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Was bleibt, Klaus Wowereit. Ein Gemälde immerhin gibt es schon mal.
© dpa

Das erste Tagesspiegel-Interview mit Klaus Wowereit: "Ich war ziemlich erschüttert"

25. Juni 2001, das erste Tagesspiegel-Interview: Klaus Wowereit über das schwierige Verhältnis zur PDS, die Ziele des neuen Senats, die CDU - und warum er sich auf den Wahlkämpfer Helmut Kohl freute.

Dieses Interview erschien am 25. Juni 2001, zehn Tage nach dem Amtsantritt des neuen Regierenden. Es war das erste Tagesspiegel-Interview mit Klaus Wowereit. 13 Jahre später, am 26. August 2014, verkündete Wowereit seinen Rücktritt. Lesen Sie hier noch einmal, wie seine Ziele lauteten.

Was war das größte Risiko, das Sie in Ihrem Leben eingegangen sind?

Das Wort Neuwahlen in der Landowsky-Krise.

Sie haben zwei Tabus gebrochen. Welcher Tabu-Bruch fiel Ihnen leichter?

Das Bekenntnis, schwul zu sein, war politisch leichter, aber persönlich schwerer.

Anfang Juni haben Sie uns gesagt, die SPD müsse klären, ob die PDS für sie noch tabu ist. Zwei Wochen später haben Sie zusammen mit der PDS Eberhard Diepgen gestürzt. Gibt es einen Geheimbeschluss der SPD zum Thema PDS, der uns entgangen ist?

Den gab es nicht. Es ist kein Geheimnis, dass das Thema PDS in der SPD immer noch umstritten ist. Ich lege Wert auf Differenzierung. Wir haben zu Beginn der Wahlperiode 1999 die Zusammenarbeit oder Koalition mit der PDS abgelehnt. Doch wir haben jetzt den Regierungswechsel nicht für den Rest der Wahlperiode herbeigeführt, sondern für einen Übergangssenat bis zu Neuwahlen.

Im Moment folgt Ihnen die SPD lammfromm. Ist Ihnen das nicht unheimlich?

Meine Partei ist geschlossen, aber nicht lammfromm. Drei Fraktionsmitglieder haben sich beim Regierungswechsel der Stimme enthalten. Das hat jedoch nicht zur Zerreißprobe geführt. Etliche andere, die wegen ihrer persönlichen Erfahrungen in der DDR erhebliche Schwierigkeiten mit der PDS haben, stellten in der Abwägung, weiter so mit der CDU und Herrn Diepgen oder nicht, solidarisch ihre Interessen hintan.

Fürchten Sie bei einer Koalition mit der PDS Nachbeben in Ihrer Partei?

Wir machen keine Koalitionsaussage zu Gunsten der PDS. Wir kämpfen um so viele Stimmen wie möglich. Ich strebe auch keine Koalition mit der PDS an. Mir wäre Rot-Grün am liebsten, dann ist das Thema PDS gar kein Problem. Eine neue Große Koalition mit dieser CDU ist für mich ausgeschlossen. Wenn es eine Alternative nur unter Einbeziehung der PDS gibt, werde ich sie nutzen.

Wie wollen Sie feststellen, ob sich die PDS gewandelt hat?

Die PDS muss sich eindeutig von der DDR-Diktatur und vom Mauerbau distanzieren und sich bei den Opfern entschuldigen. Zweitens muss sie in der Bundesrepublik ankommen. Wenn sie Regierungsverantwortung übernehmen will, wird sie sich von fundamentalen Positionen trennen müsssen. Man kann keinen Wunschhaushalt ohne Rücksicht auf die Finanzlage planen.

Der PDS-Vize-Vorsitzende Porsch hat die Mauer mit Grenzbarrieren der EU verglichen. Versteckt sich hinter Gysi nicht die alte SED?

Das glaube ich nicht. Vermutlich gibt es dort auch noch Altstalinisten. Aber das muss die PDS-Führung ausfechten. Ich nehme auch an, dass es noch Blockflöten in der CDU gibt.

Was haben Sie empfunden, als Anneliese Neef, SPD, erklärte, warum sie nicht mit der PDS Eberhard Diepgen abgewählt hat?

Hohen Respekt.

Was hat Sie in den ersten Amtstagen am meisten beeindruckt?

