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„Frohes neues Jahr, Noworossija!“ Diese Postkarte auf einem Markt in Donezk stimmt auf 2015 ein. Die Gefechte in der Region dauern weiter an.
© imago

Ukraine: Kein Frieden um keinen Preis

Die Verhandlungen zwischen Kiew und den Separatisten in Minsk sind gescheitert. Beide Seiten rüsten weiter auf. Und Präsident Poroschenko gerät innenpolitisch zunehmend unter Druck.

Viele Menschen haben ihre Hoffnungen in die neuen Friedensverhandlungen von Minsk gesetzt – nun sind sie geplatzt. An Heiligabend hatte es Gespräche gegeben, die unter dem Vorsitz der OSZE eigentlich am zweiten Weihnachtsfeiertag fortgesetzt werden sollten.

Schon am Wochenende soll dennoch der Austausch von Gefangenen beginnen, darauf hatten sich nach Aussagen des Anführers der „Volksrepublik Luhansk“, Igor Plotznizki, die Verhandlungsteilnehmer geeinigt. Die prorussischen Separatisten hatten sich bereit erklärt, in einer ersten Phase, die bis zum 30. Dezember dauern sollte, 225 ukrainische Gefangene freizulassen. Im Gegenzug wollten die Ukrainer 150 Separatisten gehen lassen. Das Verteidigungsministerium in Kiew teilte am Freitag mit, die Aktion könne innerhalb der nächsten 48 Stunden beginnen.

Währenddessen gehen in der Ostukraine die Kämpfe weiter. Trotz einer geltenden Waffenruhe meldete die Donezker Stadtverwaltung am Freitag den Beschuss der Stadt durch schwere Waffen. Das Gouverneursamt in Luhansk schreibt, in den vergangenen 24 Stunden habe es über 21 Kämpfe gegeben, dabei sollen auch schwere Waffen zum Einsatz gekommen sein.

Der Pressesprecher des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte, Alexej Mazepa, teilte vor Medien in Kiew mit, die Armeeführung sei zum Abzug schwerer Waffen erst dann bereit, wenn es gelänge, den Waffenstillstand mindestens 48 Stunden einzuhalten. Wie ernst diese Aussage gemeint ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Offenbar ist die Bereitschaft zu ernsthaften Gesprächen über einen dauerhaften Friedensplan eher gering.

Alle Konfliktparteien wenden ihre Energie bislang eher dafür auf, militärisches Material in die Region zu bringen. Drei neue Mobilisierungswellen wurden in der Ukraine für das erste Halbjahr 2015 festgelegt. Im neuen Jahr will Kiew alle wehrtauglichen Männer im Alter zwischen 20 bis 27 Jahre zum Armeedienst einziehen.

Die Volksrepubliken verstaatlichen ukrainische Unternehmen

Der Anführer der „Volksrepublik Donezk“, Alexander Sachartschenko, sagte unterdessen der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti, dass seine Verwaltung damit begonnen habe, ukrainische Staatsunternehmen zu verstaatlichen. „Alle großen Firmen, ob Energieunternehmen, Post, Krankenhäuser oder Werke der Alkoholgewinnung, sind de facto verstaatlicht“, sagte der 38-Jährige. Nun seien Privatvermögen an der Reihe, das müsse allerdings sorgfältig geprüft werden und hänge „vom Einzelfall ab“.

Solche Meldungen machen die Führung in Kiew nervös. Dort ist den meisten Politikern längst bewusst, dass neben der Krim auch Teile der Ostukraine verloren sind. Präsident Petro Poroschenko gerät zunehmend in die Defensive. Moskau hat am vergangenen Wochenende die Staatsführer aus Kasachstan und Weißrussland nach Kiew gerschickt. Nursultan Nasarbajew und Alexander Lukaschenko sind beide seit über 20 Jahren im Amt und durch die Zollunion wirtschaftlich eng mit Russland verbunden. Lukaschenko sagte zu seinem ukrainischen Amtskollegen, er solle Bescheid sagen, wenn er sofortige wirtschaftliche Unterstützung brauche. Mit dieser Äußerung sorgte er in Kiew für viel Ärger. Poroschenko gelingt es nicht, die desolate Stimmung im Land umzudrehen – zumal innenpolitisch wieder Streit herrscht.

Der Präsident verliert immer mehr an Macht

In dieser Woche verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Zuständigkeiten des Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates erheblich erweitert. Demnach koordiniert und überwacht der Chef des Sicherheitsrates nun alle sicherheitsrelevanten Fragen der Regierung, außerdem kann der Sicherheitsrat dem Präsidenten nun auch selber Vorschläge unterbreiten und ist an den Entscheidungen zu beteiligen. Eine Gruppe junger, erst Ende Oktober ins Parlament gewählter Abgeordneter spricht von einem „Abstimmungsskandal“. Das Gesetz wurde am 25. Dezember durch die Rada gepeitscht. Änderungsvorschläge wurden nicht angenommen. „Ist das der Arbeitsstil der neuen Regierung?“, fragt Sergej Leschtschenko, Parlamentarier des Blocks Poroschenko und früherer Journalist, verärgert auf seiner Facebook-Seite. Was Präsident Poroschenko dazu bewegt hat, seinen alten Intimfeind Alexander Turtschinow, der der Partei „Volksfront“ von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk angehört, diese Machtfülle zuzugestehen, ist bislang unbekannt. Poroschenko selber äußerte sich bislang nicht zu der Machtverschiebung.

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