zum Hauptinhalt
Deutsche Soldaten in Afghanistan.
© DPA

Europäischer Gerichtshof entlastet Bundeswehr: Kundus war kein Kriegsverbrechen

Demokratie ist keine Garantie gegen schweres Fehlverhalten. Aber ihre Rechenschaftspflicht macht auch im Krieg den Unterschied zu Diktaturen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Krieg ist tödlich, Krieg ist grausam. Moralisch und rechtlich sauber ist er nie. Und doch macht es einen großen Unterschied, wer Krieg führt und wie.

Das ist eine zentrale Lehre aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Luftangriff von Kundus 2009. Es hilft Deutschen, die unsicher sind, ob ihr Land sich an Kriegen beteiligen darf, nachdem die Vorfahren unter Hitler einen besonders verbrecherischen Krieg geführt hatten, ihr Land mit europäischen Augen zu betrachten und Kundus nach internationalen Maßstäben zu bewerten.

Ein deutscher Offizier hatte den Luftangriff angefordert. Er befürchtete, dass die Taliban zwei erbeutete Tanklaster als rollende Bomben einsetzen wollten. Doch es kamen viele Zivilisten zu den Fahrzeugen, um sich Treibstoff zu holen. Fast hundert Menschen starben, darunter Kinder.

In Demokratien stehen Militärs nicht über dem Recht

Demokratische Rechtsstaaten handeln in der Ausnahmesituation Krieg anders als autoritäre Systeme. Sie stellen den Anspruch an sich, Menschenleben und Menschenrechte zu schützen, auch auf der gegnerischen Seite. Ihre Soldaten stehen nicht über Recht und Gesetz. Werden Zweifel laut, ob sie sich daran gehalten haben, müssen sie mit Verfahren rechnen.

Zwei ausgebrannte Tanklaster und fast hundert Tote waren die Folge des angeforderten Luftangriffs.
Zwei ausgebrannte Tanklaster und fast hundert Tote waren die Folge des angeforderten Luftangriffs.
© dpa

Im Fall Kundus entschied der EGMR gegen den Vater zweier getöteter Kinder. Deutsche Gerichte, die den Offizier freisprachen, hätten die Frage eines schuldhaften Verhaltens mit der gebotenen Sorgfalt geklärt.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Der jeweilige Ausgang solcher Verfahren gegen Soldaten mag Kritiker unbefriedigt lassen. Den USA und Israel wird oft vorgeworfen, sie verfolgten potenzielle Kriegsverbrechen nicht konsequent. Doch das Wissen, dass das Verhalten der Soldaten überprüft und über die Vorwürfe berichtet wird, wirkt mäßigend. Das unterscheidet Demokratien von den meisten Gegnern. In Russland, dem Iran, den arabischen Monarchien oder China fehlen solche Verfahren.

Hätten bewaffnete Drohnen zivile Opfer in Kundus verhindert?

Demokratie und Rechtsstaat sind keine Garantie gegen Kriegsverbrechen und Fehlverhalten. Die Namensliste der Orte der Schande ist lang. Der Unterschied zur Diktatur liegt in der Rechenschaftspflicht und dem Risiko der Strafe.

Parlamente haben echte Mitsprache beim Einsatz von Militär, ja bereits bei der Aufstellung, den Aufgaben, der Bewaffnung. Ob, zum Beispiel, bewaffnete Drohnen die Hemmschwelle zu töten senken oder helfen, zivile Opfer zu vermeiden, vielleicht auch in Kundus, wird öffentlich diskutiert.

Das alles erhöht die Barrieren gegen verbrecherische Kriegsführung. Diesen Unterschied rückt der EGMR ins Bewusstsein.

Zur Startseite