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Frisch gewählt: Jessica Rosenthal auf dem teils digitalen Bundeskongress der Jusos im Januar.
© picture alliance/dpa

Die Macht der Jusos in der SPD: Jung, links und angriffslustig

Mehr als 80 Jusos kandidieren bei der Bundestagswahl für die SPD in Wahlkreisen. Nach der Wahl werden sie von Olaf Scholz wohl einen Preis einfordern. 

Kein Team, kein Schattenkabinett und auch keine jungen Leute als Zeichen für Zukunftsoffenheit: Die Wahlkampagne der SPD dominiert der Kanzlerkandidat auch in der Endphase allein. Olaf Scholz, 63, debattiert mit den Konkurrenten, stellt sich Fragen in TV-Studios und schaut von den Großplakaten herunter die Menschen an.

Die SPD ist diszipliniert wie lange nicht und ordnet sich ihrem Kandidaten unter, der nach Jahren des Niedergangs nun Erfolg verspricht. Doch unter der Oberfläche vollziehen sich Entwicklungen, die den Kurs der Partei nach dem Wahltag mitbestimmen werden – womöglich nicht im Sinne des Vizekanzlers.

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„Von allen Parteien im Bundestag sind wir die jüngst aufgestellte“, sagt Juso-Chefin Jessica Rosenthal selbstbewusst: „Wir haben über 80 Jusos, die kandidieren und über 100 Kandidierende unter 40.“ Die jungen Kandidaten würden „auf jeden Fall dazu beitragen, dass nach dem 26. September frischer Wind durch den Bundestag weht“.

Im Januar hatte die 28-jährige Lehrerin aus Bonn von Kevin Kühnert die Juso-Führung übernommen und kandidiert nun im Wahlkreis Bonn. Nicht in allen Regionen seien Junge gefördert worden, meint sie, doch Berlin sei „für uns ein sehr positives Beispiel, weil dort mit Kevin Kühnert und Annika Klose prominente Jusos kandidieren und die Jusos auch auf der Berliner Landesliste gut vertreten sind“.

Rosenthals Vorgänger als Juso-Chef: Kevin Kühnert kandidiert in Tempelhof-Schöneberg den Bundestag.
Rosenthals Vorgänger als Juso-Chef: Kevin Kühnert kandidiert in Tempelhof-Schöneberg den Bundestag.
© Imagophotothek/Florian Gaertner

Mit der Dominanz von Scholz, so versichert Rosenthal, habe sie keine Probleme: „Es ist eine ganz normale, auch mediale Zuspitzung, dass es auf den Kanzlerkandidaten ankommt und er nicht mit einem Wahlkampfteam auftritt, sondern alleine.“ Dass die Aufstellung ausweislich der Umfragen ankommt, diszipliniert auch die Jusos: Nicht einmal, als Scholz sich im Sommer für die Abschiebung von Schwerkriminellen nach Afghanistan aussprach, widersprachen sie öffentlich. 

Unbemerkt geblieben ist der Vormarsch der jungen Kandidaten in der SPD nicht. „Die bundesweite Strategie der Jusos hat Früchte getragen“, urteilt Parteienforscher Oskar Niedermayer: „Das Stillhalten der Jusos und des linken Flügels der SPD war eine zentrale Voraussetzung dafür, dass die Wahlkampfstrategie von Olaf Scholz und Generalsekretär Lars Klingbeil aufging.“

Der Schub für die Jungen hat auch Unruhe in die Partei getragen. Ein gut vernetzter  Genosse warnte  vor „Altersdiskriminierung“. Und sogar Vertreter des linken Parteiflügels erklärten vor wenigen Monaten, sie wollten im Gegensatz zu früher Juso-Vertreter im Wahljahr nicht in wichtige Funktionen wählen, da deren Kurs Wähler oft eher abschrecke.

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Rosenthal sieht das naturgemäß anders – und zählt auf, was ihr Verband dem Kandidaten alles abgerungen habe: „Wir Jusos haben uns, was das Zukunftsprogramm der SPD angeht, in internen, harten Verhandlungen an den meisten Stellen durchgesetzt.“ Neben der umlagefinanzierten Ausbildungsplatzgarantie sei den Jusos der ticketfreie Nahverkehr wichtig und das Versprechen, das Bafög zum Vollzuschuss umzubauen und die Fördersätze anzuheben. Auch beim Klimaschutz hätten die Jusos nachbessern können. Weitere Erfolge für sie: Die Legalisierung von Cannabis ins Wahlprogramm zu bekommen und die Grundfinanzierung für Krankenhäuser, mit der die „Renditeorientierung im Gesundheitswesen“ zurückgedrängt werde.

Und wie steht es um das Klima zwischen der Juso-Chefin und dem Kandidaten? „Mein Verhältnis zu Olaf Scholz ist von Respekt geprägt, und umgekehrt gilt das auch“, behauptet Rosenthal. Beide wüssten aber auch, „dass wir unterschiedliche Perspektiven haben – und sicher manche inhaltlichen Auseinandersetzungen noch vor uns liegen“.

Dominiert die Wahlkampagne der SPD auch in der Schlussphase alleine: Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
Dominiert die Wahlkampagne der SPD auch in der Schlussphase alleine: Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
© Leon Kuegeler/imago images/photothek

Die Juso-Kandidaten werden nach Meinung von Parteienforscher Niedermayer Einfluss auf den Kurs der Partei nehmen: „Wenn viele dieser Kandidaten Erfolg haben, wird das die Bundestagsfraktion der SPD im politischen Spektrum weiter nach links verschieben.“ Falls Scholz am Wahltag tatsächlich vorne liege, werde das für ihn „eine schwierige Lage“.

Auch in der Koalitionsfrage hat der Nachwuchs eine klare Priorität: „Wir Jusos wünschen uns ein progressives Bündnis – am liebsten Rot-Grün, aber wenn das nicht reicht natürlich auch gemeinsam mit der Linkspartei.“ Mit Blick auf eine Ampelkoalition mit der FDP sagt Rosenthal: „Ausgeschlossen sind andere Möglichkeiten grundsätzlich auch nicht.“

Niedermayer überzeugt das nicht: „Wenn Rot-Rot-Grün rechnerisch möglich ist, werden die Jusos alles versuchen, um das Wirklichkeit werden zu lassen.“

Eine mögliche Kurskorrektur der SPD hin zurück zur Mitte als Folge eines guten Abschneidens der Pragmatiker Olaf Scholz im Bund, Franziska Giffey in Berlin und Manuela Schwesig im Norden wird nach Meinung des Politologen auf Widerstand stoßen: „Das werden die Jusos zu verhindern suchen“, meint er: „Sie sind so ideologisch festgelegt, dass sie das nicht akzeptieren werden.“

Wird es Einfluss und Macht von Scholz in der SPD stärken, falls sein Versprechen der Kontinuität in der Nachfolge Angela Merkels der SPD am 26. September die meisten Stimmen einbringt? Auf diese Frage wird Rosenthal etwas einsilbig: „Das werden wir dann sehen.“
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels war die Warnung vor "Altersdiskriminierung" fälschlicherweise dem scheidenden SPD-Bundestagsabgeordneten Lothar Binding zugeschrieben worden. Binding begrüßt das Engagement der Jungen ausdrücklich.

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