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Radovan Karadzic am Tag der Urteilsverkündung.
© dpa

Urteil gegen Radovan Karadžic: Schuldiger geht es nicht

Das Urteil gegen den Kriegsverbrecher Radovan Karadžic trägt zur Aufklärung bei. Denn die Epochen der Straflosigkeit sind vorbei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Auf das Urteil sei er wirklich nicht gefasst gewesen, heißt es unter Kennern in Den Haag. Dort hat das Internationale UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien den Angeklagten Radovan Karadžic am Donnerstag zu 40 Jahren Haft verurteilt. So schuldig, schuldiger geht es nicht: Genozid, Massenmord, Deportationen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Karadžic war Präsident der bosnischen Serben und stand an der Spitze der Befehlskette der Armee. Auch wenn er die Taten nicht selber begangen hat – er war, befand das Gericht, verantwortlich durch Wissen und Unterlassen, Propaganda und Befehle. Für die Weltgemeinschaft repräsentiert das Urteil eine Sternstunde der Globalisierung des Rechts, sie wird gefeiert vom Uno-Generalsekretär und von Menschenrechtsorganisation.

Der Angeklagte dagegen glaubte bis zuletzt an einen Freispruch. Tatsächlich sah der 70-Jährige traurig und erstaunt aus, als er das Urteil hörte: 40 Jahre? Er habe doch nur Frieden schaffen wollen, seine Leute hätten nur auf Provokationen reagiert, nun ja, ein paar Ausreißer hatte er nicht im Griff. All die toten Zivilisten? Zufälle, Unglücke oder vom Gegner verursacht, um Serben zu belasten.

Das Phänomen der Abspaltung

So hören sich Argumente von Tätern an, die im Subtext davon erzählen, wie sie die Architektur ihrer Psyche managen. In der Beletage residiert ein ideales Ich, samt Thron, Prunk und jubelnden Adepten. Das Phänomen ist als Grandiosität bekannt. Störende Realität, störende eigene Verantwortung für Untaten, wird fortgeschafft in Kellerräume mit Stromausfall, ohne Beleuchtung. Dieses Phänomen wird Abspaltung genannt. Getragen wird die gesamte Struktur durch ein komplexes System aus Abwehr, Leugnen, Selbstlegitimieren, Vertuschen, Verkleiden, Verdrehen und das Vergraben, ja „Vergessen“ von Beweisen.

Ähnlich strukturiert wie die Psyche des Täters war die gesamte serbische Politik der „ethnischen Säuberung“. Von der grandiosen Rasse der Serben sollte die Beletage des jugoslawischen Hauses beherrscht werden. Störende Mitbewohner des Hauses, Nicht-Serben wie Bosniaken und Kroaten, die nicht ins Konzept der „reinen Rasse“ passten, sollten „weg“, aus den Augen, ermordet, begraben, unter die Erde. Die Massengräber der Killing Fields von Srebrenica wurden Wochen nach den Taten noch einmal bei Nacht mit Bulldozern aufgebrochen, um die Toten noch weiter weg, noch tiefer in der Erde zu versenken. Die Polizei sollte nicht auf sie stoßen und die Gesellschaft der Täter sollte sie vergessen. So der Plan.

Der übrigen Welt hilft es zu handeln

Mit solchen Strategien kamen sie durch, in den Epochen der Straflosigkeit, die Herrscher und ihre bestellten Massenmörder. Mit ihnen auch die Vergewaltiger in Krisen und Kriegen. Hatten sie nicht lange Frauen entbehrt? War es nicht ihr männliches Vorrecht, sich zu bedienen? Zu den Anklägern von Radovan Karadžic zählt auch die deutsche Staatsanwältin Hildegard Uertz-Retzlaff, seit 1995 in Den Haag. Sie erreichte, dass dort auch sexuelle Gewalt in den Katalog der Kriegsverbrechen aufgenommen wurde.

In den Kellern wird es immer heller. Das Gericht schaltet die Lichter ein. Es blendet die Täter. Der übrigen Welt hilft es zu sehen, zu handeln. Dieses Phänomen, so notwendig wie erfreulich, wird Aufklärung genannt.

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