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Netto-Markt in Arnsdorf - oder doch eine Fata Morgana?
© imago/xcitepress

Clausnitz, Bautzen, Arnsdorf: Das große Relativieren in Sachsen

In Arnsdorf wird ein Asylbewerber von einer selbsternannten Bürgerwehr gefesselt. Der Polizei gefällt das. Nicht zu fassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Matthias Meisner

Wenigstens der CDU-Ortsverband Arnsdorf wird deutlich. "Menschen an Bäume zu fesseln entspricht keinesfalls dem christlichen Selbstbild der CDU und auch nicht unserer Auffassung eines Rechtsstaates", sagt dessen Chef. Und: "Es darf keine Selbstjustiz unter dem Deckmantel einer Bürgerwehr geben."

Das ist umso bemerkenswerter, weil nur kurz nach Bekanntwerden der Ereignisse vom Abend des 21. Mai im und am Netto-Markt der sächsischen Gemeinde das große Relativieren begonnen hat. Mehrere Männer - mindestens drei waren beteiligt - hatten einen 21-jährigen Flüchtling aus dem Irak nach seinem Streit mit der Kassiererin wüst gepackt und vor dem Supermarkt mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt.

Der junge Asylbewerber wurde leicht verletzt. Mit dem Krankenwagen ging es zurück ins psychiatrische Krankenhaus Arnsdorf, wo er Patient ist. Die Männer trugen nach Angaben von Netto schwarze T-Shirts mit dem Aufdruck "Bürgerwehr". Auch ein CDU-Gemeinderat war dabei. Er selbst hatte nach eigenen Angaben ein weißes T-Shirt an - und will wie die anderen eine weiße Weste haben.

Er habe lediglich "Zivilcourage gezeigt", behauptet der Mann, der offenbar eine Anführerrolle einnahm. Und überhaupt: Eine Bürgerwehr gebe es doch in Arnsdorf gar nicht. Was wohl stimmt, denkt man an Vereinsregister, Vorsitzenden und Schatzmeister. Aber halt irgendwie dann doch nicht, wenn man betrachtet, wie sich die Wutbürger in der knapp 5000 Einwohner zählenden Gemeinde nicht weit von Dresden organisieren.

Ein Exempel statuiert?

Schon am Mittag des 21. Mai - der junge Iraker war schon einmal zur Klärung seiner Fragen um eine Telefonkarte im Supermarkt - hatten die Asylgegner auf Facebook ihre Sicht gepostet. Außer um den "ausgerasteten" irakischen Flüchtling bei Netto ging es damals um "klauende Georgier" und "ausflippende Asylanten". Die Bürgermeisterin - sie hat ein SPD-Parteibuch - wurde aufgefordert, gegen eine Flüchtlingsunterkunft in der Gemeinde zu kämpfen. "Sonst gründen wir eine Bürgerwehr und nehmen das Recht in die Hand, uns selber zu verteidigen." Es scheint so, als wurde dann noch am Abend desselben ein Exempel statuiert.

Doch abseits des Arnsdorfer Ortsverbandes sind keine Christdemokraten in Sicht, die den Vorgang insgesamt und den beteiligten CDU-Gemeinderat rügen wollen. Es sei für ein Urteil zu früh, sagt der Generalsekretär der Sachsen-Union, Michael Kretschmer. "Handeln ist besser als wegsehen", lobt ein CDU-Landtagsabgeordneter. "Einseitige Vorverurteilung von Sachsen falsch", tönt ein anderer. Und ein Kreisvorstandsmitglied der Dresdner CDU unternimmt eine Solidaritätsvisite zu den Arnsdorfer Männern, um dann darüber stolz der "Bild"-Zeitung zu berichten.

Erstaunlich ist auch das Auftreten des Görlitzer Polizeipräsidenten Conny Stiehl. Zehn Tage lang hatte seine Behörde den Ereignissen in Arnsdorf kaum Beachtung geschenkt. Am Donnerstag dann wurde eine Sonderermittlungsgruppe eingesetzt. Nur wenige Stunden später verteidigt Stiehl nicht nur seine Beamten. Er würdigt auch die Männer, die in Bürgerwehr-Manier gegen den Flüchtling vorgingen. Der sei schließlich "stark erregt" gewesen. Aus drei Tatverdächtigen, die sich möglicherweise der Freiheitsberaubung schuldig gemacht haben, werden in der Einschätzung des Polizeipräsidenten nun Männer, die der Polizei "geholfen" und sich "korrekt" verhalten hätten. Das Festhalten sei "durchaus auch sinnvoll - ich tue mich schwer zu sagen, notwendig" gewesen - meint Stiehl.

Erinnerungen an den Bus in Clausnitz

Diese Art der Rückendeckung erinnert fatal an die Auswertung der Pöbel-Nacht von Clausnitz, wo im Februar ein Mob aufgebrachter Bürger einen Bus mit neu eintreffenden Flüchtlingen blockiert hatte. Nicht nur der Chemnitzer Polizeipräsident stärkte damals den eingesetzten Beamten den Rücken, sondern auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière: "Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen." Der CDU-Politiker de Maizière hat seinen Wahlkreis in Meißen.

Arnsdorf gehört zum CDU-Kreisverband Bautzen. Auch dessen Geschäftsführer hütet sich, den CDU-Gemeinderat "an den Pranger" zu stellen, schließlich könne sich am Ende möglicherweise "alles ganz anders" herausstellen. Der CDU-Stadtverband Bautzen derweil lädt demnächst zu einem Stammtisch ein, um den Brand im Februar im "Husarenhof" auszuwerten. Damals war mit einem Anschlag vereitelt worden, dass aus dem ehemaligen Hotel eine Flüchtlingsherberge wird. Das Motto des CDU-Stammtischs lautet: "Beifall, Schaulustige oder eher doch nichts gewesen?"

Oder eher doch nichts gewesen? Vielleicht prüft die CDU in Ostsachsen ja auch noch, ob es in Arnsdorf überhaupt einen Netto-Markt gibt. Die Partei muss sich allerdings nicht wundern, wenn demnächst auch die Frage aufkommt, ob es ein Bundesland Sachsen gibt. Gemocht wird es schon eine ganze Weile lang von fast keinem mehr.

Auf dem Tagesspiegel-Debatten-Portal Causa wird die Frage diskutiert: Warum ist Sachsen so rechts? Zur Diskussion geht es hier.

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