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 Wikileaks-Gründer Julian Assange
© Aaron Chown/dpa

Auslieferungsverfahren gegen Wikileaks-Gründer: Kann seine junge Familie Julian Assange retten?

Nach sechs Monaten Pause geht in London das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange weiter. Dabei rückt er seine Familie ins Blickfeld.

Nach knapp sechsmonatiger, coronabedingter Unterbrechung geht am Montag das Auslieferungsverfahren gegen den prominentesten Häftling Großbritanniens weiter. Sollte der Wikileaks-Gründer Julian Assange in die USA abgeschoben werden, drohen ihm wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe. Das Hearing vor dem Londoner Magistratsgericht im berühmten Old Bailey wird auf mehrere Wochen veranschlagt.

Die aktuelle Situation
Die Haftbedingungen im Gefängnis Belmarsh vor den Toren Londons sind gleichgeblieben. Womöglich aber sieht die Öffentlichkeit den 49-Jährigen jetzt mit etwas anderen Augen. Denn kaum war im März der Lockdown verkündet, wandte sich Stella Moris, 37, mit einer sensationellen Nachricht an Gericht und Gefängnisbehörden: Sie gehöre nicht nur zu Assanges Anwaltsteam, sondern sei auch die Mutter seiner beiden jüngsten Kinder, des dreijährigen Gabriel und dessen 19 Monate alten Bruder Max.

Um die Gefahr durch das Coronavirus im eng belegten Knast zu reduzieren, solle ihr Verlobter zeitweilig und mit entsprechender Überwachung bei ihr wohnen dürfen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Julian Assanges neue Familie
Die bis dahin unbekannte Existenz einer Londoner Familie könnte dem 49-Jährigen aber noch zum Vorteil gereichen: Im englischen Gesetz spielt das Recht auf ein Familienleben eine wichtige Rolle. Hingegen wäre die Abschiebung „für Julian ein Todesurteil“, glaubt Moris. Dass ihre Beziehung jahrelang geheim bleiben konnte, hat die in Südafrika geborene Londonerin mit spanischem und schwedischem Pass jüngst in Interviews erläutert.

Die Juristin, damals noch unter dem Namen Sara Gonzalez, reagierte 2011 auf einen Aufruf von Assanges Anwältin Jennifer Robinson, die im damaligen, mittlerweile eingestellten schwedischen Auslieferungsverfahren Hilfe brauchte. Dabei ging es um angebliche Sexualverbrechen Assanges gegen zwei Frauen in Stockholm im Sommer 2010.

Julian Assanges Anwältin und Verlobte Stella Moris (rechts) verlässt mit den gemeinsamen Kindern eine Londoner Haftanstalt, nachdem sie den Wikileaks-Gründer dort besucht hatte.
Julian Assanges Anwältin und Verlobte Stella Moris (rechts) verlässt mit den gemeinsamen Kindern eine Londoner Haftanstalt, nachdem sie den Wikileaks-Gründer dort besucht hatte.
© Daniel Leal-Olivas/AFP

Ob ihr diese Vorwürfe nicht unangenehm waren, wurde Moris von der „Sunday Times“ gefragt. „Der Fall war sehr rasch sehr politisch aufgeladen, außerdem gab es schwerwiegende Verfahrensverletzungen“, sagt die Anwältin, die auch Schwedisch spricht. Moris blieb auch Teil von Assanges Anwaltsteam, nachdem sich dieser 2012 der Auslieferung nach Schweden durch die Flucht in die Londoner Botschaft Ecuadors nahe des Nobelkaufhauses Harrods entzog.

Im Lauf der Jahre wurde aus dem professionellen Verhältnis eine Liebesbeziehung. Aus Furcht vor negativen Konsequenzen hielt das Paar die Schwangerschaften vor Assanges Asylgebern geheim. Seinen jüngsten Sohn lernte er erst im Gefängnis kennen.

Die Vorwürfe
Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Dadurch kamen Kriegsverbrechen amerikanischer Streitkräfte in Afghanistan und Irak ans Licht. Assange soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250 000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, Wikileaks bestreitet dies.

Die US-amerikanische und die britische Regierung begründeten ihre unerbittliche Verfolgung stets mit der „Gefährdung der Sicherheit“ ihrer Staatsbürger in brisanten Ländern wie Iran, Irak, Pakistan und Afghanistan. Der jetzige demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden sprach damals als Vizepräsident von „High-Tech-Terrorismus“. Beweise dafür, dass die Veröffentlichung tatsächlich Menschenleben gefährdet habe, blieben die Behörden schuldig.

Wegen der gezielten Leaks im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016, die der demokratischen Bewerberin Hillary Clinton immer wieder Schaden zufügten, behauptete Donald Trump zunächst, er liebe Wikileaks. Die Administration des amtierenden Präsidenten aber hat die Strafverfolgung gegen Assange eisern weiterverfolgt; erst im Juni wurde die Anklage wegen Computerspionage nochmals erweitert.

Seine Unterstützer
Seit Monaten machen auf beiden Seiten des Atlantiks altgediente Galionsfiguren der Linken, aber auch Künstler und Autoren mobil. Der 91 Jahre alte Linguist Noam Chomsky pries Assanges Aktivitäten am Samstag als „allerbesten Journalismus“: Es gelte, den Australier gegen eine „außer Kontrolle geratene Staatsmacht“ zu verteidigen.

„Wir müssen zusammenstehen“, fordert die Schriftstellerin Alice Walker („Die Farbe Lila“). Mode-Legende Vivienne Westwood protestierte im Sommer als „Kanarienvogel im Käfig“ vor dem Gerichtsgebäude gegen die anhaltende Inhaftierung ihres „brillanten“ Freundes. Hingegen haben sich viele frühere Verbündete in den Medien von dem als schwierig geltenden australischen Journalisten abgewandt.

Die politische Dimension
Die konservative Regierung von Premier Boris Johnson möchte den Australier möglichst schnell loswerden, egal wie. Allerdings gibt es bis weit in die konservative Partei hinein Unwohlsein über den ungleichen Auslieferungsvertrag mit den USA.

So weigert sich Washington Anne Sacoolas auszuliefern, die im vergangenen Jahr bei einem Verkehrsunfall in England den Teenager Harry Dunn tötete und Fahrerflucht beging. Pikanterweise handelt es sich bei der Täterin um die Gattin eines CIA-Agenten, womöglich sogar selbst eine Angehörige jenes Geheimdienstes, dessen Ermittlungen dem Verfahren gegen Assange zugrundeliegen.

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