Klimapolitik: "Den Turbogang einlegen"
Kampf um Konzepte: Die Klimapolitik könnte künftige Wahlen entscheiden. Wir haben zwei Vertreter von Grünen und CSU zum Streitgespräch getroffen
Die Umweltwissenschaftlerin und promovierte Politikwissenschaftlerin Julia Verlinden sitzt für Bündnis 90/Die Grünen seit 2013 im Bundestag. Der gelernte Bankkaufmann und promovierte Betriebswirtschaftler Andreas Lenz gehört der CSU an, für die er ebenfalls 2013 in den Bundestag einzog. Wir sprachen mit beiden über die Konzepte ihrer Parteien in der Klimapolitik.
Die Grünen ziehen gerade in den Umfragen an der Union vorbei. Wichtigster Grund: Die Grünen sind beim Klimaschutz besonders glaubwürdig. Herr Lenz, hätte die Union da nicht viel früher reagieren müssen?
LENZ: Also wir haben beim Klimaschutz schon einiges erreicht. Wir sind jetzt bei einer Reduzierung von 32 bis 34 Prozent an Treibhausgasen gegenüber 1990, eine ganze Menge aus meiner Sicht. Dennoch verfehlen wir das Klimaziel 2020 von minus 40 Prozent und deshalb werden wir jetzt einen Plan vorlegen und umsetzen, mit dem wir das Klimaziel 2030 erreichen können. Es wird dabei einen Wettstreit um die besten Konzepte geben. Wir als Union sind dabei nicht auf die Grünen angewiesen, wir werden intern die Diskussion führen und auch Ergebnisse auf den Tisch legen.
Frau Verlinden, die Union bemüht sich jetzt um Besserung: Klimaschutz ist zur neuen Priorität erklärt worden. Ein Triumph oder ist Ihnen schon bange vor neuer Konkurrenz?
VERLINDEN: Keines von beidem. Natürlich ist das schön, wenn jetzt andere auch ankündigen, mehr für den Klimaschutz tun zu wollen. Aber es geht ja ums Handeln, nicht ums Ankündigen, deshalb ist uns auch nicht bange. Die Wahrheit ist: Angela Merkel hat viel zu wenig für die Reduktion von Treibhausgasen in Deutschland getan. Die Bilanz ist schlicht desaströs. Die Bundesregierung hat in keinem der Sektoren den Weg zu den Klimazielen 2030 mit Maßnahmen unterlegt. Wir Grünen dagegen haben ein Paket an Vorschlägen, die wir übrigens immer wieder im Parlament einbringen, etwa den „Aktionsplan faire Wärme“, um die energetische Gebäudesanierung voranzubringen.
Herr Lenz, bis Herbst soll es ein Klimaschutz-Konzept der Union geben, inklusive Energiesteuerreform und CO2-Bepreisung. Kann man denn in ein paar Monaten alles nachholen, was die vergangenen Jahre versäumt wurde? Haben Sie dafür auch die personelle Kapazität in der Union?
LENZ: Der Klimaschutz war der Union schon immer wichtig. Natürlich hatte er nicht die Aufmerksamkeit wie gerade jetzt, auch nicht in der Öffentlichkeit. Was wir jetzt benötigen, ist eine neue Stufe beim Klimaschutz und bei der Energiewende, um auch den Sektor Wärme und Verkehr stärker zu adressieren. Deshalb brauchen wir zunächst eine Reform des bestehenden Energiesteuersystems – der Abgaben und Umlagen, diese müssen stärker auf CO2-Gesichtspunkte abzielen. Wir müssen das in einer Art und Weise machen, dass wir ökonomische und soziale Belange nicht aus dem Blick verlieren. Wichtig ist, dass es am Ende ein schlüssiges Gesamtkonzept gibt. Ich warne auch davor, zu denken, es brauche nur eine CO2-Steuer, wo viele gar nicht wissen, was damit gemeint ist, und dann sind alle Probleme gelöst. Das ist nicht der Fall.
Frau Verlinden, da würden Sie doch jetzt sicher zustimmen.
VERLINDEN: Klar, der CO2-Preis ist nur ein Baustein für den Klimaschutz, wir brauchen aber sehr viele, um den Turbogang einzulegen. Und natürlich ist es jetzt viel schwieriger, die Klimaziele zu erreichen, weil Union und SPD sich die vergangenen Jahre nur erfolglos durchgewurschtelt haben. Deshalb müssen die Treibhausgasemissionen jetzt viel schneller gesenkt werden. Was mich sehr ärgert ist, dass wir in den vergangenen Jahren die Chance verpasst haben, mit Investitionen in den Klimaschutz auch die Wirtschaft und die Gesellschaft zu stärken. Dann wären wir jetzt besser gerüstet für die Herausforderungen, die auf uns zukommen. Deswegen bin ich jetzt auch so ungeduldig. Jetzt sagt die Union andauernd, dass man niemanden überfordern dürfe. Hätten wir viel früher begonnen, wäre mehr Zeit geblieben, die Leute vorzubereiten. Ich bin im Übrigen auch sehr misstrauisch, wenn ich höre, dass bis Herbst der Super-Duper-Klima-Wurf der Union kommen soll.
