Amnesty: Ethnische Säuberung im Irak: IS-Kämpfer brüsten sich mit deutschen und russischen Kriegswaffen
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Terrormiliz IS im Nordirak "ethnische Säuberungen" vor. Unterdessen posieren die Milizionäre im Internet mit deutschem und russischem Kriegsgerät.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) posiert in einem im Internet veröffentlichten Video mit deutschen und russischen Waffen. Diese habe sie nach eigenen Angaben in Syrien erobert. In dem Video zeigen IS-Extremisten unter anderem alte russische Kampfjets, Artillerie und mehrere Raketen, von denen einige auf Deutsch mit „Lenkflugkörper DM 72 - 136 mm Panzerabwehr“ beschriftet sind. Es sind die ersten bekannt gewordenen Aufnahmen aus dem Militärflughafen Al-Tabka, der vergangene Woche von der Terrormiliz erobert worden war.
Nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ vom Dienstag handelt es sich bei den deutschen Raketen um Flugkörper vom Typ HOT des ehemaligen deutsch-französischen Herstellers Euromissile. Die HOT-Raketen seien 1981 an die Regierung Syriens geliefert worden. Damit seien syrische Kampfhubschrauber vom Typ Gazelle ausgestattet worden, schrieb das Blatt.
In dem Video droht ein Dschihadist dem russischen Präsidenten Wladimir Putin: "Das sind russische Flugzeuge, die Du an Baschar verkauft hast." Nun würden die Flugzeuge zurückfliegen und "Tschetschenien und den Kaukasus befreien". Moskau hatte zuletzt im Juni Kampfjets an das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad geliefert.
Amnesty: IS-Verbrechen "historischen Ausmaßes"
Die Kampfansage betrifft aber nicht nur die russischen Regierung. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International habe IS im Irak eine "systematische Kampagne zur ethnischen Säuberung" begonnen. Amnesty veröffentlichte am Dienstag einen entsprechenden Bericht und warf IS Kriegsverbrechen wie Massenhinrichtungen und Entführungen von ethnischen und religiösen Minderheiten vor. Man habe Beweise dafür gefunden, dass IS systematisch nicht-arabische und nicht-sunnitische muslimische Gemeinschaften angreife. In der Sindschar-Reagion leben ethnische und religiöse Minderheiten wie die Jesiden, aber auch Christen oder schiitische Turkmenen, seit Jahrhunderten friedlich nebeneinander.
Die Amnesty-Vertreterin Donatella Rover, die die Lage vor Ort beobachtet, sagte: "Die Massaker und Entführungen, die vom Islamischen Staat durchgeführt werden, liefern quälende neue Beweise, dass eine Welle ethnischer Säuberungen gegen Minderheiten über den Nordirak fegt". Die Organisation nannte das Ausmaß der Verbrechen "historisch" und zitierte Überlebende, wonach dutzende Männer und Jungen in der Sindschar-Region von islamistischen Kämpfern massenweise hingerichtet oder einzeln erschossen worden seien. Außerdem seien hunderte, möglicherweise sogar tausende jesidische Frauen und Kinder zusammen mit weiteren dutzenden Männern entführt worden. Es seien seit Juni mehr als 830.000 Menschen gezwungen worden, aus der Region zu fliehen.
Zwei der tödlichsten Vorfälle ereigneten sich der Organisation zufolge in den Dörfern Qiniyeh und Kocho Anfang beziehungsweise Mitte August. Allein in diesen beiden Dörfern seien Hunderte ermordet worden, darunter sogar 12-jährige Kinder. Viele der gewaltigen Übergriffe hätten stattgefunden, als die Menschen versucht hätten, vor der Machtübernahme des IS zu fliehen. Wem die Flucht nicht gelingt, der wird gezwungen, zum Islam zu konvertieren.
Bundestag stimmt Waffenlieferungen in Irak zu
Amnesty International forderte den irakischen Staat auf, die gesamte Zivilbevölkerung zu schützen. Um diesen Schutz zu gewährleisten bereitet auch die Bundesregierung Waffenlieferungen in den Irak vor. Am Montag stimmte der Bundestag in einer symbolischen Abstimmung dem Vorhaben zu. Dem ging eine von großer Ernsthaftigkeit getragene Debatte voraus. Im Anschluss stimmte die Mehrheit der Abgeordneten von Union und SPD für einen entsprechenden Entschließungsantrag. Grüne und Linke verweigerten der schwarz-roten Bundesregierung wie erwartet geschlossen die Unterstützung.
Mit der Abstimmung besiegelten die Parlamentarier den Bruch mit einem Grundsatz deutscher Außenpolitik: keine Rüstungsexporte in Kriegsgebiete. So sollen die kurdischen Peschmerga-Kämpfer in die Lage versetzt werden, den Vormarsch der IS zu stoppen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) formulierte ihre Motivation für den Schritt zuvor in einer Regierunsgerklärung: "Wir haben jetzt die Chance mitzuhelfen, eine menschenverachtende Terrorgruppe zu stoppen". Außerdem seien von dem Konflikt deutsche Sicherheitsinteressen betroffen. Vor dem Hintergrund des jetzt veröffentlichten Videos dürfte die Entscheidung jedoch in die Kritik geraten.
UN-Resolution: Strafrechtliche Verfolgung der Verbrechen an Minderheiten
Auch der UN-Menschenrechtsrat hatte am Montag in Genf die Verbrechen des Islamischen Staats im Irak scharf verurteilt. Bei einer Sondersitzung nahmen die 47 Mitgliedsstaaten eine Resolution im Konsens an, mit der die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für Gräueltaten gefordert wird. Der gezielte Angriff auf religiöse und ethnische Minderheiten durch IS-Milizen stellt nach Einschätzung der UN ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Das Video der IS-Milizen wurde mit kyrillischen Untertiteln unverschlüsselt auf YouTube veröffentlicht. Achtung: Am Ende ist eine grausam verstümmelte Leiche zu sehen.