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Die Partei, die Partei, die macht’s manchmal schlecht. Klaus Wowereit hat keinen internen Nachfolger aufgebaut.
© Imago

Die SPD in Berlin und der Rücktritt: Klaus Wowereit geht unfreiwillig freiwillig

Klaus Wowereit hat seinen Rückzug selbst bestimmt, doch seine Partei hat ihn massiv dazu gedrängt. Nun muss die SPD in Berlin selbst sehen, wie sie klarkommt.

Er hat sie alle überrascht. Vor allem die eigenen Genossen, die der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am frühen Dienstagvormittag über seinen Rücktritt informierte. Schön der Reihe nach, zuerst den SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, dann die beiden hart konkurrierenden Wettbewerber um das höchste Berliner Regierungsamt, den SPD-Landeschef Jan Stöß und den Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh. Ja, er habe seine Entscheidung „allen, die zu informieren waren“, erst am Dienstag mitgeteilt, erzählte Wowereit bei seiner Pressekonferenz im Roten Rathaus.

Die Senatsmitglieder wurden in der turnusmäßigen Kabinettssitzung von Wowereits Ankündigung überrascht, der sozialdemokratische Senatskanzleichef Björn Böhning im Urlaub mit der Familie in Polen. Die Nachricht fegte wie ein Sturm durch die Partei, in den Kreisverbänden der SPD, bei den Bundestagsabgeordneten seiner Partei. Die Entscheidung, in der Plenarsitzung des Landesparlaments am 11. Dezember zurückzutreten, damit das Abgeordnetenhaus am selben Tag einen Nachfolger wählen kann, sei in den letzten Monaten gereift. „Eigentlich wollte ich es schon im Juli bekannt geben, aber da sind wir Weltmeister geworden“, frotzelte der Regierungschef, der nach mehr als 13 Jahren nun aus dem Amt scheiden wird.

Wowereit machte kein Geheimnis daraus, dass die „vielen Spekulationen in letzter Zeit“ den Ausschlag gegeben haben, schon jetzt seine „sehr persönliche Entscheidung“ zu fällen. Die Diskussionen aus den eigenen Reihen, also in der Landes-SPD, hätten dies mitbefördert. „Eine Debatte, die wenig Nutzen für die SPD bringt, aber viel Schaden für die Stadt anrichtete.“ Immerhin: Er habe den Entschluss zum Rücktritt noch in diesem Jahr freiwillig getroffen. Das zu sagen, war Wowereit sehr wichtig. Denn er ist einer, der sich nie unziemlich unter Druck setzen ließ. „Das ist bei mir, wie viele wissen, ein ganz schlechtes Mittel, Druck erzeugt Gegendruck.“

Landeschef Jan Stöß ist bei Wowereit längst unten durch

Interessant ist an dieser Stelle: Wowereit dankte ausdrücklich der SPD-Abgeordnetenhausfraktion und dessen Chef Saleh für „ihre Loyalität“. Kein Wort zum Landesvorsitzenden Stöß, der bei Wowereit endgültig unten durch ist, seitdem er den Rücktritt des Steuersünders und Kultur-Staatssekretärs André Schmitz im Februar wenig einfühlsam beschleunigte. Stöß gehörte schon 2012 nicht zum Freundeskreis des Regierenden Bürgermeisters, als er gemeinsam mit Saleh den ehemaligen SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller entmachtete.

Die Abwahl Müllers, ehemals enger Vertrauter Wowereits, auf einem Landesparteitag vor gut zwei Jahren, war der Anfang vom Ende Wowereits. Der SPD-Landesverband kam seitdem nicht mehr in ruhiges Fahrwasser. Der im Frühjahr 2014 offen ausgebrochene Machtkampf zwischen Stöß und Saleh, der erfolglos versuchte, im Hauruckverfahren die Parteiführung an sich zu reißen, beschleunigte den innerparteilichen Diskussionsprozess enorm. Aber so richtig unter Dampf steht die Hauptstadt-SPD erst seit wenigen Wochen – wegen des anhaltenden Desasters um den Flughafen BER, dessen Eröffnung wohl frühestens 2016 möglich sein wird. Aber auch wegen miserabler Umfragewerte für Wowereit und seine SPD, in der sich die große Unzufriedenheit der Berliner mit der Arbeit des rot-schwarzen Senats widerspiegelt.

Deshalb wuchs die Unruhe im SPD-Landesverband in jüngster Zeit beträchtlich, trotz der ansonsten ruhigen Sommerferien. Eigentlich wollte Berlins Regierungschef ja erst im Herbst 2015 Klarheit schaffen, ob er noch einmal antritt. Doch dieser Plan wurde spätestens vor zwei Wochen durchkreuzt, als der SPD-Kreischef in Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß, den Regierenden Bürgermeister und Parteifreund aufforderte, ein klärendes Wort noch in diesem Jahr zu sprechen. Dass dies öffentlich geschah, stieß in der SPD auf Kritik, doch in der Sache standen und stehen viele wichtige Genossen an Komoß’ Seite. Auf einer informellen Sitzung der zwölf SPD-Kreisvorsitzenden sollte am nächsten Wochenende auch darüber beraten werden, im Zuge der ersten Vorbereitungen auf den Wahlkampf 2016.

Den Dauerdiskurs um seine Person hatte Wowereit gründlich satt

Auch der weitere Terminfahrplan der SPD-Spitze um Jan Stöß musste den politisch ausgefuchsten Wowereit stutzig machen. Für Ende Oktober ist eine Klausurtagung des SPD-Landesvorstands anberaumt, ebenfalls zum Thema Wahlkampf und -programm. Und für den 8. November war ein Landesparteitag geplant, der nun für die Kandidatenkür umfunktioniert wird. Die Debatte um das politische Schicksal des Berliner Regierungschefs hätte also bis zum Jahresende immer wieder auf öffentlicher Bühne – und nicht nur in den Hinterzimmern – stattgefunden. Dieser Dauerdiskurs um seine Person, die eine normale Regierungsarbeit nicht mehr zuließ, hatte Wowereit aber jetzt schon gründlich satt.

Die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop formulierte am Montag etwas drastisch, aber wohl zutreffend den Schritt Wowereits: „Er hat seinen Leuten die Sache vor die Füße gekippt, nun muss die SPD sehen, wie sie damit klarkommt.“ Die Sozialdemokraten kommen schlecht damit klar. Normalerweise tritt ein Ministerpräsident erst zurück, wenn die Nachfolge innerparteilich klar geregelt ist. Wie beispielsweise beim rheinland-pfälzischen Regierungschef Kurt Beck (SPD), dem Marie-Luise Dreyer nachfolgte. Oder als Matthias Platzeck (SPD) in Brandenburg Manfred Stolpe beerbte. Dies scheint in Berlin nicht möglich zu sein.

Wie der christdemokratische Vorgänger Eberhard Diepgen, der noch länger regierte, hat Wowereit aber im Laufe seiner Amtszeit keinen Wert darauf gelegt, einen Nachfolger langfristig aufzubauen. Die besonders dünne Personaldecke der Landes-SPD machte dies allerdings auch immens schwierig. Zwar fand in den vergangenen Jahren in der Berliner SPD ein Generationswechsel statt, die 30- bis 40-Jährigen übernahmen mit großem Ehrgeiz viele Ämter, Mandate und Parteifunktionen. Aber dieser Prozess, teilweise vor, teilweise nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 fand nicht im Gleichklang mit Wowereit statt. Er hat dies notgedrungen akzeptiert. Jetzt mit letzter Konsequenz.

Ulrich Zawatka-Gerlach

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