Berlin und der Regierende Bürgermeister: Klaus Wowereit darf stolz auf sich sein
Klaus Wowereit konnte Berlin zuletzt nicht mehr viele Impulse geben. Und dennoch: Als Regierender Bürgermeister hat der SPD-Politiker für Berlin Beachtliches erreicht. Ein Kommentar.
Und dann geht es doch ganz schnell und fast brutal: Klaus Wowereit wird nicht mehr der erste Berliner sein, der Oberberliner, der Mann, der mit und in und für diese Stadt viel getan hat, auch wenn viele von ihm schon lange die Nase voll haben. Wowereit ist weich geworden. Er will heraus aus dem Rathaus, herunter von der Regierungsbank. Bis zum Dezember dient er noch. Dann soll das Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der rot-schwarzen Koalition Wowereits Nachfolger wählen.
Das sieht nach Resignation aus. Und tatsächlich hat die Berliner Politik der vergangenen, sagen wir: anderthalb Jahre nicht viel an Impulsen gehabt, die man auf Wowereit und so etwas wie eine Wowereit-Agenda hätte zurückführen können. Weil er die nicht hatte und weil er wohl gehofft hatte, er können seine durchaus eindrucksvolle politische Karriere mit der Feier der Inbetriebnahme eines neuen Flughafens vollenden, wurde er vom beliebtesten zum unbeliebtesten Berliner Politiker. So wie ihm die Leute jahrelang dafür dankbar waren, dass er das Bild der Stadt nach außen verjüngt, verschönert und attraktiv gemacht hat, so nahmen sie ihm nun übel, was an Negativ-Attributen vom „Möchtegern-Flughafen“ bis zu „Deutschlands peinlichster Baustelle“ Kommentatoren-Fantasien immer weiter anregte.
Pech für Wowereit, dass er nicht wirklich die Kontrolle hatte über das, was am Flughafen alles nicht klappte. Aber vorher war da viel mehr – so viel, dass dieser Mann eine Zeit lang als Mann für ganz vorne und ganz oben galt, als Bundes-SPD-Führungsreserve. Welcher Länder-Chef redete schon so direkt wie Wowereit mit der Kanzlerin über das, was sie für Berlin tun könne und müsse.
Klaus Wowereit verpasste Berlin ein junges Image
Was am Ende politisch zerfasert ist, hatte einen, sagen wir mal: bürgerlich-revolutionären oder mindestens sehr temperamentvollen Anfang gehabt. Wowereit und ein halb vergessener SPD-Chef namens Peter Strieder putschten die wegen der Banken-Affäre schwer angeschlagene CDU von der Macht. Wowereit kam mit dem – nicht allein für ihn, auch für die Stadt Berlin – wichtigen Outing seiner Homosexualität an die Macht.
Wowereit holte einen Finanzsenator namens Thilo Sarrazin, der den Berliner das Sparen und das Rechnen beibrachte – und dass sie in ihrer etwas verarmten Stadt nicht mehr ständig Subventionen und Berlin-Zulagen erwarten konnten. Wowereit setzte bei den Beamten über Jahre den Verzicht auf regelmäßige Gehaltserhöhungen durch. Wowereit setzte durch, dass Lehrer in Berlin nicht mehr verbeamtet werden. Schon das war mehr, als manche Ministerpräsidenten in zwanzig Jahren auch nur zu denken wagen würden.
Doch der Berliner Regierende tourte auch noch durch die Welt und verkaufte in Mexiko und Thailand und Los Angeles den Leuten den Eindruck, in Berlin ereigne sich so was die wie Wiedergeburt der europäischen Metropole in der Gestalt des 21. Jahrhunderts: leicht heruntergekommen, extrem feierfreudig, liberal, experimentierfreudig, jung, jung, jung und niemals älter werdend, sexy in allen Spielarten, die heute so praktiziert werden, offen, cool: insgesamt extrem sehens- und für ein paar Tage auch erlebenswert.
Das ist nicht wenig für einen, der mal als Stadtrat in Tempelhof angefangen hat. Es ist durchaus viel für einen Stadt, in der Politik zu machen nicht ganz einfach ist. Es ist eine Lebensleistung, auf die einer stolz sein kann, auch wenn ihn heute mal nicht alle großartig finden.
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Werner van Bebber