Durch immer mehr Flüge: Klimaeffekt von Kondensstreifen könnte sich bis 2050 verdreifachen
Eiswolken aus Jet-Abgasen führen dazu, dass die Erde sich aufheizt. Die Politik ignoriert das Problem bisher weitgehend.
Das Phänomen kennt jeder: Fliegt ein Flugzeug am Himmel vorbei, hinterlässt es Kondensstreifen. Wohl weit weniger Menschen sind sich jedoch deren Bedeutung für die Klimaewärmung bewusst: Aus Kondensstreifen entstandene Zirruswolken werden Berechnungen zufolge im Jahr 2050 drei Mal so starke Auswirkungen auf das Klima haben wie noch 2006. Hauptursache dafür sei ein Anstieg des Flugverkehrs, schreiben die Forscherinnen Ulrike Burkhardt und Lisa Bock vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Fachjournal "Atmospheric Chemistry and Physics".
Die Kondensstreifen-Zirren können stundenlang bestehen bleiben
Natürliche Zirruswolken sind Eiswolken, die in großer Höhe auftreten. Wegen ihres Aussehens werden sie auch Federwolken genannt. Sie entstehen aber auch aus den Kondensstreifen von Flugzeugen, indem sich Wassermoleküle an die ausgestoßenen Rußteilchen anlagern. Bei den niedrigen Temperaturen in großer Höhe gefrieren sie sofort zu Eiskristallen, die dann zu Zirruswolken werden.
Aus den direkt hinter den Flugzeugen entstehenden Wolken können sich durch Windbewegungen und Transport wesentlich großflächigere Wolken bilden, die stundenlang bestehen bleiben können, sagte die Atmosphärenphysikerin Lisa Bock dem Tagesspiegel.
Größerer Einfluss als CO2-Emissionen
Diese Eiswolken reflektieren zwar einerseits einfallendes Sonnenlicht und verhindern so, dass es die Erdoberfläche erwärmt. "Zum anderen aber schirmen sie die Wärmestrahlung der Erde ab, das wirkt wie ein Treibhauseffekt", sagt Bock. Diese wärmende Wirkung der künstlichen Zirruswolken überwiege global gesehen. Insgesamt, sagt Bock, sei der Einfluss der Kondensstreifen-Zirren auf die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung seit Beginn der Luftfahrt sogar größer als der der CO2-Emissionen der Flugzeuge.
Ursache ist der wachsende Flugverkehr
Mit Hilfe eines Klimamodells berechneten die Forscherinnen nun, dass sich dieser Einfluss in den kommenden 30 Jahren noch verdreifachen könnte. Dabei gingen sie von einer Vervierfachung des Luftverkehrs bis zum Jahr 2050 aus. Dass der Klimaeffekt der Kondensstreifen nach dem Modell nicht ebenso stark ausfalle, liege an bestimmten Sättigungseffekten, sagte Bocks Mitautorin Ulrike Burkhardt.
Um wie viel Grad die künstlichen Zirruswolken die Temperaturen auf der Erde verändern und ob sie möglicherweise auch Einfluss auf Niederschläge haben, sei derzeit noch unklar. Burkhardt und Bock berechneten allerdings, dass die Klimawirkung über Nordamerika und Europa am größten sein werde, weil dort am meisten Flugbewegungen stattfinden.
Für den Anstieg machen die Forscherinnen vor allem den weltweit wachsenden Flugverkehr verantwortlich. Schon 2005 machten die Gesamteffekte aus der Luftfahrt etwa fünf Prozent der weltweiten, vom Menschen verursachten Erwärmung aus. Es gebe derzeit keine aktuelle Zahl, sagte Burkhardt, aber "der Flugverkehr wächst extrem – man kann sich also vorstellen, dass diese Zahl zugenommen hat".
Nicht einmal 90 Prozent weniger Ruß würden helfen
Was also ist zu tun? Abhilfe könnte eine Verringerung des Rußausstoßes schaffen. Bei weniger Rußpartikeln sinke die Anzahl der Eiskristalle in neu gebildeten Kondensstreifen, was die Eigenschaften, Lebensdauer und Klimawirkung der Höhenwolken verringere, so Burkhardt.
Neuere Triebwerkstechnologien ermöglichen etwa durch die Verbrennung bei höheren Temperaturen auch bei konventionellen Kraftstoffen, die Rußemissionen zu senken. Aber: "Wenn die Prognosen zum Anstieg des Luftverkehrs stimmen, wird es sehr schwierig, den Effekt der Kondensstreifen zu kompensieren", so Burkhardt. Es würde ihr zufolge nicht einmal reichen, wenn die Rußemissionen um 90 Prozent reduziert würden – bisher sei allerdings nur eine Reduktion um etwa 50 Prozent möglich.
Politik ignoriert das Thema
Trotz des enormen Einflusses des Kondensstreifen-Zirren aufs Klima hat die globale Politik sie bisher weitgehend ignoriert. Auch im "Corsia"-System der Vereinten Nationen, durch das das Wachstum der internationalen Luftfahrt ab 2020 CO2-neutral erfolgen soll, spielen Nicht-CO2-Effekte wie die Zirruswolken keine Rolle.
Als möglichen Grund dafür nennt Lisa Bock, dass die Effekte der Zirruswolken nicht so einfach messbar seien. Während Menge und Wirkung des CO2-Ausstoßes maßgeblich vom Treibstoffverbrauch der Flugzeuge abhänge, habe man es bei den Wolken mit wesentlich mehr Variablen zu tun, etwa Flughöhe, Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Es gibt eine Lösung: weniger fliegen
Nichtsdestotrotz, so Bock, sei es wichtig, in Zukunft die Klimaeffekte durch Zirruswolken, die sich aus Kondensstreifen bilden, unbedingt zu berücksichtigen, etwa wenn man über Konzepte zum Emissionshandel diskutiere. Bisher sei dieser Aspekt massiv vernachlässigt worden.
Am effektivsten wäre es allerdings, viel weniger zu fliegen. Der Gedanke sollte einem spätestens kommen, wenn man das nächste Mal gen Himmel schaut und einen Kondensstreifen erblickt. (mit dpa)