zum Hauptinhalt
Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht am Dienstag in der Fraktionssitzung im Berliner Reichstagsgebäude
© imago/Christian Thiel

Linke nach den Landtagswahlen: "Kreuzunglücklich" über Sahra Wagenknecht

Linken-Fraktionschefin Wagenknecht will bei ihren Genossen einen neuen Kurs in der Asylpolitik durchsetzen und Merkel schärfer attackieren. Doch sie trifft auf Widerstände.

Tag drei nach den Landtagswahlen, und die Linke-Fraktionsvorsitzende gibt sich kampfeslustig. Schlecht seien die Ergebnisse gewesen, gibt Sahra Wagenknecht am Mittwoch vor Journalisten in Berlin zu. "Dramatisch" habe die Partei vor allem in Sachsen-Anhalt verloren. "Nach solchen Ergebnissen können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen", kündigt sie an - und skizziert ihre Vorstellungen für einen neuen Kurs in der Flüchtlingspolitik.

Auf eine Kurzformel gebracht heißt der: Kanzlerin Angela Merkel schärfer angreifen, soziale Ungerechtigkeiten im Programm der AfD entlarven, die rechtspopulistische Partei aber nicht verdammen. "Wir müssen uns mit der AfD sachlich auseinandersetzen und dürfen sie auch nicht dämonisieren", sagt die Fraktionschefin. "Ich halte nichts von Wählerbeschimpfung. Menschen, die Sorgen haben, dürfen nicht in die rassistische Ecke gestellt werden."

Die Politikerin bescheinigt der AfD, mit einer aggressiven Positionierung als Anti-Flüchtlingspartei "einen erheblichen Teil des Frustrationspotenzials" abgeholt zu haben. Aber: "Die Saat hat nicht die AfD gelegt. Die Saat hat Frau Merkel gelegt." Ganz ähnlich hatte sich Wagenknechts Ehemann, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, geäußert. Er warnte davor, die AfD-Wähler als Rassisten abzustempeln und forderte, deren "Bedürfnisse" wahr zu nehmen. Zum "neoliberalen Block" gehören aus Sicht Lafontaines inzwischen alle Bundestagsparteien außer der Linken - und auch die AfD.

Über die Vorstellungen Wagenknechts hatte es am Dienstag in der Bundestagsfraktion eine lebhafte Aussprache gegeben. Die Politikerin hatte dort die Wahlauswertung vorgenommen. Sie bekam, wie Teilnehmer berichteten, "heftigen Gegenwind".

In ihrer Analyse hielt sich die Fraktionschefin, die seit Oktober gemeinsam mit Dietmar Bartsch an der Spitze steht, im Wesentlichen an das, was sie am Wahlsonntagabend auf Facebook gepostet hatte. Dort warf sie die Frage auf, warum sich die Linke nicht stärker von der Flüchtlingspolitik der großen Koalition abgegrenzt habe - und wie es habe gelingen können, "uns als scheinbare Unterstützer der Merkelschen Flüchtlingspolitik mit zu verhaften". Und weiter: "Wo haben wir den Kontakt zu den sozialen Interessen unserer eigenen Wähler verloren? Weshalb sind wir in den Augen so vieler offenbar zum Teil des etablierten Parteienkartells geworden und werden nicht mehr hinreichend als profilierte Gegenkraft wahrgenommen? Haben wir die soziale Frage vielleicht nicht mehr genug in den Mittelpunkt gestellt?"

Gysi: Wir müssen über unsere ideologischen Schatten springen

Als erster in der Fraktion widersprach Wagenknechts Amtsvorgänger Gregor Gysi. In einer emotionalen Rede verlangte er eine klare Positionierung der Linken zu Gunsten der Menschen, die vor Hunger und Krieg fliehen. Der Ex-Fraktionschef, der nach Angaben von Vertrauten "kreuzunglücklich" ist über die Politik seiner Nachfolgerin, wirbt für ein breites Bündnis, um einen Rechtsruck in Deutschland und Europa zu stoppen. Aus seiner Sicht muss das auch eine Zusammenarbeit mit der CDU einschließen. Quasi als Referenzprojekt empfiehlt er das perspektivisch sogar für Sachsen-Anhalt - dort hatte das Regierungsbündnis aus CDU und SPD am Sonntag die Mehrheit verloren. "Wir müssen alle über unsere ideologischen Schatten und Grenzen springen", meint Gysi.

