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Kenyatta und Ruto knieen vor mehreren Priestern, die sie festhalten
© AFP
Update

Internationales Recht: Kenia verlässt Internationalen Strafgerichtshof

Am kommenden Dienstag beginnt der Prozess gegen den Vizepräsidenten Kenias, William Ruto, weil er nach den Wahlwirren 2007 Angehörige seiner Ethnie zu Mord und Totschlag angestiftet haben soll. Am 12. November muss auch der Präsident in Den Haag vor Gericht erscheinen.

In Kenia regiert die Panik – in Gestalt des im März gewählten Präsidenten Uhuru Kenyatta und seines Vizepräsidenten William Ruto. Seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr haben Kenyatta und Ruto all ihre diplomatischen Bemühungen dahin gerichtet, dass die Anklagen gegen sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag fallen gelassen und die Prozesse gegen sie nicht eröffnet werden. Am Donnerstag beschloss das kenianische Parlament, dass das Land aus dem IStGH austreten soll.

Kenyatta und Ruto hatten mit ihrer diplomatischen Offensive durchaus Erfolg. Die Afrikanische Union hat im  Mai eine Resolution  verabschiedet, in der dem IStGH Rassismus vorgeworfen wird, weil bisher ausschließlich gegen Kriegsverbrecher und Völkermörder in Afrika verhandelt wird. Zudem verlangt die Afrikanische Union vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die  Fälle vor dem IStGH zu „beenden“. Der UN-Sicherheitsrat hat über dieses Anliegen bisher nicht beraten – und wird es wohl auch kaum tun. Denn er  kann dem IStGH nicht vorschreiben, wie er seine Verfahren zu führen hat, geschweige denn sie von New York aus beenden.

Am kommenden Dienstag wird der Prozess gegen William Ruto vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eröffnet. Ruto ist angeklagt, nach der Wahl im Dezember 2007 Angehörige seiner Ethnie angestiftet zu haben, Jagd auf Angehörige anderer Ethnien zu machen, die bei der Wahl die Partei des damaligen Präsidenten Mwai Kibaki unterstützt hatten. Mit Ruto ist der ehemalige Radio-Moderator Joshua Sang angeklagt, der in der Auseinandersetzung nach der Wahl mit Hetzreden aufgefallen war. Beiden wird Beihilfe zum Mord, zu Verfolgung und Vertreibung vorgeworfen.

Am 12. November muss sich dann auch der Präsident, Uhuru Kenyatta, in Den Haag verantworten. Ihm wird Anstiftung zur Gegengewalt in den Nach-Wahlauseinandersetzungen vorgeworfen. Ruto und Kenyatta standen 2007/2008 auf verschiedenen Seiten. Rutos Ethnie, die Kalenjin, machten im Rift-Valley Jagd auf Kikuyus, dem Volk, zu dem auch Kenyatta gehört. Kenyatta wiederum soll als Reaktion darauf eine verbotene Kikuyu-Sekte, die Mungiki, auf Kalenjin und Luos gehetzt haben. Die Luos aus dem Westen des Landes haben den Gegenkandidaten Kibakis 2007 und Kenyattas 2013, nämlich Raila Odinga unterstützt. Bei den Konflikten starben mehr als 1100 Menschen, rund 600 000 Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben – einige Zehntausend leben bis heute in Zeltstädten.

