Linken-Politiker Jan Korte im Interview: "Je schlimmer die Lage, umso stärker wird die Rechte"
Ein großer Teil der AfD-Wähler seien "nicht einfach Rassisten", sagt Linken-Fraktionsvize Jan Korte. Ein Interview zur Krise seiner Partei und den wachsenden Rechtspopulismus.
Herr Korte, haben Sie schon einmal Sahra Wagenknecht beleidigt?
Beleidigt nein, gestritten ja.
Sie selbst sagt, es sei beleidigend zu sagen, sie sei zu nah an der AfD. Ist die Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion das denn?
Es ist in der Tat völlig inakzeptabel, Sahra Wagenknecht in die Nähe der AfD oder von Frau Frauke Petry zu rücken. Wenn es so wäre, wäre sie nicht die Fraktionsvorsitzende der Linken.
Aber es gibt einen Richtungsstreit um die Flüchtlingspolitik. Das hört sich dann auch bei Frau Wagenknecht oder ihrem Mann Oskar Lafontaine manchmal so an wie „Das Boot ist voll“. Wie geht denn der Streit aus?
Zunächst mal sind das ja zwei unterschiedliche Personen. Sahra Wagenknecht ist Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine ist Oskar Lafontaine. Kontroverse Diskussionen sind legitim. Entscheidend ist, was herauskommt. Wir als Bundestagsfraktion haben – und daran waren sowohl Sahra Wagenknecht als auch unsere Parteivorsitzende Katja Kipping beteiligt - nicht einer einzigen Asylrechtsverschärfung zugestimmt.
Gregor Gysi vermittelt noch immer den Eindruck, er könne es am besten – und hat das auch mit Kritik an Wagenknecht deutlich gemacht. Kommt die Linke ohne ihn aus?
Er gehört natürlich zu unseren Besten, keine Frage. Natürlich werben wir dafür, dass er in diesem und im nächsten Bundestag eine wichtige Rolle spielt.
Bei den Wahlen – nicht nur jetzt im März, sondern schon 2014 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – konnte die AfD immer größere Teile des Protestwählerpotenzials für sich gewinnen. Muss die Linke die für sich zurückholen, kann oder will sie das überhaupt?
Es ist kompliziert: Wenn man einen Ministerpräsidenten stellt, wenn man an Regierungen beteiligt ist, wenn man seit Jahren eine konstruktive Oppositionsarbeit macht, dann ist man logischerweise nicht mehr Protestpartei. Es gibt einen harten Kern von AfD-Wählern, die stramm rassistisch sind. Die sind nicht rückholbar. Aber ein ganz großer Teil – ich habe das in meinem Wahlkreis in Bitterfeld gesehen – ist nicht einfach rassistisch. Das sind Leute, die mit der Wahl der AfD ein Zeichen an die anderen setzen wollten. Um die will ich kämpfen.
In Sachsen-Anhalt hat fast jeder vierte AfD gewählt. War ihre Partei zu flüchtlingsfreundlich?
Ich bin stolz auf meinen Landesverband: Wir haben unseren Kurs in der Flüchtlingspolitik gehalten. Es gibt Momente, wo man mit einer klaren Positionierung massiv verliert. Aber deswegen kann doch ein Linker nicht eine andere Haltung einnehmen! Das heißt nicht, dass wir die Fragestellungen der Menschen ignorieren: Ein bisschen mehr zuhören, was die Menschen so bewegt, da müssen wir wieder stärker werden. Nicht zu verwechseln mit: den Leuten nach dem Mund zu reden.
Manche benutzen jetzt auch wieder das Stichwort „Kümmererpartei“, das man schon aus der PDS der 90er Jahre kennt. Ist das noch zeitgemäß?
Natürlich. Eine große Stärke der PDS war doch, bei den Leuten zu sein, in der Volkssolidarität, im Anglerverein. Die Partei war Motor der Gesellschaft. Da wo die Linke stark ist, sind heute auch Willkommensinitiativen stark, da gibt es weniger Ressentiments. Und natürlich werbe ich auch weiter für eine rot-rot-grüne Perspektive, auch wenn es derzeit äußerst schwierig ist.
Was bedeutet das für das Verhältnis von SPD und Linkspartei?
Ich bin dafür, die rot-rot-grüne Perspektive weiter im Blick zu behalten, man darf sie nicht einfach abschreiben. Auch wenn ich von der SPD auf Bundesebene schwer genervt bin. Wie kann man so prinzipienlos sein? Trotzdem: Logische Konsequenz auf eine Rechtsverschiebung muss ein sozialer, demokratischer Aufbruch sein. Deswegen ist Thüringen nicht nur für uns, sondern auch für SPD und Grüne von zentraler Bedeutung. Es ist erfreulich, dass es dort so erfolgreich läuft. Leider hat das unsere schweren Niederlagen nicht verhindern können.
