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Der Supermarkt in Arnsdorf, wo der Flüchtling gefesselt worden war. Die damalige Bürgermeisterin hatte das öffentlich verurteilt.
© Christian Essler/dpa

Vor Gerichtsverhandlung: Irakischer Flüchtling aus Arnsdorf ist tot

In Bürgerwehr-Manier fesselten im Mai vier Männer im sächsischen Arnsdorf einen Flüchtling. Nun wurde das Opfer erfroren in einem Wald entdeckt. Der Prozess gegen die Männer findet dennoch statt.

Für die Behörden war der 21-Jährige Flüchtling aus dem Irak schon seit Monaten nicht mehr greifbar - und deshalb taucht er auch auf der Zeugenliste für den Prozess gar nicht auf, bei dem sich vier Männer zwischen 29 und 56 Jahren ab Montag vor dem Amtsgericht Kamenz zu verantworten haben. Der Vorwurf: Freiheitsberaubung. Die vier Männer sollen den Asylbewerber im Mai vergangenen Jahres im sächsischen Arnsdorf aus einem Supermarkt gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben.

Nun steht fest: Der Iraker ist tot. Drei Tage nach dem Fund der Leiche in einem Wald nahe dem sächsischen Dorfhain (Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge) ist die Identität zweifelsfrei geklärt. Eine Untersuchung der Fingerabdrücke habe ergeben, dass es sich bei dem Toten um den 21-jährigen handele, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft Dresden am Donnerstag mit. Nach Angaben vom Mittwoch war der Mann vermutlich im Januar erfroren.

Die Leiche des Manns und seine Aufenthaltsgenehmigung waren am Montag von einem Jagdpächter entdeckt worden. Anzeichen für einen gewaltsamen Tod gab es laut Ermittlern nicht, dennoch übernahm eine Mordkommission die Ermittlungen.

Der Iraker war Patient des psychiatrischen Fachkrankenhauses in Arnsdorf. Er hatte im vergangenen Jahr in einem Discounter eine Telefonkarte gekauft und war wegen Problemen damit wiederholt dort aufgetaucht. Aufgrund der Sprachprobleme war die Verständigung aber schwierig. Schließlich eskalierte die Situation.

Von dem Vorfall am 21. Mai kursierte ein Video im Internet, in dem mehrere Männer zu sehen sind, die den Iraker aus dem Supermarkt zerren. Im Hintergrund ist eine Frauenstimme zu hören mit den Worten: "Ist schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht." Die Angreifer sollen den Iraker dann mit Kabelbindern gefesselt und zu Boden gedrückt haben sowie schließlich an einen Baum gebunden haben. Der geistig verwirrte Iraker blieb etwa 25 Minuten in der Gewalt der vier Männer.

Polizeipräsident rechtfertigte die Fesselung

Die Tatverdächtigen gaben damals zur Begründung an, sie hätten eine angebliche Gefährdungssituation abwenden und den Iraker an der Flucht hindern wollen. Die Polizei stellte aber bereits kurz nach dem Vorfall klar, dass es keinen Diebstahl und keine Sachbeschädigung gegeben habe. Im Fall einer Verurteilung droht den vier Beschuldigten eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft Görlitz hatte im November vergangenen Jahres Anklage gegen die vier Männer erhoben.

Der Görlitzer Polizeipräsident Conny Stiehl hatte das Eingreifen der Männer, die in Bürgerwehr-Manier auftraten, wenige Tage nach der Auseinandersetzung in Arnsdorf verteidigt. Er sagte im Juni vergangenen Jahres, der Asylbewerber sei "stark erregt" gewesen. Die Polizei habe davon ausgehen müssen, "dass das Handeln derjenigen, die zu dem Zeitpunkt - und ich sage das jetzt in vollem Bewusstsein - geholfen haben, korrekt war". Vor Journalisten erklärte Stiehl damals weiter, wegen der Erregtheit des Flüchtlings sei "dieses Festhalten durchaus auch sinnvoll - ich tue mich schwer zu sagen: notwendig" gewesen.

Iraker machte keine Angaben zur Sache

Welche Auswirkungen der Tod des Irakers auf den Prozess hat, ist im Detail noch unklar. Peggy Brosien, Oberstaatsanwältin in Görlitz, versicherte dem Tagesspiegel, auf die Beweisführung im Verfahren gebe es "keine Auswirkung". Das Geschehen im Supermarkt sei auf einer Handyaufnahme dokumentiert. "Der Film ist das Ausschlaggebende. Mehr kann man nicht haben." Der Iraker ist nach den Worten von Brosien kurz nach der Tat von der Polizei vernommen worden, habe aber - damals selbst beschuldigt - zur Sache keine Aussage gemacht.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag, Valentin Lippmann, erklärte: "Das Opfer kann nun nicht mehr aussagen. Das macht es sicherlich nicht einfacher." Gewisses Verständnis äußerte er, dass die Behörden zwischenzeitlich keine Kenntnis mehr hatten über den Wohnort des Irakers: "Flüchtlinge dürfen sich frei bewegen." Die Umstände des Todes nannte Lippmann "sehr tragisch".

Die neurechte Ein-Prozent-Bewegung - gegründet unter anderem vom Publizisten Götz Kubitschek und "Compact"-Chefredakteur Jürgen Elsässer - mobilisiert seit Wochen zu Gunsten der Angeklagten. Ihre Darstellung: "Ein Iraker bedroht Personal und Kunden eines Supermarktes, vier couragierte Arnsdorfer greifen ein und beschützen ihre Mitbürger."

Die neurechte Gruppierung verbreitete im Internet ein zigtausendmal aufgerufenes Video, in dem unter anderem Maximilian Krah zu Wort kommt, der Anwalt der Beschuldigten. Krah, früher CDU-Kommunalpolitiker in Dresden und heute in der AfD, spricht von einem "Symbolverfahren", bei dem es "keinen faulen Kompromiss" geben dürfe. "Am Ende muss ein Freispruch stehen. (...) Die Botschaft muss lauten: Zivilcourage ist nicht strafbar." (mit AFP)

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