Wahl zum Regionalparlament: Katalonien stimmt heute über seine Zukunft ab
5,5 Millionen Bürger wählen das neue Regionalparlament - und entscheiden über die Stabilität Spaniens. In Umfragen liegen Separatisten und Anhänger des Zentralstaates gleichauf.
Nicht nur in Barcelona und Madrid, sondern auch in Berlin, Brüssel und Washington verfolgen Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer an diesem Donnerstag die Regionalwahl in Katalonien. Vom Ergebnis der Abstimmung hängt nicht nur die Stabilität Spaniens ab, sondern letztlich die der Euro-Zone. In Spaniens nordöstlicher Unruheprovinz sollen 135 Abgeordnete für das Parlament in Barcelona gewählt werden. Der Ausgang ist offen, die katalanische Gesellschaft tief gespalten – darüber hinaus wurde die Abstimmung nach den Turbulenzen der vergangenen Monate in einer Art Notstandsakt von der Zentralregierung in Madrid angeordnet.
Sowohl die Befürworter als auch die Gegner eines von Spanien unabhängigen Kataloniens sind in vielen Parteien organisiert. Beide Lager könnten, so jüngste Umfragen, gleich viele Stimmen erhalten. In katalanischen und zentralspanischen Medien heißt es, das Interesse an der Wahl sei enorm, der Kampf um Katalonien die größte Herausforderung seit der Demokratisierung Spaniens vor 40 Jahren. Rund 5,5 Millionen Katalanen sind stimmberechtigt.
In Barcelona regierte seit 2015 eine von sozialliberalen und linksnationalistischen Parteien geformte Koalition, die einen eigenen Staat forderte. Die reguläre Legislatur dieser separatistischen Koalition wäre bis 2019 gelaufen. Nach einem von Madrider Verfassungsrichtern untersagten Referendum und einer umstrittenen Unabhängigkeitserklärung in diesem Herbst hatten Bundespolizisten nicht nur katalanische Politiker verhaftet.
Der in Barcelona amtierende Regionalpräsident Carles Puigdemont wurde von der Madrider Zentralregierung für abgesetzt erklärt und floh nach Brüssel: Er hoffte vergeblich auf Hilfe durch Institutionen der Europäischen Union. Madrid schrieb Neuwahlen aus, die von den radikaleren Linksnationalisten als illegitimes Diktat abgelehnt werden.
Wahlkampf aus dem Exil - und der Haftanstalt
Den Wahlkampf prägte dann auch, dass sich populäre Kandidaten in Haft oder Exil befinden. Puigdemont, der wieder mit der Liste „Gemeinsam für Katalonien“ antritt, führte via Videoübertragungen einen Fernwahlkampf. Immerhin waren kürzlich 45.000 Anhänger zum ihm nach Brüssel gereist. In spanischer Haft sitzt der katalanische Ex-Vizepräsident Oriol Junqueras. Er ist Spitzenkandidat der Republikanischen Linkspartei ERC, die ein unabhängiges Katalonien mit starkem Sozialstaat fordert.
In vielen Umfragen führt die ERC. Andere Analysten sehen die liberalen Ciudadanos vorn. Die 36-jährige Chefin der prospanischen Partei, Inés Arrimadas, kündigte an, die Katalanen durch den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und mehr Investitionen wieder mit Madrid zu versöhnen. In beiden Lagern gibt es Hardliner und Moderate. Viele Katalanen wollen Autonomie, jedoch nicht zwangsläufig einen eigenen Staat.
Die Spitzen der EU-Staaten standen bis zuletzt hinter der Zentralregierung von Mariano Rajoy. Dessen Rechtskonservative regieren zwar in Madrid, dürften in Katalonien aber nicht mal zehn Prozent der Stimmen erhalten. Die harte Linie Rajoys halten aber auch in Europa einige für ungeschickt. Frankreichs Ex-Premier Manuel Valls unterstützt wohl auch deshalb die moderateren Ciudadanos. „Europas Zukunft steht auf dem Spiel“, sagte er am Wochenende neben Ciudadanos-Chefin Arrimadas. Die Bundesregierung spricht konsequent von einer „innerspanischen Angelegenheit“.
15.000 Polizisten sollen Wahl bewachen
Die Wahl findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Das Innenministerium in Madrid werde 15.000 Polizisten einsetzen lassen. Am Donnerstag sollen die 2702 Wahllokale durch Beamte bewacht werden. Es gehe auch darum, hieß es in spanischen Medien, etwaige Sabotageakte zu verhindern. Den Berichten zufolge sollen 10.000 der eingesetzten Beamten der katalanischen Regionalpolizei angehören, der Mossos. Zusätzlich möchte Rajoy weitere 5000 Beamte der Nationalpolizei und der Guardia Civil entsenden. Vor allem die paramilitärische Guardia Civil ist in Katalonien unbeliebt. Als deren Truppen das umstrittene Referendum im Oktober verhindern sollten, gab es fast 900 Verletzte.
Schluss mit dem Souveränitätstheater: Lesen Sie hier einen Essay unserer Redakteurin Anna Sauerbrey über die Krise des Nationalstaates.