Die viele Post, die ich bekommen habe. Zum größten Teil ermutigende, zum kleinen Teil negative, teilweise sehr anrührende Post.

An Ihrem ersten Amtstag wurden Sie vor dem Friedhof Seestraße anlässlich der Gedenkfeier für die Opfer des 17. Juni ausgepfiffen.

Das waren vor allem Mitglieder der Jungen Union. Ich finde es peinlich, wenn Vertreter von Parteien an einem Friedhof krakeelen und pöbeln. Die Vertreter der Opferverbände waren da. Obwohl es einigen nicht leicht fiel, haben sie mit mir diskutiert. Das ist der Unterschied zu dieser Art CDU-Wahlkampf.

Erwarten Sie einen größeren Wahlkampfeinsatz von Helmut Kohl?

Ich hoffe darauf. Besser kann er der SPD nicht helfen.

Kürzlich waren Sie noch so gut wie unbekannt. Jetzt trauen Ihnen 33 Prozent der Berliner zu, am ehesten die Probleme der Stadt zu lösen. Wie erklären Sie sich das?

Auf viele hat das Ende der Großen Koalition befreiend gewirkt. Die andere Art, Politik zu machen, wird akzeptiert.

Welche andere Art?

Ich meine die ehrliche, glaubwürdige Art, Themen anzupacken. Ich denke, dass ich auch eine verständliche Sprache spreche.

Was hat sich denn im Senat geändert?

Die Finanzsenatorin hat die volle Rückendeckung des Regierenden Bürgermeisters. Das war bei Diepgen anders. Alle im Senat wissen, dass es mit mir kein Weiterso gibt. Der Senat sucht im Dialog mit den Kapazitäten außerhalb der Verwaltung, etwa mit der Gewerkschaft Verdi, nach Konzepten. Alleine schaffen wir es nicht. Und es ist nicht mein Politikstil, Probleme auszusitzen. Wir müssen schnell entscheiden.

Mit welchen Entscheidungen wollen Sie den Neubeginn deutlich machen?

Wir müssen die Lösung der Bankenkrise vorbereiten. Ich werde Gespräche aufnehmen über eine Zusammenarbeit von S-Bahn und BVG, um einheitliche Management-Strukturen zu schaffen. Man kann ja keinem klar machen, dass die beiden Verkehrsunternehmen aneinander vorbei arbeiten.

Sie wollen mit der Bundesregierung über Hauptstadtaufgaben sprechen. Über welche?

Wir werden eine Debatte mit dem Bund und den anderen Ländern führen, was die Hauptstadt für die Republik bedeutet. Ein Beispiel ist das nationale Kulturerbe, also die Museumsinsel und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Berlin kann diese Aufgaben, die es bisher zu 50 Prozent wahrgenomnen hat, nicht mehr stemmen. Es geht auch um die innere Sicherheit, und um immer weitere Bereiche. Allerdings muss erkennbar sein, was eine Hauptstadtaufgabe für alle ist.

Hat der Bund ein offenes Ohr?

Ich habe den Eindruck, dass seit dem Umzug der Bundesregierung und der Ländervertretungen das Grundverständnis für die Hauptstadt wächst. Diese positive Stimmung müssen wir nutzen, und zwar so, dass man nicht mit dem Holzhammer auf den Tisch haut, sondern diplomatisch vorgeht.

Können Sie uns mit drei, vier Worten sagen, wie Sie Zukunft verkörpern?

Für mich ist nicht wichtig, was man plakativ, sondern was man glaubwürdig tut.

Ihr CDU-Konkurrent Frank Steffel wirbt mit den Worten: Die neue Kraft.

Parolen auf Wahlplakaten sind aus meiner Sicht problematisch. Entweder sind sie Plattitüden oder undifferenziert, also grobschlächtig. Mein Ziel ist, in 100 Tagen zu zeigen, dass wir die Probleme der Stadt anpacken. Das ist die beste Werbung.

Wann haben Sie eigentlich den Entschluss gefasst, Ihre Homosexualität zu offenbaren?

Ich habe geahnt, dass sich der Machtverlust der CDU auch in einer Schlammschlacht niederschlagen wird. Ich habe das für mich entschieden in der Sitzung von Landesvorstand und Fraktion, die mich zum Bürgermeister-Kandidaten nominiert haben, und es in meiner Kandidatenrede auf dem Parteitag gesagt.