Gysi warf Wagenknecht und Lafontaine vor, sich auf eine Debatte um Zäune und Obergrenzen eingelassen und damit "schon verloren" zu haben. Auch öffentlich machte er aus seinem Verdruss kein Hehl. In der BR-Radiosendung "Zündfunk" erklärte er: "Bei einer so zentralen Frage wie der Flüchtlingsfrage kann es keine zwei Meinungen in einer Partei geben. Genau so wenig kann es zwei Meinungen zur Renationalisierung Europas geben. Wenn man bei diesen Themen beide Seiten vertreten will, dann verliert man alles. Das ist unser Problem."

Berliner Linken-Chef: Stichwortgeberei für AfD-Linie

Die Debatte in der Fraktion verlor sich ein wenig im Klein-Klein, Beschlüsse wurden nicht gefasst. Viele Redner werfen Wagenknecht vor, dass sie am Samstag in einem Interview mit dem "Berliner Kurier" von "Kapazitätsgrenzen" und "Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung" gesprochen hatte - letztlich nur andere Worte für "Obergrenzen". Wenn sich die Sozialpolitik nicht ändere, seien "Ghettoisierungen" und "ganze Stadtteile mit Parallelwelten" nicht zu verhindern. Das Boulevardblatt hatte auf Seite eins getitelt: "Wagenknecht: Wir können nicht alle aufnehmen". Vor allem bei den Berliner Genossen war die Wortmeldung kurz vor den Landtagswahlen gar nicht gut angekommen. Der Berliner Linke-Chef Klaus Lederer warf Wagenknecht "Stichwortgeberei für AfD-Linie" vor.

Die Kritik an Wagenknecht wird in der Fraktionssitzung von vielen Abgeordneten aus allen Flügeln geteilt. Nicht wenige erinnern sich an die Auseinandersetzung vom Januar, als die Fraktionsvorsitzende die Geschehnisse in der Kölner Silvesternacht mit dem Satz "Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt" kommentiert hatte. Am Montag hatte Parteichefin Katja Kipping in Anspielung auf Wagenknecht gewarnt, AfD-Positionen zu übernehmen. Worauf wiederum die Anhänger der Fraktionschefin in der Sitzung versuchten, Kipping in die Ecke zu treiben.

Die Überschrift im "Berliner Kurier" habe sie als "nicht sehr glücklich" empfunden, erklärt Wagenknecht am Mittwoch. Aber: "Ich wüsste nicht, was ich von den Aussagen in dem Interview zurücknehmen sollte. Sie widersprechen nicht der linken Programmatik. Es war nie unsere Position, so viele Flüchtlinge wie möglich nach Deutschland zu holen. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen."

Und nun? Es ist ein Richtungsstreit - auch wenn ihn manche in der Partei vermeiden wollen. Und es ist auch eine Auseinandersetzung um Wagenknechts Rolle als Fraktionschefin. Hat sie es geschafft, zwischen den verschiedenen Flügeln auszugleichen? Viele in der Fraktion bezweifeln das. Sie fordern, dass Wagenknecht für die ganze Fraktion und in ihrer herausgehobenen Rolle auch für die Partei sprechen müssen. "Diese Herausforderung muss sie noch bewältigt", erklärt ein Abgeordneter.

Wagenknecht behauptet: "Wenn ich mir die Meinungsverschiedenheiten in anderen Parteien angucke, sind wir vielleicht die geschlossenste Partei." Konfrontiert mit der Kritik aus der Fraktion weist sie darauf hin, dass sie sich nach ihrer umstrittenen "Gastrecht"-Äußerung nicht mehr abweichend geäußert habe. Aus ihrer Sicht hat das der Linkspartei allerdings nicht genutzt.

Zur Startseite