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Polizisten und Bürger in Chemnitz an der Stelle, wo ein Mann erstochen wurde.
© Andreas Seidel/dpa
Update

Rechter Mob gegen Ausländer: Hoyerswerda, Heidenau, Chemnitz – nichts gelernt in Sachsen?

Nach einer tödlichen Messerattacke in Chemnitz will die AfD die rechte Randale für sich nutzen. Ministerpräsident Kretschmer sorgt sich um das Image Sachsens.

Videos im Netz vom Geschehen am Sonntag im Chemnitz lassen keinen Zweifel: Ein rechtsextremer Mob, geschätzt 800 Personen, war am Sonntag in der sächsischen Stadt auf der Straße. Hunderte machten, ausgehend vom später wegen der angespannten Sicherheitslage abgebrochenen Chemnitzer Stadtfest, Jagd auf Ausländer, mit Rufen wie "elendes Viehzeug", "Kanaken" und "Zecken". Die Menge skandierte Parolen wie "Merkel raus", "Das ist unsere Stadt" und "Das System ist am Ende, wir sind die Wende". Auch der Hitlergruß ist zu sehen, die Polizei will deshalb ermitteln.

Nach einer Messerstecherei in der Nacht zum Sonntag, bei der ein 35-Jähriger ums Leben gekommen war - die genauen Umstände sind nach wie vor nicht geklärt - hatte sich der Zorn der "besorgten Bürger" gewaltsam entladen, die Polizei war zunächst überfordert. Sie sprach zunächst nur von "Personenansammlungen", die sich durch Aufrufe in den sozialen Medien zusammengefunden hätten. Dass "Kaotic Chemnitz", eine Ultra-Gruppe des Chemnitzer FC, auf Facebook zu dem Spontanaufmarsch aufgerufen hätte, stand nicht im Polizeibericht. Allerdings hieß es, "die Personengruppe" habe nicht auf die Ansprache durch die Polizei reagiert und "keine Kooperationsbereitschaft" gezeigt. Im Verlauf einer "dynamischen Phase" sei es "auch zu Flaschenwürfen in Richtung der Polizeibeamten gekommen", die Polizei sei "zu diesem Zeitpunkt zunächst nur mit geringen Kräften vor Ort gewesen". Am Montagnachmittag wurden nach dem gewaltsamen Tod des 35-jährigen Deutschen ein 23-jähriger Syrer und ein 22 Jahre alter Iraker dem Haftrichter vorgeführt.

Der rechte Aufmarsch am Sonntag, noch bevor viel zum Tötungsdelikt klar war, erinnerte viele an die Ausschreitungen gegen Ausländer 1991 in Hoyerswerda, 1992 in Rostock-Lichtenhagen sowie die gewalttätigen Proteste gegen Flüchtlinge 2015 im sächsischen Heidenau.

Noch bevor sich die CDU-geführte sächsische Landesregierung eine Meinung zu den Vorkommnissen gebildet hatte, verurteilte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, am Montagmittag vor der Bundespressekonferenz klar, was in Chemnitz vorgefallen ist. "Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, nehmen wir nicht hin", sagte Angela Merkels Sprecher. Was in Chemnitz zu sehen gewesen sei, "das hat in unserem Rechtsstaat keinen Platz". Seibert nannte die Tötung des 35-jährigen schrecklich. Der Fall werde von der Polizei mit allem Einsatz aufgeklärt. "So und nicht anders geht man in einem Rechtsstaat mit Straftaten um. In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus."

Das Ironische ist ja: Wäre das Opfer ein anderes gewesen, hätte der gleiche Mob doch auch den nun Getöteten angegriffen, wenn er zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre.

schreibt NutzerIn DaW

Kretschmer: Chaoten dürfen nicht Bild von Sachsen beschädigen

Etwa zu diesem Zeitpunkt ließ sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in einer Lagebesprechung über die Vorkommnisse informieren. Äußern wollte er sich nach Auskunft seines Regierungssprechers Ralph Schreiber zunächst nicht - anders als beim Konflikt vor guter einer Woche, bei dem die Polizei Sachsen ein Fernsehteam von "Frontal 21" behindert hatte, das über Pegida-Proteste gegen den Besuch von Kanzlerin Merkel in Dresden wollte. Kretschmer bescheinigte den ZDF-Reportern damals, unseriös aufgetreten zu sein.

Diesmal verwies Kretschmers Sprecher auf ein Statement des Landesinnenministers Roland Wöller (CDU). Der klagte dann im ARD-"Mittagsmagazin" über "Spekulationen, Mutmaßungen, Falschmeldungen und regelrechte Lügen" im Netz und rief zu Ruhe und Besonnenheit auf - auch mit Blick auf einen weiteren für Montagabend geplanten rechten Aufmarsch in Chemnitz. "Gewalt ist unerträglich und kann der Staat auch nicht zulassen", sagte Wöller.

Erst am Nachmittag, mehr als drei Stunden nach dem Sprecher der Bundesregierung, kommentierte Kretschmer die Vorgänge dann doch. "Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen", twitterte er. "Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird."

