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Hütte aus Plastikabfällen. Mama Rebecca lebt seit 2013 auf dem Flughafen der Hauptstadt Bangui. Mit einer ihrer Enkelinnen sitzt sie vor ihrer Behausung.
© Dagmar Dehmer

Zentralafrikanische Republik: Im Überlebenskampf

Die Zentralafrikanische Republik hofft auf Wiederaufbauhilfe – und muss ganz klein anfangen. Der Präsident reist mit Zusagen über zwei Milliarden Euro zurück nach Bangui.

Mama Rebecca haust seit 2013 ein paar hundert Meter von der Landebahn des internationalen Flughafens von Bangui entfernt. Seit dem Beginn der jüngsten Gewaltwelle in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) lebten zeitenweise 50 000 Menschen in dem improvisierten Camp Ledger auf dem Flughafengelände der Hauptstadt. Inzwischen sind es noch etwa 20 000 Menschen, die sich in Hütten aus Plastiktüten, zwischen Flugzeugruinen und undichten Hangars eingerichtet haben. Zurück kann die 60-Jährige nicht, sagt sie. Auf ihr Feld hat sie sich seit drei Jahren nicht mehr getraut. Einer ihrer Söhne ist dort beschossen worden. Sechs ihrer noch lebenden Kinder „sind ständig auf der Suche nach Nahrung“, erzählt sie. Vier sind inzwischen tot. Ihre kranke Tochter, die sich nicht bewegen konnte, starb mit 17 Jahren im Camp der Vertriebenen.

Mama Rebecca ist mit ihrer Geschichte nicht allein. Um ihr und der im vergangenen Dezember frei gewählten neuen Regierung um den Präsidenten Faustin Touadera beim Wiederaufbau des Landes zu helfen, hat die Europäische Union zu einer Geberkonferenz nach Brüssel eingeladen. Am Donnerstagnachmittag sollten die Geberstaaten ihre Angebote vorlegen. Touadera hat seine Vorstellung davon, wie die Zentralafrikanische Republik wieder auf die Beine kommen kann, in einem 104 Seiten starken Strategiepapier niedergelegt. Er hofft auf drei Milliarden Dollar Aufbauhilfe für fünf Jahre. Bekommen hat er Zusagen über zwei Milliarden Dollar. Vor allem die Landwirtschaft will der Präsident künftig fördern. Denn derzeit wird nahezu nichts im Land selbst produziert. Ob das Geld tatsächlich in Bangui ankommen wird, ist allerdings nicht sicher. Bei Gerberkonferenzen ist schon viel zugesagt worden, was sich nie materialisiert hat.

Die Hälfte der Bevölkerung hungert

Von den 4,9 Millionen Einwohnern des Landes ist die Hälfte auf humanitäre Hilfe angewiesen. Rund eine Million Menschen sind auf der Flucht, im Land selbst oder im benachbarten Ausland, also in Kamerun und dem Tschad. Manche sind 2013 geflüchtet, als die muslimische Seleka-Miliz den damaligen Präsidenten François Bozizé stürzte. Die christlichen Anti-Balaka-Milizen haben allerdings in der Folge nicht weniger gewütet. Tausende Menschen wurden bei Kämpfen getötet, Dörfer wurden geplündert, Angehörige der jeweils anderen Glaubensgruppe wurden zu Zehntausenden vertrieben. Zehntausende Frauen wurden Opfer sexualisierter Gewalt. Bis heute gehören Vergewaltigungen zum täglichen Risiko für Frauen jeden Alters. Die Klassenkameradinnen von Mama Rebecca erzählen dutzende solcher Geschichten. Mama Rebecca lernt „endlich“ in einer von der Deutschen Welthungerhilfe unterstützten Schule lesen und schreiben.

Mama Rebecca hat bei ihrer Hütte einen kleinen Garten angelegt. Was sie dort erntet, verkauft sie. Aber es reicht kaum zum Überleben. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Flugfeld gibt es viele Gärtner, die versuchen, die teuren aus Kamerun importierten Lebensmittel durch ihre eigenen Feldfrüchte zu ersetzen. Die Welthungerhilfe hat vom Landwirtschaftsministerium den Auftrag bekommen, die Gärtner auf ein Gelände außerhalb des Flughafens, ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt umzusiedeln.

Die Gärtner bestehlen sich gegenseitig

Der Flughafen soll wieder einen Zaun bekommen. Allerdings ist der schon seit Jahren angekündigt, und solange er nicht errichtet wird, haben die Gärtner wenig Lust, sich auf ein Gelände umsiedeln zu lassen, das weiter weg ist, und dessen Boden in keinem besonders guten Zustand ist, wie Christophe Bouvier festgestellt hat. Er betreut das Projekt für die Welthungerhilfe. Inzwischen gibt es dort eine Schule, die schon wenige Tage nach ihrer Eröffnung völlig überfüllt war, einen Markt, der bisher noch wenig genutzt wird, und Demonstrationsfelder, auf denen Bouvier organischen Dünger einsetzt, und den Boden mit einer Mulchschicht vor Erosion schützt. Die Gärtner tun sich mit den Neuerungen schwer. Ganz besonders leiden sie aber darunter, dass ihre Felder geplündert werden. Und zwar von ihren Gärtnerkollegen, wie einer traurig berichtet. Deshalb ernten viele Gärntner ihr Gemüse viel zu früh und bekommen nur wenig Geld dafür. Dass nicht einmal Gärtner, die nebeneinander ihre Felder bestellen, Respekt vor dem Eigentum ihrer Nachbarn haben, hat Bouvier schockiert. Aber auch die Frauen aus Mama Rebeccas Schule berichten vom blanken Überlebenskampf, der keine Rücksichten mehr zulasse.

Die Sicherheitslage bleibt prekär

Der Flughafen, der nicht den Anforderungen an einen internationalen Flughafen entspricht, wird offen gehalten, obwohl die Flüchtlinge ihn so schnell nicht verlassen werden. Dutzende Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen, die mit der 12 000-köpfigen Friedenstruppe Minusca versuchen, die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen, könnten gar nicht mehr arbeiten, wenn der Flughafen wegen seiner Mängel geschlossen würde. Also rührt niemand daran. Dennoch hofft die Regierung, in den kommenden Jahren den Flughafen zu rehabilitieren und selbst wieder handlungsfähig zu werden. Derzeit bezahlen die Europäische Union und die UN die Beamten der Ministerien. Die Welthungerhilfe liefert dem Landwirtschaftsministerium Stifte, Papier und Druckerpatronen. Der Wiederaufbau fängt ganz klein an.

Die Autorin hat sich auf Einladung der Welthungerhilfe in Bangui aufgehalten.

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