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Benjamin Netanyahu
© AFP/Sebastian Scheiner/Pool

Netanjahu vor Gericht: Israels Rechtsstaat ist ein Vorbild für die Region

Israels Premier wird wegen Betrug und Bestechlichkeit angeklagt. Im Vergleich mit Europa ganz schön spät, anderswo lacht man über die Vorwürfe. Ein Kommentar.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wird wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit angeklagt. Die einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten gibt ein leuchtendes Beispiel als Rechtsstaat. Niemand steht über dem Gesetz, auch nicht der Regierungschef.

Oder soll man es umgekehrt sehen und Israel nicht als Vorbild betrachten, sondern als Land auf Abwegen in den regional üblichen Sumpf autoritären Regierens? Nach der Anklageerhebung tritt Netanjahu nicht zurück, wie das in westlichen Demokratien üblich ist. Israel hat ein Gesetz, das angeklagte Minister zur Demission zwingt, nur nicht ausdrücklich den Premierminister.

Netanjahu will an der Macht bleiben. Bei den Neuwahlen strebt er erneut den Auftrag zur Regierungsbildung an. Das weist ebenfalls auf eine Missachtung verfassungsrechtlicher Prinzipien hin. Geht das überhaupt: Präsident Rivlin beauftragt einen Mann, dem der Prozess gemacht wird, die Regierung zu bilden? Netanjahu reagiert mit einer Strategie, die für Populisten und Volkstribune typisch ist, aber nicht für einen Rechtsstaat. Er übt Druck auf die Beteiligten aus, versucht die Strafverfolger einzuschüchtern und appelliert an die Straße, einen angeblichen Staatsstreich der Justiz zu verhindern. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit bekommt bereits Personenschutz. Werden den auch die Strafrichter benötigen, die den Prozess gegen den Interimspremier führen? Und die Verfassungsrichter, die entscheiden, ob er Immunität genießt?

Netanjahu möchte erreichen, dass nicht die Justiz das Urteil spricht, sondern die Straße. Und die Bürger bei der Wahl. Das läuft dem Prinzip des Verfassungsstaats und der Gewaltenteilung zuwider.

Bei den arabischen Nachbarn würde man über die Vorwürfe lachen

Wo also steht der israelische Rechtsstaat? Das kommt darauf an, was man als Maßstab wählt: die arabischen Nachbarländer oder europäische Demokratien. Die Verhältnisse in Israel sind um Welten besser als im angrenzenden Ägypten, Jordanien, dem Libanon, Syrien. Oder in den Gebieten unter palästinensischer Selbstverwaltung. Dort würde man über die drei Anklagepunkte nur lachen.

Laut dem ersten, der „Akte 1000“, hat Netanjahu Luxusgüter wie Champagner und Zigarren im Wert von über 170.000 Euro angenommen und den Schenkern staatliche Gefälligkeiten gewährt.

Laut dem zweiten, der „Akte 2000“, soll er schmutzige Absprachen mit Noni Moses, dem Herausgeber einer der auflagenstärksten Tageszeitungen, „Yedioth Ahronoth“, getroffen haben. Das Blatt, das für seine Opposition gegen Netanjahu bekannt ist, sollte freundlicher berichten und Fans von Netanjahu als Redakteure einstellen; dafür wollte Netanjahu den US-Milliardär Sheldon Adelson dazu bringen, dass der seine finanzielle Unterstützung für ein Konkurrenzmedium von „Yedioth Ahronoth“ reduziert

Gefährlicher ist der dritte Punkt, die „Akte 4000“. Da geht es um Bestechung und womöglich eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Als Netanjahu Kommunikationsminister war, soll er die Bereicherung des Vorstandsvorsitzenden der größten öffentlichen Telekomgesellschaft gedeckt haben. Dieser Schaul Alovitsch verkaufte demnach seine Privatfirmen zu überteuerten Preisen an den Staatskonzern, den er selbst führte. Er steckte Millionen ein und hinterließ die öffentliche Firma überschuldet. Im Gegenzug berichtete deren Nachrichtenportal „Walla“ positiv über Netanjahu.

In welchem anderen Land im Nahen Osten müsste ein Regierungschef wegen solcher Vorwürfe um sein Amt zittern?

In Europa wäre ein Minister nach dieser Anklage untragbar

In Europas Demokratien sind die Regeln härter. Jürgen Möllemann (FDP) trat als Wirtschaftsminister wegen Schleichwerbung für einen Verwandten zurück. Agrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU), weil er zuvor als Innenminister den Koalitionspartner SPD über Ermittlungen im Ausland gegen den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy informiert hatte, womöglich ein Verrat von Dienstgeheimnissen.

Frankreichs Umweltminister Francois de Rugy legte sein Amt wegen Luxusmenüs auf Staatskosten nieder. Verteidigungsministerin Sylvie Goulard, weil sie einen vom Parlament bezahlten Mitarbeiter für Parteiarbeit eingesetzt hatte. Christine Lagarde, die wegen fahrlässigen Umgangs mit öffentlichem Geld verurteilt wurde, aber nicht einmal eine Bewährungsstrafe erhielt, kommt als Regierungschefin nicht infrage.

Was sagt es über Israels Rechtsstaat, dass Netanjahu meint, so vorgehen zu können? Bei der Staatsgründung war die westliche Demokratie mit Rechtsstaat und Gewaltenteilung das Vorbild. Heute ist das Parteiensystem - beeinflusst auch durch Zuwanderung aus nicht-demokratischen Staaten - nach rechts gerückt und populistischer geworden. Trotzdem und vielleicht auch gerade deshalb belegt Netanjahus Anklage eine bemerkenswerte Resilienz des israelischen Rechtsstaats in einer ganz anders geprägten Region.

Christoph von Marschall

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