Machen Sie sich Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung in Berlin?
Machen Sie sich Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung in Berlin nach der Abgeordnetenhauswahl?
Natürlich. Jeder sieht doch, dass der Berliner Senat eine schlimme Trümmertruppe ist, mit einer CDU, die in den 80er Jahren in West-Berlin hängengeblieben ist.
Insgesamt steht die Linke - nicht nur die Partei, sondern das gesamte politische Spektrum – dem Rechtsruck in Deutschland und Europa ziemlich hilflos gegenüber, oder?
Ich fahre ja zum Fischen oft nach Dänemark, war dort bei einigen Wahlkämpfen dabei. Dort haben die Sozialdemokraten versucht, die rechtspopulistische Dansk Folkeparti einzuhegen, in sie ihre Forderungen übernommen haben. Und was passierte? Die Dansk Folkeparti ist so stark wie noch nie. Das bringt also schon mal nichts. Die Frage ist also: Was nutzt es, die Linke zu wählen? Für die Zukunft wünsche ich uns provokativer und frecher. Wir müssen mehr zuspitzen, ohne dabei platt zu werden.
In Freital wurden die Attacken gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer erstmals als rechter Terror eingeordnet. Sehen Sie eine rechte RAF am Entstehen?
Terroristische Strukturen sind offensichtlich. Dass die Bundesanwaltschaft sich dem angenommen hat, belegt auch ein Versagen sächsischer Behörden, die das Problem unterschätzt haben. Das ist ein richtiges Zeichen gewesen. Es gibt einen Alltagsterror, wenn fast täglich eine Flüchtlingsunterkunft, in der Menschen leben, abgefackelt wird, wo Leute über bestimmte Plätze nicht mehr gehen können. Die beste Antwort ist die Unterstützung von Flüchtlingsinitiativen, gerade in ländlichen Strukturen. Da muss viel mehr getan werden.
Wie sollte man denn mit besorgten Bürger umgehen, damit sie sich nicht immer weiter radikalisieren?
Es ist ja immer die Frage: Was sind das für Sorgen? In Sachsen-Anhalt kann ich die Sorge vor einer Überbevölkerung nicht ernst nehmen. Aber natürlich ist es ein Problem, wenn die Turnhalle monatelang mit Flüchtlingen belegt ist und kein Schulsport stattfinden kann. Das müssen wir thematisieren. Aber eben auch darauf hinweisen, dass es für die Menschen, die in so einer Turnhalle leben müssen, das viel größere Problem ist.
Wünschen Sie sich ein breites Bündnis bis hin zur CDU, um die Auseinandersetzung gegen die AfD und andere Rechtspopulisten zu suchen?
Mit wem von der CDU? Vielleicht mit einem einfachen Basismitglied, das ja. Ich kenne einfache CDU-Mitglieder, die jeden zweiten Tag in Flüchtlingsunterkünften stehen, die kochen, die Nachhilfe geben, etc. Aber in der Union bestimmen nun einmal Horst Seehofer und andere den Kurs, Angela Merkel ist darauf eingeschwenkt. Die AfD regiert dort ja de facto mit, wieso soll ich mit denen ein Bündnis schmieden? Was jetzt in der Gesellschaft stattfindet, lässt sich nur erklären, wenn man auch die sozialen Ursachen in den Blick nimmt. Es ist die panische Angst – und das hat etwas mit der Agenda 2010 zu tun – abzurutschen zu denen, die schon ganz unten sind. Es ist ein großer linker Irrglaube gewesen, dass es immer nur noch schlimmer werden muss, und die Leute sagen, jetzt hoch die internationale Solidarität. Das Gegenteil ist der Fall: Je schlimmer es wird, umso stärker werden die Ressentiments, umso stärker wird die Rechte. Deswegen muss jeden Tag um die kleinste Verbesserung gekämpft werden.
Angela Merkels „Wir schaffen das“ wurde auch von Linken gelobt. Gilt das noch nach dem Pakt EU-Türkei?
Auch ich habe mich getäuscht. Es gab noch nie eine Bundeskanzlerin, in die es so viel fortschrittliche liberale Projektion gegeben hat. Das war eine der größten Illusionen der vergangenen Jahre. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder war es nur Show, dass sie in einem Moment der Mitmenschlichkeit im September die Grenzen geöffnet hat. Oder sie hat das wirklich ernst gemeint. Aber dann hat sie eine Kursänderung vorgenommen, aus innerparteilichen Gründen, aus Kabinettsräson. Mit dem Pakt mit Erdogan hat sie sich ihm völlig ausgeliefert, eine Bankrotterklärung. Horst Seehofer ist ganz offenbar zufrieden. Man merkt das daran, dass von ihm in den letzten Tagen nichts mehr zu hören war. Da sollten alle Alarmglocken schrillen.
Jan Korte (39) ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Das Gespräch führte Matthias Meisner.