Die Union blickt wohl auch auf die Landtagswahlen im Osten. Kein Klimaschutzkonzept, bevor im Oktober die Wahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen durch sind. Frau Verlinden, ist das nachvollziehbar?
VERLINDEN: Nein, überhaupt nicht. Es gab eine Umfrage, in der die Teilnehmer befragt wurden, ob sie mit der Klimaschutzpolitik der Bundesregierung zufrieden sind. Zufrieden waren nur drei Prozent, also fast niemand. Ich sehe es nicht, dass man davor Angst haben muss, eine ambitionierte Klimapolitik zu machen. Viele Menschen machen sich Gedanken über Klimaschutz. Viele Leute wollen auch Klarheit darüber, was genau ansteht.
LENZ: Ich habe die These noch nie gehört, dass wir auf die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern warten würden. Das würde ja auch gar nichts bringen. Nach der Wahl ist vor der Wahl.
Soziale Fairness bei der CO2-Bepreisung wird immer wieder eingefordert, nicht nur von der Union. Aber für die Union scheint es ein Knackpunkt zu sein, Herr Lenz.
LENZ: Ich bin immer total verwundert, wenn sich die Grünen hinstellen und sagen, mit einer CO2-Steuer würde sich für den Einzelnen gar nichts ändern. Es ist doch gerade das Ziel, dass sich was ändern soll. Deswegen würde es auch Auswirkungen auf jeden Einzelnen geben. Deswegen ist das Ganze auch so komplex. Wir müssen schauen, dass wir Menschen in ländlichen Räumen nicht vernachlässigen. Wir dürfen den Industriestandort nicht gefährden. Wenn unsere energieintensive Industrie abwandert, dann macht uns sicher keiner auf der Welt ein Konzept einer CO2-Steuer nach. Man muss das Richtige auch richtig machen.
VERLINDEN: Wenn Herr Lenz sagt, uns würde das keiner nachmachen, schauen wir uns doch mal um: Es gibt viele Länder, die bereits eine CO2-Steuer erheben. Von denen können wir lernen, Gutes nachmachen und Schlechtes vermeiden. Es gibt viele Modelle, wie eine CO2-Steuer auch zurückerstattet werden kann. Die Schweiz ist ja derzeit ein häufig genanntes Beispiel. Aber noch mal: Der CO2-Preis kann wirklich nur ein Baustein sein. Es braucht ja auch Alternativen, damit Menschen sich überhaupt klimafreundlicher verhalten können. Es geht schließlich nicht darum, dass die einen mehr zahlen und die anderen weniger, sondern dass die Emissionen gesenkt werden.
Ob die Groko hält, ist nach derzeitigem Stand vollkommen offen. Herr Lenz, die Grünen reiten gerade eine Erfolgswelle, Schwarz-Grün erscheint derzeit als wahrscheinlichste Option nach den nächsten Wahlen. Wie weit wird die Union den Grünen entgegenkommen?
LENZ: Wir sind gerade in einer Koalition. Wir haben so viel über Herausforderungen gesprochen und sollten mehr darüber sprechen, wie wir hier mit der bestehenden Bundesregierung Lösungen umsetzen können. Wenn wir das alles umsetzen, braucht es die Grünen ja nicht mehr.
Und Sie, Frau Verlinden, wo ist die rote Linie in der Klimapolitik in schwarz-grünen Regierungsverhandlungen?
VERLINDEN: Ich teile den Punkt von Herrn Lenz, dass die jetzige Regierung ihre Hausaufgaben machen muss. Sie muss sich jetzt beweisen. Für den Fall, dass die große Koalition nicht hält, gibt es außerdem mehr Optionen als Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz (lacht). Beispielsweise Rot-Rot-Grün. Was die Union in Gesprächen beweisen müsste, ist, dass sie das Pariser Klimaabkommen wirklich ernst nimmt. Und sie muss die Haltung haben, generationengerecht zu wirtschaften. Dass jetzt alles verprasst wird, nach dem Motto, nach mir die Sintflut, das akzeptieren die jungen Menschen nicht mehr.
LENZ: Die Nachhaltigkeit haben wir sehr fest im Blick. Nachhaltigkeit im Sinne der Generationengerechtigkeit ist die DNA der Union. Wenn es da also Schnittmengen mit den Grünen gibt, herzlich gerne. Aber Julia Verlinden spricht ja schon die Option von Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot an, welche viele in ihrer Partei präferieren.