Ischinger übt scharfe Kritik an SPD-Blockade: „Alle Welt beschafft sich Drohnen – bloß wir nicht“
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz wirft der SPD eine Gefährdung der Bundeswehr vor – und sieht eine wegweisende Lehre des Kriegs um Berg-Karabach.
Herr Ischinger, die SPD will nun doch erstmal keine Anschaffung bewaffneter Drohnen, in der Bundeswehr sind viele Soldaten ziemlich konsterniert.
„Ich finde es zutiefst bedauerlich, diesen Schritt zurück. Die Sache war eigentlich ausdiskutiert, nachdem auch die Verteidigungspolitiker in der SPD um die Abgeordnete Gabriela Heinrich signalisiert hatten, dass die SPD bereit sei, die Anschaffung von bewaffneten Heron TP-Drohnen aus Israel mitzutragen.
Warum ist das so bedauerlich? SPD-Chef Norbert Walter-Borjans scheint im Wahljahr das Friedensprofil schärfen zu wollen…
Der erste und mit Abstand wichtigste Grund ist folgender: Wenn wir eine Bundeswehr haben, die in teils sehr gefährliche Auslandseinsätze verwickelt ist, dann muss es doch die staatspolitische Verantwortung sein, dazu beitragen, dass unsere Soldaten, unsere Söhne und Töchter, den bestmöglichen Schutz, der sich für Geld kaufen lässt, bekommen.
Und die Argumente für und gegen Drohnen, die sind nun über acht Jahre lang im Bundestag und außerhalb des Bundestags ausgetauscht worden. Da gibt es nur noch wenig hinzuzufügen.
„Die Grenze zwischen der Verteidigung von Leib und Leben unserer Soldaten und Töten per Joystick ist hauchdünn", sagt der SPD-Chef.
Diese Debatte führt in die falsche Richtung. Was anderes als Töten per Joystick tut denn der Pilot, der aus 50 Kilometer Entfernung, ohne sein Ziel zu sehen, auf einen Knopf drückt und dann eine Luft-Boden Rakete oder seine Bomben abfeuert?
Die Befürchtung dahinter ist ja, dass zu exzessiv davon Gebrauch gemacht werden könnte, weil sich der Soldat anders als der Kampfpilot keinem eigenen Risiko mehr aussetzt.
Das ist ein geradezu bodenloser Vorwurf. Wer so redet, äußert den Verdacht, die Bundeswehrführung oder gar die Bundesregierung könne vorsätzlich völkerrechtswidrige verbotene Einsätze planen. Wir haben doch die Parlamentsarmee! Jeder Einsatz der Bundeswehr ist strengen Regeln und parlamentarischer Kontrolle unterworfen.
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Wie kann denn eine Partei, die im Augenblick die Bundesregierung mitträgt, diesen Verdacht quasi gegen sich selbst äußern? Ich halte den unterstellten Verdacht, hier könnte sozusagen das Töten leichter gemacht werden, für vollkommen abwegig.
Auch der Vergleich mit der amerikanischen Drohnen-Politik ist falsch. Die hat einen völlig anderen Charakter und eine völlig andere Zielsetzung. Das ist ein aus meiner Sicht ziemlich offenkundiges politisches Scheinargument.
Die Bundeswehr will sich mit den bewaffneten Drohnen besser gegen Angriffe schützen, zum Beispiel im Lager in Afghanistan. Eigentlich sollte die Entscheidung vor Weihnachten fallen, jetzt könnte es durch den SPD-Stopp vor der Bundestagswahl nichts mehr werden…
Dass in Anbetracht des kommenden Wahljahres nicht die Priorität auf die Frage des bestmöglichen Schutzes der Soldaten und die bestmögliche Ausrüstung gelegt wird, sondern anscheinend auf Stimmenfang, ist politisch und moralisch zu kritisieren: Wir sind die Friedenspartei, soll die Botschaft sein.