Deutlicher war zuvor Sachsens Vize-Ministerpräsident, der SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig, geworden. Er sagte: "Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und nicht bei denjenigen, die meinen, auf der Straße Selbstjustiz walten lassen zu müssen. Solchen selbsternannten Heimatschützern ist nicht an Aufklärung gelegen, sie wollen vielmehr Ängste schüren und für sich Kapital aus der Situation schlagen. Ich appelliere an alle anständigen Sachsen: Wehren wir uns dagegen, dass rechte Populisten und Extremisten die Gunst der Stunde nutzen, um gegen Ausländer zu hetzen."

Die AfD äußert Verständnis

Die AfD Chemnitz hatte nach dem Tötungsdelikt am Sonntag ebenfalls zu einer "Spontandemo" am Rande des Stadtfestes aufgerufen. Am Montag versuchte die AfD im Bundestag auf einer Pressekonferenz im Berliner Reichstagsgebäude den Eindruck zu zu zerstreuen, sie könnte die gewalttätige Eskalation in Chemnitz in irgendeiner Weise billigen. Was schon deshalb nicht ganz leicht fiel, weil ihr Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier, ehemals Chef der Jugendorganisation "Junge Alternative", Selbstjustiz offenbar gutheißt. Er twitterte am späten Sonntagabend: "Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ,Messermigration' zu stoppen! Es hätte deinen Vater, Sohn oder Bruder treffen können!"

AfD-Politiker Siegbert Droese (rechts) und Jens Maier am Montag in Berlin.
AfD-Politiker Siegbert Droese (rechts) und Jens Maier am Montag in Berlin.
© Paul Zinken/dpa

"Sehr unklug" sei diese Äußerung Frohnmaiers gewesen, sagte der Dresdner AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier auf der Pressekonferenz in Berlin, bei der er gemeinsam mit AfD-Landesvize Siegbert Droese und Vize-Fraktionschef Tino Chrupalla auftrat. Andererseits: Die Menschen im Land hätten ein "Gespür dafür, dass sich die Sicherheitslage verändert hat", erklärte Maier. Es sei "geboten, dass wir der Messerkriminalität den Kampf ansagen." Chrupalla nannte es nachvollziehbar, dass "Bürger" mit ihrer Präsenz zeigen wollten, "dass sie nicht einverstanden mit den Zuständen im Land". Es sei ungerecht, nun jegliche Demonstration als die eines ,rechten Mobs' zu deklarieren. Über "Wallungen" der "Bürger" sprachen die AfD-Politiker, Menschen hätten sich am Sonntag in Chemnitz "in ihrer Verzweiflung" zu "Unvorsichtigkeiten" und "der einen oder anderen Überreaktion" verleiten lassen.

Kerzen zum Gedenken. Ein 35 Jahre alter Mann ist tot - und Chemnitz in Aufruhr.
Kerzen zum Gedenken. Ein 35 Jahre alter Mann ist tot - und Chemnitz in Aufruhr.
© Sebastian Willnow/dpa/AFP

Ganz anders sieht das naturgemäß die oppositionelle Linke. Deren Landesvorsitzende Antje Feiks meinte am Montag, die Mobilisierungswelle im Spektrum der extremen Rechten und Hooligans lasse Erinnerungen an die Pogrome zu Beginn der 90er Jahre aufkommen. "Ein rechter Mob schafft es, das Gedenken zu instrumentalisieren und für sich zu vereinnahmen. In pogromhafter Stimmung zieht ein marodierender, gewaltbereiter Mob durch die Chemnitzer Innenstadt und macht Jagd auf Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe oder vermuteter politischer Einstellung. Eine Eskalationsspirale, die ihresgleichen sucht". Dass Sachsen ein Problem mit gefestigten rechten Strukturen habe, sei vielen bewusst, jedoch leider nicht allen. "Aber bei der Staatsregierung und besonders der herrschenden CDU sollte Dringlichkeit nunmehr ankommen: Das was in Chemnitz am Sonntag passierte, darf sich nicht wiederholen. Chemnitz darf kein zweites Rostock-Lichtenhagen werden."

Einsatz gegen Rechte am Sonntag in Chemnitz. Die Polizei selbst gab zu, dass sie zunächst zu wenige Beamten am Ort hatte.
Einsatz gegen Rechte am Sonntag in Chemnitz. Die Polizei selbst gab zu, dass sie zunächst zu wenige Beamten am Ort hatte.
© Andreas Seidel/AFP/dpa

Auf ihren Social-Media-Kanälen hat die Polizei Sachsen diesmal übrigens alles getan, um eine Zuspitzung zu verhindern. Am Sonntag twitterte sie, entgegen kursierender Infos gebe es "keinerlei Anhaltspunkte, dass eine Belästigung der Auseinandersetzung vorausging". Und: "Bitte beteiligt euch nicht an Spekulationen!" Am Montag berichtete sie in dem Kurznachrichtendienst: "Entgegen anderslautender Gerüchte gibt es nach dem Zwischenfall in #Chemnitz keinen zweiten Todesfall."

Einem Verschwörungstheoretiker, der nach dem Stand der Abstimmung der Ermittlungen mit Merkel fragte, antworteten die Beamten auf Twitter spöttisch: "Kleinen Moment, rede gerade mit Frau Merkel. Mal ernsthaft: Glauben Sie den Quatsch selbst? Wir ermitteln und dann ist es Aufgabe der Justiz zu urteilen. Nicht Frau Merkel. Nicht #Wutbürger. Nicht irgendein Mob. #c2608 #Chemnitz."

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