Berlin und die Flüchtlinge: Ist die Hauptstadt überfordert?
Die steigende Zahl an Asylbewerbern stellt die Kommunen vor große Probleme. Wie ist die Lage in Berlin?
Wie viele Asylbewerber leben in Berlin?
Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, werden auf alle Bundesländer verteilt. Die Verteilung richtet sich formal nach dem „Königsteiner Schlüssel“, einem Verfahren für das Steuereinnahmen und Einwohnerzahlen der Länder herangezogen werden. In Berlin kommen allerdings schon wegen der internationalen Flughäfen mehr Flüchtlinge an als in anderen Bundesländern. Viele Asylbewerber wollen auch bewusst in einer Großstadt bleiben. Deshalb bringt Berlin mehr Flüchtlinge unter, als der Senat nach dem „Königsteiner Schlüssel“ müsste. In der Hauptstadt leben derzeit rund 25.000 Männer, Frauen und Kinder, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Außerdem gibt es zahlreiche Armutseinwanderer aus Ländern der EU, die in Deutschland leben, aber keine Asylbewerber sind.
Wo wohnen die Flüchtlinge in Berlin?
Die meisten Asylbewerber – inzwischen 15.000 – wohnen in den 64 Sammelunterkünften der Stadt. Meist sind dies Heime in ehemaligen Schulen und Kliniken. Im Winter wurden allerdings auch sieben Turnhallen als Notunterkünfte belegt. Dazu kommen zwei Traglufthallen in Moabit, in der zusätzlich auch Obdachlose untergebracht waren. Außerdem wohnen 860 Flüchtlinge in Hostels. Rund 9000 Asylbewerber leben in Mietwohnungen – allein oder bei Verwandten und Bekannten. Erklärtes Ziel von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) ist es, mehr Flüchtlinge dezentral in Wohnungen statt Heimen unterzubringen. Dies soll auch Anwohnerprotesten vorbeugen.
Woher kommen die Flüchtlinge?
Im vergangenen Jahr war Syrien das Herkunftsland, aus dem bundesweit die meisten Asylbewerber kamen. Danach folgten Flüchtlinge aus Serbien, dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina – dabei handelt es sich oft um Roma. Und auch in den ersten drei Monaten 2015 waren die häufigsten Herkunftsstaaten der Berliner Flüchtlinge der Kosovo, Syrien und Serbien sowie Albanien, Bosnien, Afghanistan und der Irak. Weil die Balkan-Staaten als sichere Herkunftsländer eingestuft worden sind, werden künftig weniger Asylbewerber von dort erwartet.
Wer organisiert die Unterbringung?
Die Bundesländer gewährleisten für die Dauer der Asylverfahren die Versorgung der Flüchtlinge. In Berlin ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) die zuständige Behörde. Das Lageso sucht Unterkünfte, dies können private, kommunale oder landeseigene Immobilien sein. Oft werden auch Kirchen und Sozialverbände um Häuser gebeten. Entweder das Lageso mietet die Anlagen an oder aber bezahlt gleich den Betreiber dafür: Das sind meist Privatfirmen oder gemeinnützige und kirchliche Einrichtungen. Neu ist, dass der Senat eigene Unterkünfte baut, die Landeseigentum bleiben.
Wer finanziert den Aufenthalt?
Für jeden Asylbewerber schüttet das Lageso einen Tagessatz aus: Davon sollen Konsumgüter, vor allem Essen, und Heimpersonal bezahlt werden. Oft gibt es Pauschalen an Heimbetreiber, mit denen Bauarbeiten, Speisen und Gehälter von Sozialarbeitern und Übersetzern abgegolten werden. Je nach Vorbedingungen und Ausstattung der Heime sind dies meist zwischen zehn und 40 Euro pro Tag und Flüchtling. Privatfirmen ist immer wieder nachgesagt worden, sie hätten sich zwar bezahlen lassen, aber Verpflichtungen nicht erfüllt – so sollen abgerechnete Sozialarbeiter gefehlt haben.
Worum wird in der Politik gestritten?
In den vergangenen Jahren kamen nur wenige Flüchtlinge nach Deutschland – in Berlin wurden alle Asylbewerber zügig untergebracht: Notunterkünfte in Turnhallen waren nicht nötig. Seit den Kriegen in Nordafrika und Vorderasien steigen die Zahlen kontinuierlich. Dies führte nicht nur zu Streit zwischen den EU-Staaten, wer welche Flüchtlinge aufnimmt. Auch die Bundesländer streiten mit der Bundesregierung um die Finanzhilfen. In Berlin wiederum haben die Bezirksbürgermeister versucht, die unpopulären Heime in ihren Stadtteilen zu verhindern. So haben Bauämter dem Lageso aus Brandschutzgründen untersagen wollen, bestimmte Gebäude zu nutzen.
Wie laufen die Asylverfahren ab?
Wer in Deutschland um Asyl bittet, muss sich einem Verfahren stellen. In Einzelfällen kann es drei Jahre dauern. Die Zeit gilt als „Aufenthaltsgestattung“, es herrscht ein Arbeitsverbot. Erst wenn Asylbewerber nach dem Verfahren als Flüchtlinge anerkannt werden, haben sie ein Bleiberecht. Dies ist zunächst auf zwei oder drei Jahre befristet. Um anerkannt zu werden, reichen Not durch Armut und Naturkatastrophen nicht. Es werden auch Menschen abgeschoben, in deren Heimat militärische Kämpfe üblich sind. Doch auch die verbreitete Duldung ist keine Aufenthaltserlaubnis, sondern bedeutet nur, dass die Abschiebung ausgesetzt ist – etwa weil der Flüchtling krank ist oder nötige Dokumente fehlen.
Wie viele Flüchtlinge werden bleiben?
In Berliner Heimen wohnen 2300 Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt worden ist. Sie müssen Deutschland eigentlich verlassen. Sollte eine Ausweisung nicht möglich sein, wären die Bezirke für die Unterbringung zuständig, weil diese Männer und Frauen de jure nicht als Asylbewerber, sondern quasi als obdachlose Berlin-Besucher gelten. Wer nicht freiwillig ausreist, kann in Gewahrsam genommen und abgeschoben werden. Danach gilt ein Einreiseverbot. Offiziell rechnet der Senat 2015 mit 20.000 neuen Asylbewerbern. Nach Ausweisungen und unter Berücksichtigung von Geduldeten, die in Wohnungen unterkommen, dürften davon bis zu 10.000 Flüchtlinge bleiben.