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Das Flüchtlingslager Karkamis liegt in der Nähe der Stadt Gaziantep, die Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchen wird.
© AFP

Vor Merkels Reise in die Türkei: Wenn Flüchtlinge die Last der anderen sind

Der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei war eine Idee der Bundeskanzlerin. Daher liegt Angela Merkels Reise nach Gaziantep im Südosten der Türkei in der Logik des Geschehens. Ein Kommentar.

Am Samstag fährt Angela Merkel in die Türkei, und es wird nicht um Böhmermann und die Grenzen der Satire gehen, sondern um andere Frontlinien. Die Kanzlerin besucht die südosttürkische Stadt Gaziantep in einer Region, in der fast 340.000 Flüchtlinge aus Syrien leben, 50.000 davon in Camps.

Die weit überwiegende Zahl der heimatlos gewordenen Menschen hat sich aber selbst Unterkünfte und Beschäftigung gesucht, um dort und am Leben zu bleiben – in der Hoffnung, irgendwann in ein dann nicht mehr vom Bürgerkrieg zerrissenes, sondern zumindest notdürftig befriedetes Syrien zurückkehren zu können.

Da dieser Friede aber auch weit von der türkisch-syrischen Grenze, am Wiener Verhandlungshorizont, nicht einmal in Umrissen erkennbar ist, wird der Weg der Flüchtenden auf absehbare Zeit nicht zurück, Richtung Südosten, sondern Richtung Europa verlaufen. Deshalb wird Angela Merkel kommen und sich selbst überzeugen, dass die Flüchtlinge so untergebracht sind, dass der Deal zwischen der Türkei und der Europäischen Union über Rücknahme und Verteilung von Geflohenen auch gangbar, gegenüber Menschenrechtsorganisationen und Weltflüchtlingswerk zudem vertretbar ist.

Ohne dies gewollt zu haben, ist die Bundeskanzlerin damit wieder in der Stellvertreterposition für ganz Europa. Offiziell ist dies zurzeit Aufgabe der niederländischen Ratspräsidentschaft. Die Rolle als Europas Führungsmacht war den Deutschen seit der Euro-Finanzkrise ohne eigenes Zutun durch die Ereignisse geradezu aufgedrängt worden. In der Flüchtlingskrise hatte sich eine Reihe von EU-Staaten für die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der deutschen Innenpolitik und den oft rüden Ton den Süd- und Osteuropäern gegenüber gerächt und die Flüchtlingskrise zur ausschließlich Deutschland betreffenden, weil von Merkel verursachten Problematik erklärt.

Im Zweifel hängt der Türkei-Deal an den Ländern, die schon jetzt helfen

Seitdem weigert sich eine Reihe von Ländern, vor allem in Osteuropa, einen Teil der Flüchtlinge zu übernehmen, die bereits in Italien oder Griechenland auf eine Weiterreise warten. Um eben diese Quotierung kämpft die niederländische Regierung nun bei der Konferenz der EU-Innenminister. Nur vier Staaten – Deutschland, Finnland, Schweden und die Niederlande selbst – hatten sich bis Donnerstagabend überhaupt an einem System der Übernahme von Flüchtlingen aus der Türkei beteiligt. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass die Türkei ihren Teil der Vereinbarung einhält, nämlich aus Griechenland all jene Zufluchtsuchenden zu übernehmen, die von kriminellen Schleppern über das Mittelmeer gebracht worden waren.

Da dieser Pakt mit der Türkei eine Idee der Kanzlerin war und der Preis dafür vor allem von Deutschland gezahlt wird, liegt Merkels Reise nach Gaziantep in der Logik des Geschehens. Kommt aber nicht parallel dazu das Signal aus Brüssel, dass sich die Vertreter der EU-Regierungen auf Übernahmequoten zumindest formal geeinigt haben, hängt die Realisierung des Arrangements mit Präsident Erdogan an den vier EU-Ländern, die schon jetzt mitmachen.

Woraus sich die Illusion der Übrigen speist, sie könnten sich dauerhaft aus der Flüchtlingsrealität ausblenden, bleibt rätselhaft. Da kann Helmut Kohls Freund Viktor Orban noch so viele Zäune errichten – wenn er und die anderen Nein-Sager in Europa bleiben wollen, werden sie das Prinzip der Lastenverteilung akzeptieren müssen.

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