War Werbewirksamkeit mit einkalkuliert?

Nein. Mir wäre am liebsten, ich müsste darüber gar nicht reden. Ich sehe das auch nicht als Modell für andere. Mir war wichtig, dass der harte Wahlkampf nicht überlagert wird von einer Auseinandersetzung über meine persönliche Situation. Und ich wollte, dass diejenigen, die mich unterstützen, es vorher wissen.

Jeder kennt jetzt den Spruch: Und das ist auch gut so. Fiel Ihnen der spontan ein?

Ja, spontan, emotional. Und nun ist es ein geflügeltes Wort.

Seit wann haben Sie sich auf den Machtwechsel vorbereitet?

Als am 6. Juni die Koalition platzte, war mir klar, dass es auf mich als Kandidat zuläuft.

Hat sich Herr Steffel richtig erinnert, dass Sie ihm noch kurz vor dem Bruch die Koalitionstreue bis 2004 zugesagt haben?

Ich war ziemlich erschüttert über das, was er gesagt hat.

Sie meinen die Äußerung, Sie seien ein deformierter Charakter?

Genau. Das fand ich eine glatte Unverschämtheit. Ich habe ihm sicher so nicht gesagt, dass er sich auf die Große Koalition bis 2004 verlassen könne. Als ich mit ihm sprach, hatte ich aber keine Anzeichen, dass die Koalition platzt. Die Lage änderte sich.

Wann fiel denn nun die Entscheidung, die Koalition zu verlassen?

Ob man es mir abnimmt oder nicht: Es gab kein Ausstiegsszenario. Aber nach der Regierungserklärung von Diepgen und einem Gespräch mit Steffel war mir klar, dass es sehr, sehr schwer würde, die anstehenden Aufgaben mit der CDU zu bewältigen. Es war mein Empfinden und das Empfinden von vielen in meiner Fraktion, dass die CDU nichts gelernt hatte aus der Parteispendenaffäre und der Bankenkrise. Dann legte Finanzsenator Peter Kurth seine Sparliste vor, die er ganz kurzfristig mit Diepgen besprochen hatte. Es war völlig unklar, ob es da eine Basis gäbe. Dass der Koalitionsausschuss dann diesen Verlauf nehmen würde, wusste ich aber nicht.

Wie schätzen Sie Steffel ein?

Er ist zwar jung, aber er repräsentiert die alte CDU, die alte Betonriege von Klaus Landowsky. Die reformerischen Kräfte der CDU haben sich nicht durchgesetzt.

Deshalb keine Große Koalition?

Ja. Sonst hätten wir auch in dieser Koalition bleiben können. Die CDU hat sich nicht erneuert. Sie ist mit Volldampf auf dem Weg zurück in die Vergangenheit.

Hat die SPD keinen Erneuerungsbedarf?

Wir sind kräftig dabei und werden weiter daran arbeiten. Michael Müller wurde mit seinen 36 Jahren einstimmig zum Fraktionschef gewählt. Das wäre früher unmöglich gewesen. Bei uns hat sich viel geändert. Das können Sie zum Beispiel am SPD-Beschluss für das Abitur nach zwölf Schuljahren sehen.

Oskar Lafontaine hat einen Allparteien-Senat angeregt. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Das führt nicht zur Entscheidungsfähigkeit. Es wäre auch merkwürdig für die Demokratie, wenn es keine Opposition gäbe.

Auch Gysi hat ein Kabinett der Besten gefordert...

das er auch bräuchte. Er würde es ja mit seiner PDS nicht zusammenkriegen.

Würde die SPD eine Koalition unter Führung der PDS eingehen?

Garantiert nicht. Die SPD wird auf keinen Fall unter der PDS die zweite Rolle spielen.

Haben Sie eine andere Begründung als die Machtfrage?

Die PDS wird ganz einfach nicht stärkste Kraft. Und wenn doch, würde die SPD so abschneiden, dass sie wahrscheinlich in die Opposition ginge.

Trauen Sie sich die Rolle des lustvollen Oppositionsführers zu?

Ich war gerne Fraktionschef.

Aber da waren Sie nicht in der Opposition.

Na, manchmal schon.

Lorenz Maroldt, Brigitte Grunert

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