Die Ausrüstung der von uns in die Gefahr geschickten Soldaten interessiert allenfalls in zweiter Linie. Die SPD hat doch alle diese Auslandseinsätze aktiv selbst mitbeschlossen!
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu hat deshalb hingeworfen, weil er den Schwenk nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Fritz Felgentreus Entscheidung verdient Hochachtung. Ich finde diese aktuelle Entwicklung in der SPD besonders bedauerlich, weil ich zu denen gehöre, die die Beiträge der SPD zur Entwicklung unseres Landes hin zu einem außenpolitisch verantwortlich agierenden Staatswesen sehr hoch schätze. Es war unter einem SPD-Kanzler, dass wir uns an dem Kosovo-Einsatz beteiligt haben, um eine genozidartige Eskalation auf dem Balkan zu verhindern.
Der Nato-Doppelbeschluss fiel unter einem SPD Kanzler! Und es war ein SPD-Verteidigungsminister, der gesagt hat, unsere europäische und damit auch deutsche Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Und ich finde es bedauerlich, dass diese Tradition, die man zurückführen kann auf Helmut Schmidt und andere, auf eine Tradition von über 40 Jahren, dass diese Tradition nun anscheinend aufgegeben wird.
Ein anderes Argument gegen die Anschaffung bewaffneter Drohnen ist der jüngste Krieg um Berg-Karabach, der erste, der durch Kampfdrohnen entschieden worden ist.
Ich würde genau umgekehrt argumentieren. Dass nämlich gerade dieser Konflikt gezeigt hat, dass man zum Schutz der eigenen Soldaten Drohnen-Systeme braucht. Wollen wir denn die Rolle der hilflosen armenischen Armee spielen, die da mit Drohnen aus der Luft auseinandergenommen wurde und keine Verteidigungsmittel in der Hand hatte?
Es geht ja auch immer um die Frage der Abschreckung. Wie kann ich sicher sein, dass uns keiner angreifen will, weil er weiß, wie gut und schlagkräftig u modern wir ausgerüstet sind? Dann kommt es auch zu keinem Konflikt!
Wir erleben hier also eine weitere Revolution der Kriegsführung?
Ja. Wir haben in der Geschichte der militärisch-technischen Entwicklung immer wieder solche Situationen gehabt. Erst gab es den Schwertkampf, indem man dichbauf anderthalb Meter gegenüberstand, der wurde durch immer weitere Abstandswaffen ersetzt. Das war dann zunächst Pfeil und Bogen und dann war es schließlich die Erfindung des Schießpulvers.
Und dann war es die Erfindung der Kanone. Und dann war es schließlich der Panzer. Und vor 100 Jahren das Flugzeug. Den militärischen Einsatz des Flugzeugs hat man ja auch nicht verboten. Der typische Konflikt der Zukunft wird nicht mehr durch klassische Panzerhaubitzen ausgetragen, sondern durch Abstandwaffen und Drohnen, die sich viele Stunden in der Luft halten können und die man sehr zielgenau einsetzen kann.
Haben Sie denn ein Beispiel, wo Drohnen der Bundeswehr hätten konkret helfen können?
Denken Sie mal an den schrecklichen Vorfall, der der Bundeswehr passiert ist, seinerzeit bei Kundus, wo ein Nato- Kampfflugzeug einen Tanklastwagen angegriffen hat und sehr viele Zivilisten ums Leben gekommen sind.
Der Pilot eines solchen Flugzeugs hat wenige Sekunden Entscheidungszeit, weil er mit einer großen Geschwindigkeit auf das Ziel zufliegt und sich natürlich kaum davon überzeugen kann, ob da Leute stehen oder nicht.
Wenn man diesen Angriff mit einer Drohne und nicht mit einem Kampfflugzeug geflogen hätte, dann hätte man wahrscheinlich diese schlimme Katastrophe verhindern können.
