Nach dem Freispruch von Vojislav Seselj: In alter Feindschaft
Das Verhältnis der ex-jugoslawischen Staaten ist auch 25 Jahre nach dem Krieg von Konflikten geprägt. Daran ändern auch die Kriegsverbrechertribunale in Den Haag nichts - eher im Gegenteil.
In Pale weiß man genau, wer schuldig und wer unschuldig ist. Die Stadt liegt nur 20 Kilometer von der bosnischen Hauptstadt Sarajevo entfernt. Dort sieht man aber die Kriegsursachen genau umgekehrt. In Sarajevo leben hauptsächlich Bosniaken, in Pale Serben. Der 21-jährige Student Teodor S. aus Pale meint etwa, dass die Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag nur eine Farce seien, der Westen seine eigene Propaganda mache und dass das serbische Massaker in Srebrenica ein Racheakt für Verbrechen an Serben gewesen sei. Für die Bosniaken ist die Ermordung der Flüchtlinge in Srebrenica im Jahr 1995 hingegen der grausame Höhepunkt der jahrelangen ethnischen Säuberungen.
Die jahrzehntelangen Prozesse des Jugoslawien-Tribunals (ICTY) haben bisher in den Gesellschaften in Südosteuropa nicht zu einer realistischen Einordnung der Kriegsereignisse oder zu mehr Versöhnung geführt. Der deutsch-französische Historiker Nicolas Moll, der in Sarajevo lebt, verweist auf wissenschaftliche Untersuchungen, wonach diese „bis jetzt nicht geschafft haben, die Selbstviktimierungs-Diskurse in den einzelnen nationalen Gruppen zu verändern“. Sie hätten im Gegenteil oftmals sogar dazu beigetragen, Leugnungstendenzen und Opfermythen zu verstärken.
Der Opfermythos wird immer noch gepflegt
In den Staaten Ex-Jugoslawiens gab es niemals eine „Stunde null“, eine breite gesellschaftliche Selbstkritik am Ethno-Nationalismus, der die ideologische Grundlage für die Kriege bildete. Die politischen Eliten verweigern dies bis heute. Nicht einmal die Fakten über die Verbrechen kommen in alle Schulbücher. Im Grunde geht es Politikern in Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo immer noch darum, dem jeweils anderen zu zeigen, dass man mit der Politik und den Argumenten rund um die Auflösung von Jugoslawien in den 1990er Jahren recht hatte. Im Vordergrund steht die nationale Identität und die Pflege des Opfermythos.
So wie jetzt in Kroatien wegen des Freispruchs des Rassisten und Kriegshetzers Vojislav Seselj gab es 2013 heftige Reaktionen in Serbien, als der kroatische Ex-General Ante Gotovina freigesprochen wurde. Der Aufruhr nach diesen Urteilen hält in den Medien für ein paar Wochen. Nachhaltigeren Einfluss haben sie dagegen auf die jeweilige nationale Politik und auf das Verhältnis zu den Nachbarn. So fühlen sich in Serbien durch den Freispruch von Seselj nun die extremen Nationalisten gestärkt. In den jungen Demokratien haben Populisten und Nationalisten leichtes Spiel. Das heißt aber nicht, dass es tatsächlich die Gefahr gibt, dass sich die Konflikte massiv verschärfen oder es wieder gewaltsam werden könnten. An einer Eskalation hat keine Regierung ernsthaftes Interesse. Doch die nationalistischen Parteien, die in allen vier Staaten an der Macht sind, punkten damit, dass sie sich von anderen Ethnien „abgrenzen“.
Angst vor Serbiens Einmischung
Das Verhältnis zwischen Kroatien und Serbien hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, seit der Ex-Ultranationalist und Seselj-Gefährte Tomislav Nikolic in Belgrad Präsident ist. Nun wird auch Kroatien von Nationalkonservativen geführt. Vergangene Woche kündigte Kroatien an, die Öffnung des nächsten EU-Verhandlungskapitels für Serbien zu blockieren. Es geht unter anderem auch darum, dass Serbien noch immer Staatsbürger anderer Staaten wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt. Der Disput zeigt aber auch, dass es in den Staaten Ex-Jugoslawiens noch eine tief verankerte Sorge gibt, dass Serbien sich von außen einmischt. Tatsächlich könnte auch der kosovarische Präsident Hashim Thaçi in Serbien verhaftet werden – dieser vermied deswegen Besuche in Belgrad. Die Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo, die eine Voraussetzung für die EU-Integration beider Staaten ist, ist ohnehin auf Eis gelegt. Das liegt vor allem an den Nationalisten im Kosovo, die verhindern wollen, dass den Serben im Kosovo Autonomierechte gewähren werden.
Im Fall von Bosnien-Herzegowina spielt sich der Streit innerhalb des geteilten Landes ab – das Verhältnis zu den Nachbarn Kroatien und Serbien ist eigentlich gut. Der Präsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, Milorad Dodik, macht seit Jahren Propaganda für eine Spaltung des Staates: „Wir brauchen eine Wahrheit, die jeder akzeptieren kann“, sagt er über die Kriegsverbrechen, so als ob man sich die Fakten je nach Wunsch zusammenbasteln könnte.
Nur das Urteil gegen Mladic steht noch aus
Der serbische Premier Aleksandar Vucic hat zwar einige positive Akzente gesetzt und etwa Geld für die bosnische Stadt Srebrenica versprochen, gleichzeitig konterkariert er diese Initiative aber mit der Betonung des serbischen Opfermythos. Sein Vorschlag, einen gemeinsamen Gedenktag für die Kriegsopfer in Ex-Jugoslawien zu begehen, wird deshalb von vielen nicht als ernsthafter Willen zur Auseinandersetzung gewertet. >„Wir alle wissen, dass es auf allen Seiten Opfer gab“, sagt Vucic, erwähnt aber nicht, dass die bei weitem größte Zahl der Opfer im Bosnien-Krieg Bosniaken waren.
Die Arbeit des UN-Kriegsverbrechertribunals neigt sich indes dem Ende zu. Spannend ist noch das Urteil gegen den bosnisch-serbischen Ex-General Ratko Mladic, der die Politik des Kriegsverbrechers Radovan Karadžic ausführte. Die Historikerin Katarina Ristic denkt, dass nur unter der Voraussetzung, dass die politischen und gesellschaftlichen Eliten das „radikale Böse“ brandmarken würden – wie dies nach dem Holocaust in Deutschland geschah –, ein reflektierter Umgang mit der Vergangenheit möglich sei. Solange dies nicht geschehe, würde die Erinnerung weiter um Helden, Märtyrer und Opfer kreisen und die Kriegsverbrecherprozesse als nationalistisches Arsenal benutzt.