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Das Foto, das die IS-nahe Medienplattform Amaq verbreitete, soll zumindest zum Teil die Attentäter der Anschläge von Sri Lanka zeigen.
© AFP

Sorgen der Sicherheitsbehörden wachsen: „Islamischer Staat” ist immer noch zu Großanschlägen fähig

Der Terrorangriff in Sri Lanka zeigt, wozu der IS jenseits von Syrien und Irak noch fähig ist – Experten sind überrascht.

Die Sorgen der Sicherheitsbehörden nehmen zu. Nachdem die Terrormiliz „Islamischer Staat“ die Anschläge in Sri Lanka für sich reklamiert hat, sei die Gefahrenlage für Deutschland und global „noch dramatischer“, sagte ein hochrangiger Experte am Mittwoch dem Tagesspiegel. Es sei davon auszugehen, dass der IS die Täter „instruiert oder zumindest inspiriert hat“.

Die am Dienstag von der Terrormiliz im Internet verbreitete Bekennung über die IS-nahe Medienplattform Amaq werde als glaubwürdig eingestuft. Das bedeute, dass der IS trotz des Verlusts seines Herrschaftsgebietes in Syrien und Irak „nach wie vor in der Lage ist, weltweit schwere Anschläge zu organisieren oder zumindest Anhänger anzustiften“, warnte der Sicherheitsexperte.

Die deutschen Behörden vermuteten vor dem Angriff in Sri Lanka, dass der IS zumindest im Westen nur noch in der Lage sei, Einzeltäter zu animieren, die dann mit einem Fahrzeug, einem Messer oder einem anderen leicht zu beschaffenden Tatmittel einen Anschlag zu verüben. Die Terrormiliz hatte auch bereits 2014 über das Internet zu solchen Do-it-yourself-Attacken aufgerufen. Doch der verheerende Angriff in Sri Lanka, mit 359 Todesopfern und mehr als 500 Verletzten, zeugt offenkundig von der Fähigkeit des IS, weiterhin auch im großen Stil zuzuschlagen.

Die Anschläge vom Ostersonntag sind sogar die erste IS-Attacke, bei der außerhalb der früheren Kernzone der Terrormiliz in Syrien und Irak die meisten Menschen sterben mussten. In Paris tötete ein IS-Kommando im November 2015 insgesamt 130 Menschen. In Sri Lanka sind es jetzt fast dreimal soviele, obwohl der IS nur einen Monat zuvor in der Schlacht um den Ort Baghuz seine letzte Bastion in Syrien verlor. Auch im Irak verfügt die Terrormiliz nicht mehr über einen kompakten Herrschaftsraum.

Der IS kehrt zum klassischen Terrorismus zurück

Die restlichen Kämpfer, Sicherheitskreise vermuten weniger als 1000, verstecken sich in den Wüsten Syriens und Iraks. Außerdem gibt es Untergrundzellen mutmaßlich in den meisten syrischen und irakischen Städten.

Der IS kehre zum klassischen Terrorismus zurück, heißt es schon länger in den deutschen Sicherheitsbehörden. Und immer wieder wird gewarnt, die Organisation sei noch lange nicht besiegt. Die Anschläge in Sri Lanka scheinen ein drastischer Beleg zu sein. Sicherheitskreise sehen sie zudem als Hinweis auf eine weitere Gefahr.

Der Angriff in dem Inselstaat sei kaum denkbar ohne professionelle Anleitung durch Rückkehrer aus dem einstigen Kerngebiet des IS, heißt es. Womöglich seien auch einige der Selbstmordattentäter, die sich in den Kirchen und Hotels in die Luft sprengten, als Dschihadisten in Syrien und Irak gewesen.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Sri Lanka waren mehr als 30 einheimische Islamisten zur Terrormiliz gereist. Wieviele in Syrien und Irak starben und wieviele zur Insel zurückgekommen sind, ist unklar.

Das Thema Rückkehrer ist gerade auch für Deutschland brisant. In den syrischen Kurdengebieten sitzen in Gefangenenlagern mehr als 60 Männer und Frauen, die aus Deutschland zum IS gereist waren. Weitere elf sind im Irak inhaftiert, allerdings in staatlichen Gefängnissen.

Das Problem hat Deutschland erreicht: 320 ausgereiste Kämpfer sind wieder hier

Die im Nordosten Syriens herrschende Kurdenmiliz YPG drängt die Bundesrepublik, die früheren Kämpfer und ihre Angehörigen sobald wie möglich zurückzuholen. US-Präsident Donald Trump verlangt das von Deutschland auch. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will sich nicht unter Druck setzen lassen.

Er scheut das Risiko, dass gefährliche Islamisten zurückkehren, aber die Erkenntnisse von Polizei und Nachrichtendiensten nicht dafür reichen, dass die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof Haftbefehle beantragen kann. Die offiziellen Zahlen dazu lassen Seehofers Bedenken plausibel erscheinen.

Ende März teilte die Regierung auf eine Anfrage der Grünenfraktion mit, gegen 16 Personen, die in Syrien und im Irak inhaftiert sind, lägen Haftbefehle vor. Das betrifft weniger als ein Viertel der aus Deutschland stammenden IS-Leute, die in Syrien und Irak einsitzen. Angesichts der Anschläge in Sri Lanka „müsen wir uns diese Leute noch genauer anschauen als bislang schon“, sagen Sicherheitskreise. Auch wenn sich Inhaftierte reuig gäben.

Viele der Männer und Frauen, die in Syrien und Irak festgehalten werden, möchten in die Bundesrepublik zurück. „Womöglich sind aber auch Kämpfer dabei, die der IS instruiert hat, sich so zu verhalten, um in Deutschland Anschläge zu verüben“, sagt ein Experte.

Das Problem hat zudem längst die Bundesrepublik erreicht. Ungefähr 320 Rückkehrer sind bereits wieder hier. Nur eine Minderheit sitzt hinter Gittern.

Unterdessen hat die Bundesanwaltschaft ein Verfahren wegen der Anschläge in Sri Lanka eingeleitet, weil ein Todesopfer ein Deutsch-Amerikaner ist. Ermittelt wird gegen Unbekannt wegen mehrerer Tatbestände: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Mord, versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Anschlag dem IS zuzurechnen ist.

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