Ruto und Kenyatta, die Gegner von 2007, fanden sich vor der Wahl 2013 als Verbündete gegen den IStGH zusammen – und wurden mit der Parole „diese Wahl ist ein Referendum gegen den IStGH“ knapp gewählt. Seither reist Ruto im Auftrag seines Chefs in einem teuren Privatjet durch Afrika, um Unterstützung gegen die internationale Strafgerichtsbarkeit zu organisieren. Zudem haben die Helfer der beiden ersten Männer im Staat Zeugen massiv unter Druck gesetzt. Seit Monaten ziehen sich immer mehr Zeugen aus dem Verfahren zurück, weil sie um ihr Leben fürchten. Zuletzt nahmen am Montag zwei Zeugen gegen Ruto und Sang ihre Aussagebereitschaft zurück. Sie begründeten ihren Schritt damit, „dass sie ihre Familien vor dem Druck und der Angst“ beschützen müssten. Andere Zeugen sind einfach „verschwunden“. Phakiso Mochocho vom IStGH beklagte im kenianischen Privatfernsehsender KTN, dass noch in keinem anderen Fall Zeugen so massiv unter Druck gesetzt worden seien wie in Kenia. Mochocho sagte: „Ohne Zeugen, ohne Aussagen haben wir keinen Fall.“

Genau das ist ja auch das Ziel der Verteidiger von Kenyatta und Ruto. Erst in dieser Woche hat eine Menschenrechtsorganisation einen Bericht vorgelegt, der dokumentiert, unter welchen Repressionen Aktivisten leben, die in die Vorbereitung des IStGH-Verfahrens eingebunden waren oder sind. Kenyattas Verteidiger haben in diesem Sommer versucht, die Mobilfunkfirmen Safaricom und Airtel zur Herausgabe von Handy-Daten einiger Hundert Kenianer zu zwingen, aus denen sich herauslesen wollten, dass Menschenrechtler Zeugen des Verfahrens „beeinflusst“ haben könnten. Unter den abgefragten Daten befanden sich auch Zeugen, deren Identität vor dem Gerichtshof zwar zu ihrem Schutz geheim gehalten wird. Das hat ihnen aber offenbar wenig geholfen.

Während die Anklage von Chefanklägerin Fatou Bensouda – es ist ihr erster großer Fall in ihrer neuen Position – immer mehr zerbröselt, versuchen Ruto und Kenyatta durchzusetzen, dass sie möglichst selten in Den Haag anwesend sein müssen. Tatsächlich hat der Strafgerichtshof im Falle Rutos entschieden, dass er nicht an jedem Sitzungstag teilnehmen müsse, weil das mit seinen Pflichten als Vizepräsident Kenias kollidiere. Allerdings steht die Entscheidung der Berufungskammer dazu noch aus. Diese verpflichtete Ruto bis zur Entscheidung an den Sitzungstagen teilzunehmen. Bis November dürfte er wohl viel Zeit in Den Haag verbringen. Damit er den ersten Tag nicht allein im Gerichtssaal verbringen muss, reisen am Montag 84 kenianische Abgeordnete nach Den Haag, um ihm „moralische Unterstützung“ zu geben.

Das Parlament hat am Dienstag aber auch darüber diskutiert, sich aus dem Internationalen Strafgerichtshof zu verabschieden. Kenia hat das Statut des IStGH 2005 ratifiziert. Es wäre das erste Land, dass sich aus der internationalen Strafgerichtsbarkeit wieder verabschieden würde. Sollte das Parlament beschließen, aus dem IStGH auszutreten, hätte das allerdings für die laufenden Verfahren keine Auswirkungen, obwohl viele Abgeordnete in Nairobi genau diesen Eindruck vermitteln. Außerdem ist unklar, ob das Parlament diese Entscheidung tatsächlich ohne ein Referendum beschließen kann. Denn in der Verfassung Kenias ist die Zugehörigkeit zum IStGH verankert, und eine Verfassungsänderung ist nur möglich, wenn sie auch in einem Referendum eine Mehrheit findet. Das ist allerdings nicht ausgeschlossen. Die Aussicht ihren amtierenden Präsidenten und Vizepräsidenten als mutmaßliche Mörder auf der Anklagebank zu sehen, hat die Zustimmung der Kenianer zum IStGH dramatisch sinken lassen. Nur noch 39 Prozent waren in einer Umfrage im Juli noch zufrieden mit dem IStGH.

Dagmar Dehmer

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