Scholz in Moskau: Im Hallraum der Geschichte
Riesig waren die Erwartungen an das Gespräch des Kanzlers mit Putin. Einen Durchbruch gab es nicht – aber die Verabredung weiterer Verhandlungen. Ein Kommentar.
Als Olaf Scholz am Dienstag in Moskau landete, sandte die russische Politik widersprüchliche Signale. Einerseits waren da die – vom Westen unbestätigten – Berichte, wonach russische Soldaten aus dem Aufmarschgebiet an der Grenze zur Ukraine in ihre Kasernen zurückkehren würden.
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Andererseits forderte das russische Unterhaus Präsident Wladimir Putin auf, die ukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk als Teil Russlands anzuerkennen, womit der letzte Schein zerstört würde, dass Russland das Minsker Abkommen einhält.
Mit dieser Unbestimmtheit musste der deutsche Kanzler umgehen und stand zugleich vor der Aufgabe, eine klare Botschaft an den Mann im Kreml zu bringen: Auch die Bundesregierung ist bereit, mit Russland ernsthaft über dessen Sicherheitsinteressen zu sprechen.
Aber Berlin wird keine Sonderabmachungen mit Moskau treffen – schon gar nicht auf Kosten Dritter, also der Ukraine, die Scholz am Tag zuvor besucht hatte.
Und im Ernstfall, wenn Russland die territoriale Integrität der Ukraine weiter verletzt, wird Deutschland trotz wirtschaftlicher Verflechtung mit Russland gemeinsam mit den Nato- und EU-Partnern harte Sanktionen verhängen.
Die Kanzler-Mitarbeiter hatten die Erwartungen an die Reise gedämpft
Wenn ein deutscher, zumal ein sozialdemokratischer Kanzler in Moskau über Krieg und Frieden verhandelt, dann öffnet sich sofort ein großer historischer Hallraum. Da ist die Erinnerung an die Versuche erst der Sowjetunion und dann später Russlands, mit Deutschland Abmachungen ohne den Westen oder gar gegen den Westen zu treffen.
Da ist die Aufteilung Polens und des Baltikums durch beide Länder im Zweiten Weltkrieg und der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. Da ist die Ost- und Versöhnungspolitik Willy Brandts, der in Moskau verlässliche Partner fand. Und da ist Michail Gorbatschow, der den Weg zur deutschen Einheit frei machte.
Aber eine neue Lage verlangt neue Antworten. Dass eine neue Ostpolitik nur eine europäische sein kann, hatte Scholz schon in seiner Regierungserklärung angekündigt. An dieses Programm hielt er sich auch in Moskau. Er vermied alles, was bei den Partnern Misstrauen gegenüber deutschen Sonderabmachungen mit Russland provozieren könnte.
Und er trat in der Pressekonferenz mit seinem Gastgeber nach dem Gespräch selbstbewusst auf und verteidigte die eigenen Maßstäbe offensiv: Er distanzierte sich im Angesicht von dessen Freund Putin von Gerhard Schröder, streifte Streitthemen wie Memorial, Deutsche Welle oder Alexej Nawalny und widersprach sofort dem Vorwurf des Präsidenten, die Nato habe mit dem Kosovo-Einsatz mutwillig Krieg vom Zaun gebrochen.
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Der Bundeskanzler nahm zudem zum ersten Mal überhaupt im Zusammenhang mit den Sanktionsdrohungen das Wort „Nord Stream 2" in den Mund. Mitten im Kreml setzte er damit ein klares Zeichen, dass Deutschland aus wirtschaftlichen Interessen nicht bremsen werde, wenn es um die Sanktionen im Ernstfall geht.
Ein Moratorium, wonach die Ukraine auf absehbare Zeit nicht Mitglied der Nato wird, werde Scholz nicht im Reisegepäck haben, hatten seine Mitarbeiter vor dem Flug nach Moskau versichert. Tatsächlich wird über ein solches Beruhigungssignal an Russland längst debattiert, das aber nicht das Recht auf nationale Selbstbestimmung verletzen dürfte, welches die Nato hochhält.
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Ein Nato-Beitritt der Ukraine stehe nicht an, meinte der Kanzler und skizzierte doch die Aufgabe für beide Seiten, aus diesem Thema in weiteren Verhandlungen mit Russland „etwas zu machen, ohne dass einer seine politischen Grundsätze aufgeben muss". Das klang sehr nach einer Lösung, bei der die Ukraine selbst eine entsprechende Entscheidung treffen könnte, die Russland entgegenkommt.
Scholz konnte keinen Durchbruch auf dem Rückflug mit nach Berlin nehmen, aber einen Erfolg: Den Raum für Verhandlungen hat er gewahrt, es wird weiter geredet werden. Es gibt Ansatzpunkte. Immerhin.