TV-Duell Merkel gegen Schulz: In der Außenpolitik nur mangelhaft
Zu den internationalen Fragen redeten Schulz und Merkel erschreckend unpräzise. Und die Schicksalsfrage, die Krise der EU, wurde übergangen. Ein Kommentar.
Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, also auch ein Machtfaktor in den internationalen Beziehungen. Davon war im Kanzlerduell nichts zu spüren. Martin Schulz und Angela Merkel redeten erschreckend unpräzise über die Außenpolitik. Auch die Moderatoren blieben in diesem Teil der Debatte unter dem notwendigen Niveau. Deutschlands Schicksalsfrage - wie wird Europa handlungsfähig, wie soll die EU mit Polen und Ungarn umgehen? - wurde erst gar nicht zum Thema gemacht.
Nordkorea? Schulz möchte sich mit Kanada und Mexiko abstimmen
Den größten Ausfall leistete sich Schulz, als er nach Nordkorea gefragt wurde. Der jüngste Bombentest war - erwartbar - das tagesaktuelle Thema der Außenpolitik. Schulz war offenbar so daran gelegen, seine Distanz zu US-Präsident Donald Trump zu betonen, dass er zur eigentlichen Frage nichts Überzeugendes zu sagen hatte. Er wolle sich mit Kanada, Mexiko und der Opposition in den USA abstimmen, die gebe es nämlich auch.
Wie bitte? Kanada und Mexiko? Welchen Einfluss haben die auf Nordkorea? China, das die Schlüsselrolle bei allen Bemühungen um eine friedliche Lösung des Atomstreits mit Pjöngjang hat, kam Schulz nicht in den Sinn. Auch Russland vergaß er zu erwähnen.
Merkel nennt routiniert China als Schlüssel zur Lösung
Da konnte die Kanzlerin ganz routiniert von ihrer Amtserfahrung profitieren. Sie nannte China als entscheidenden Faktor. Und erwähnte beiläufig, dass sie mit Trump, Präsident Xi und Präsident Macron telefoniert habe. Auch sie unterstrich, dass sie in vielen Fragen Meinungsverschiedenheiten mit Trump habe. Im Umgang mit Nordkorea habe er aber entscheidenden Einfluss. Und sie dränge darauf, dass es eine diplomatische, keine militärische Lösung gebe.
Die Wahrheit ist banal. Deutschland und Europa haben wenig Einfluss im Konflikt um Nordkorea. Wenn es zu einer Verhandlungslösung kommt, sitzen außer Nordkorea die Vereinten Nationen, China, Japan, Südkorea und Russland am Tisch. Auf die kann man versuchen, einzuwirken, mehr nicht.
Türkei? Schulz vollzieht eine 180-Grad-Wende
Eine Überraschung gab es beim Umgang mit der Türkei. Da hat Schulz als langjähriger Präsident des Europäischen Parlaments ähnlich viel Amtserfahrung wie Merkel. Als Kanzler werde er die Beitrittsgespräche beenden, posaunte Schulz schneidig - so als könne er das im Alleingang entscheiden. Erst als Merkel darauf hinwies, dass dazu ein einstimmiger Beschluss der Staats- und Regierungschefs erforderlich sei, korrigierte sich Schulz. Er werde sich um die Zustimmung der Partner bemühen und selbst eindeutig für den Abbruch der Gespräche eintreten.
Damit übte er Druck auf Merkel aus, die auch prompt reagierte. Auch sie redete nun offensiver, als man es von ihr gewohnt ist. Eigentlich will sie ja die Gesprächskanäle mit der Türkei beibehalten. Denn die können hilfreich sein bei der Lösung anderer Probleme, zum Beispiel der in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürger. Merkel ist bestenfalls für eine Suspendierung der Beitrittsgespräche. Schulz errang hier einen kleinen Punktsieg.
Merkel zieht die Suspendierung vor, begründet es aber nicht
Freilich nicht ohne Kosten. Denn erstens trat dabei hervor, dass Schulz eine 180-Grad-Wende vollzogen hat. Er war früher für die Aufnahme der Türkei in die EU. Jetzt will er die Gespräche abbrechen. Merkel war nie für den Beitritt der Türkei. In der Frage der Suspendierung oder des Abbruchs der Beitrittsgespräche tendiert sie zur Suspendierung, will sich aber jetzt nicht festlegen.
Beide blieben den Zuschauern eine präzise Schilderung der Optionen schuldig. Dabei müssten sie es besser wissen. Die Suspendierung ist pragmatischer als der Abbruch der Gespräche. Dafür braucht es nur eine Zweidrittel-Mehrheit im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Und man behält die Option, dieses Gesprächsforum erneut zu nutzen.
Auch die Türkei-Debatte blieb also unter dem Niveau. das von einem Kanzlerduell erwarten sollte.
Die Schicksalsfrage für Deutschland wird ausgespart
Das größte Manko des internationalen Teils dieses Kanzlerduells bestand jedoch darin, dass die Moderatoren die Schicksalsfrage für Deutschlands Rolle in der Welt erst gar nicht ins Zentrum rückten: Wie wird die EU wieder handlungsfähig? Dazu müsste sie ihre inneren Krisen überwinden und einen effektiven Umgang mit Mitgliedsländern wie Polen und Ungarn finden, die das Fundament der EU, die Demokratie und den Rechtsstaat, angreifen.
Erst wenn die EU zeigen kann, wie sie die Herausforderungen durch die Migrationskrise, die Eurokrise, die Beschlussunfähigkeitskrise, den Brexit, den Krieg in der Ukraine erfolgreich meistert, werden Europa und Deutschland als Europas mächtigstes Land eine größere Rolle in den internationalen Beziehungen spielen können.
Die Moderatoren reden länger als die Kandidaten
Überhaupt: die Moderatoren. Auf die außenpolitischen Fragen waren sie schlecht vorbereitet. Also wurden sie selbst weitschweifig, statt Schulz und Merkel kurz und präzise zur Rede zu stellen. 97 Minuten dauerte das Duell. Gut 30 Minuten entfielen jeweils auf Merkel und Schulz. Das bedeutet: Die Moderatoren beanspruchten rund 36 Minuten, also mehr Redezeit, als jeder der Kandidaten bekam.
All diese Defizite zeigen, wie traurig es um die außenpolitische Debatte in Deutschland bestellt ist. Das Kanzlerduell machte da keine Ausnahme.