Man hätte mehr Zeit gehabt, sich die Lage aus der Luft genau zu betrachten und zu sehen, dass da viele unbeteiligte Menschen stehen. Und man hätte dann eben nicht gefeuert. Es lassen sich so Kollateralschäden vermeiden oder reduzieren, die durch die Anwendung klassischer Militärmittel wie Panzerkanone, Rakete und Bombe häufig nicht vermieden werden.
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Also lieber heute als morgen eine Entscheidung treffen?
Die Drohne ist ein Kampfmittel der Zukunft, mit dem sich schon heute alle ausrüsten, die sich das finanziell leisten können. Bloß wir nicht. Unsere Soldaten sollten sich mit gleicher Münze verteidigen und auch Angriffe präventiv verhindern können. Deshalb ist der Bergkarabach-Konflikt nicht ein Argument gegen die Anschaffung bewaffneter Drohnen, sondern ein schlagendes Argument, dass wir jetzt möglichst rasch eine hinreichende Zahl von Drohnen für die Bundeswehr anschaffen sollten.
Im Augenblick haben wir zahlreiche Einsatzgebiete für die Bundeswehr weltweit. Wenn es darum geht, die Bundeswehr dafür bestens auszurüsten, dann führt an der Drohnenausrüstung kein Weg vorbei. Und wenn wir unseren deutschen Beitrag zur europäischen Verteidigungsfähigkeit insgesamt betrachten, ist es wichtig, dass wir Interoperabilität haben, dass wir mit anderen gemeinsam vorgehen können.
Dazu zählt auch der amerikanische Partner in der NATO. Deswegen brauchen wir in allen Bereichen die modernste Ausstattung. Egal ob das die modernsten abhörsicheren Funkgeräte sind, die modernste Satellitenüberwachung oder die modernste Generation von Flugzeugen ist, die hoffentlich nicht von der gegnerischen Flugabwehr innerhalb von wenigen Stunden abgeschossen werden kann.
Viel Diskussionsstoff – und ausgerechnet jetzt fällt auch die Münchner Sicherheitskonferenz Corona zum Opfer – oder könnte sie wie das Davoser Weltwirtschaftsforum in einem Land stattfinden, wo die Lage entspannter ist?
Die Münchner Sicherheitskonferenz bleibt in München. Das ist klar. Und wir werden sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchführen. In engster Abstimmung natürlich mit dem Bund und dem Freistaat Bayern. Ich bin sehr froh darüber, dass ich aus der Bundesregierung und auch vom Freistaat enorme Unterstützung bekommen habe.
Mir hat ein wichtiges Mitglied der Bundesregierung vor kurzem zugerufen: Aber Herr Ischinger, natürlich muss die Münchner Sicherheitskonferenz 2021 stattfinden! Es tut sich ja so viel. Es ist ja nicht nur ein Wahljahr in Deutschland.
Die ausländischen Gäste werden wissen wollen: Was sind die Programme der deutschen Parteien, die möglicherweise nach der Wahl die Bundesregierung zu führen haben werden? Was für eine Rolle kann die Europäische Union außen- und sicherheitspolitisch ausfüllen nach dem vollzogenen Brexit? Wie wird sich die transatlantische Zusammenarbeit entwickeln mit der neuen Biden-Regierung? China, Russland, Nahost. Also so wichtig wie jetzt war eigentlich die Münchner Sicherheitskonferenz selten.
Und wann wird es einen Termin geben?
Das Zeitfenster wird sich hoffentlich spätestens in der Zeit nach Ostern öffnen. Wir wollen in jedem Fall eine physische Konferenz durchführen, weil aus meiner Sicht der persönliche Austausch eben doch einen ganz anderen Charakter und ganz anderen Stellenwert hat.
Die bilateralen Gespräche hinter den Kulissen - davon lebt unsere Konferenz, dass Entscheidungsträger aus Europa und aus der ganzen Welt in einem informellen Rahmen die anstehenden Probleme besprechen können. Videokonferenzen können das nicht wirklich ersetzen.
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