zu ihren Lasten wieder kritischer.

Aber erst mal muss doch wohl die Regierungspartei CDU liefern!

Bei uns gab es eine spiegelbildliche Entwicklung. Klima war vor zwei Jahren kein Thema. Jetzt werden wir unvorbereitet mit der Frage konfrontiert, wie wir Klimapolitik ambitioniert gestalten wollen. Der Test ist nun an uns: Sind wir in der Lage, ökologisch zu regieren?

Was heißt das denn, ökologisch regieren?

Wo die Grünen ein Übermaß an Versprechungen haben, haben wir einen Mangel an konkreter Politik. Ökologisch regieren heißt, dazwischen eine Balance zu finden. Für die CDU entscheidet sich daran zugleich, ob wir thematisch eine Erinnerungspartei werden, die es sich miteinander bequem macht, oder wir den Anschluss an die modernen Probleme halten.

Sie sagten vorhin: Niemand wird Opfer bringen müssen. In der Lausitz wird die AfD gewählt, weil das dort keiner glaubt.

Wir müssen uns und den Betroffenen so viel Ehrlichkeit zumuten, dass wir sagen: Wenn wir uns als Gesellschaft nicht anpassen, werden wir zum Dinosaurier und haben keine Lebensperspektive. Das wird nicht jeder akzeptieren. Aber es passiert ja nicht zum ersten Mal.

Viele Branchen haben solche Prozesse erlebt – von der Textilindustrie am Niederrhein bis hin zu Kohle und Stahl im Ruhrgebiet. Aber ich habe ja vorhin auch gesagt: Die Transformation muss auch gesellschaftlich gelingen. Die Menschen müssen wissen: Wir lassen sie nicht im Stich. Das können wir uns in Deutschland ökonomisch leisten.

Aber halten Koalitionsparteien, die ums Überleben als Volksparteien ringen, eine solche Debatte überhaupt noch aus?

Ich glaube, dass die große Koalition – bei allen Schwierigkeiten mit ihrem inneren Zustand – in der Lage sein müsste zu sagen, vor welchen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weichenstellungen wir stehen. Wenn ich das Problem in seiner Dimension richtig beschrieben habe, komme ich auch zu vermittelbaren Lösungen – und zwar auf verschiedenen Ebenen.

Lassen Sie uns mit dem europäischen Emissionshandel (ETS) beginnen. Dieser Marktmechanismus hat bisher kaum funktioniert, weil es lange nur einen Spottpreis gekostet hat, CO2 zu emittieren. Wir müssen den Emissionshandel so ausgestalten, dass der CO2-Preis realistisch ist und somit auch tatsächlich Anreize zur Reduktion gesetzt werden.

Auf nationaler Ebene erscheint mir der Vorschlag sinnvoll, für zehn Jahre im Voraus einen jährlichen Anstieg der CO2-Preise festzulegen, und zwar für alle Sektoren, aber zu unterschiedlicher Bepreisung. Auf einen sukzessiven Anstieg könnten sich alle einstellen und Verbraucher hätten Planungssicherheit, wenn das nächste Auto oder eine neue Heizung ansteht.

Glauben Sie wirklich, dass diese Koalition so einen Kraftakt noch stemmt?

Wenn sie sich damit selber retten könnte – warum nicht?

Vielleicht, weil nach der Sommerpause im Osten gewählt wird, CDU und SPD davor schon zittern und danach ein SPD-Parteitag über das Bündnis entscheiden soll?

Wenn man kurz vor dem Abgrund steht, dann ist „Weiter so“ keine gute Strategie. Ich würde lieber über das Projekt „Lebensrettung“ nachdenken. Ich kann nicht sagen, ob die Energie dafür ausreicht. Aber wenn wir jetzt nicht einen gewaltigen Sprung wagen, dann schleppen wir uns nur weiter auf den Abgrund zu. Es ist nicht mehr so weit bis dahin. Ich hoffe sehr, dass noch keine der Parteien sich aufgegeben hat.

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