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Ausländische Zeitungen bewerten eine Neuauflage der großen Koalition unterschiedlich.
© Sven Hoppe/dpa

Pressestimmen zur GroKo: "Historische Wende in Berlin"

"Merkel geschwächt" - "EU bekommt ein stabiles Deutschland": Ausländische Zeitungen kommentieren die Einigung auf eine Neuauflage der großen Koalition unterschiedlich. Eine Presseschau.

Die Koalitionseinigung zeigt für den Schweizer „Tages-Anzeiger“ eine geschwächte Kanzlerin. Die Zeitung schreibt am Donnerstag:
„Ein Nein (der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag) würde aber nicht nur die SPD, sondern die ganze deutsche Politik in große Ungewissheit stürzen. Merkels Ära könnte abrupt enden. Nach einer allfälligen kurzen Minderheitsregierung dürfte es bald zu Neuwahlen kommen. Ob die Kanzlerin sich dann noch einmal an der Spitze ihrer Partei zu behaupten vermöchte, weiß niemand. Wie geschwächt Angela Merkel bereits heute ist, zeigt die Verteilung der wichtigsten Ministerien in ihrem neuen Kabinett: Außer dem Kanzleramt bleiben der CDU nur Brosamen.“

Die Londoner „Times“ schreibt:
„Die Koalition könnte möglicherweise nicht vier Jahre bestehen und Angela Merkel wird nicht die dominante europäische Figur sein, die sie in ihren ersten drei Amtszeiten war. Britische Minister, die darauf hoffen, diese Schwäche in den Brexit-Gesprächen auszunutzen, werden wahrscheinlich enttäuscht. Die Dispute, die die Koalitionsgespräche in die Länge gezogen haben, betrafen vor allem die deutsche Innenpolitik, nicht Europa. Martin Schulz wird nachgesagt, eine persönliche Antipathie gegenüber seinem (künftigen) britischen Gegenspieler (Außenminister) Boris Johnson zu haben ... Und Merkels Führungsrolle in Europa ist inzwischen an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegangen.“

Die britische Zeitung „The Telegraph“ analysiert mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen: 
„Es gibt schlechte Nachrichten für jeden, der gehofft hatte, dass diese Einigung auf eine Koalition Angela Merkel die Freiheit für mehr Flexibilität bei den Brexit-Verhandlungen geben könnte. Die neue Regierung wird stattdessen voraussichtlich viel aktiver den Ausbau der europäischen Integration vorantreiben.“

Die liberale „Gazeta Wyborcza“ aus Polen meint:

„Im deutschen Koalitionsvertrag wurden Polen fast 900 Zeichen gewidmet. Das ist sehr viel, aber dieser Abschnitt ist kein Grund zur Freude. Vor allem fällt auf, dass da die Rede ist vom „Fundament der Partnerschaft“ (...) und den „Grundlagen für den Ausbau der Partnerschaft“. Knapp 30 Jahren nach dem Ende des Kommunismus und fast 13 Jahren nach dem EU-Beitritt Polens sollten wir beim Aufbau der Beziehungen zu unserem westlichen Nachbarn nicht wieder beim Fundament anfangen. (...)

Die spanische Zeitung „El Mundo“ findet: 
„Die große Koalition bedeutet nicht nur ein Ende des Geduldsspiels, das der Ausgang der Wahl vom 24. September nach sich gezogen hatte, sondern sie ist auch ein guter Grundstein, um die europäische Agenda neu zu beleben. Denn die wartete auf ein Ende der Blockade in Berlin, um Kernthemen wie die Bankenunion, die Harmonisierung des Asylrechts und den Haushaltsplan anzugehen. (Bundeskanzlerin Angela) Merkel hat einmal mehr ein Beispiel ihrer Führungsqualitäten und Weitsicht gegeben. Deutschland gewinnt. Europa auch.“

„El País“, ebenfalls aus Spanien, kommentiert:  
„Deutschland hat es geschafft, eine Koalitionsregierung zwischen Mitte-Rechts und Mitte-Links zu bilden, mit enormen Schwierigkeiten und „schmerzhaften Zugeständnissen“ (in den Worten von Angela Merkel). Diese wird aber nicht nur die Stabilität und den Wohlstand des Landes garantieren, sondern auch den Weg zu den Reformen ebnen, die die Europäische Union braucht. Die Parteien wissen, dass sie bei den nächsten Wahlen die Rechnung für diese neue Koexistenz von vier Jahren präsentiert bekommen könnten, aber sie haben sich dennoch entschieden, das Beste für ihr Land zu tun.“

Die italienische Zeitung „La Repubblica“ kommentiert die Auswirkungen auf Italien und Europa: 
„Eine pro-europäische Koalition nimmt in Deutschland Gestalt an (...). Die Geburt einer deutschen Regierung, die endlich ohne Argwohn nach Brüssel schaut, ja eher mit Enthusiasmus, und die einen Sozialdemokraten als Finanzminister einsetzt, ist sicher eine gute Nachricht für Europa. Und es ist (...) auch eine gute Nachricht für Italien - oder zumindest für den Teil des Landes, der seine Zukunft in der EU sieht. Aber es wäre naiv zu denken, dass die historische Wende in Berlin uns das Leben leichter macht. Im Gegenteil. (...) Italien ist nun aufgerufen, eine zu lange aufgeschobene Herausforderung anzugehen. Denn bis jetzt hatte das Herauszögern Italiens, seine Verschuldung abzubauen, das Bankensystem zu sanieren und Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, im deutschen Misstrauen ein Alibi.“

Die ebenfalls in Italien erscheinende Zeitung „Corriere della Sera“ kommentiert den Wechsel im Finanzministerium:
„(Bundeskanzlerin Angela) Merkel verliert, weil sei einen hohen Preis für ihr viertes Mandat bezahlt. Dass das Finanzministerium an die SPD geht, bedeutet nicht, dass Deutschland in Zukunft Abstriche mit Blick auf die europäischen Regeln macht. Aber es ist ein Zeichen einer Wende. Vielleicht ist es das, was die Kanzlerin wollte. Aber in den Augen vieler ist es ein totaler Absturz. (Der SPD-Vorsitzende Martin) Schulz gewinnt aus gegenteiligen Gründen, aber er muss gehen und kann die SPD nicht weiter führen. Es endet eine Epoche, zumindest auf symbolischer Ebene. Und auch auf personeller: Vom strengen und zerfurchten Gesicht von (Finanzminister) Wolfgang Schäuble zum jugendlicheren und pausbackigen von Olaf Scholz.“

Frankreichs Tageszeitung „Dernières Nouvelles d'Alsace“ schreibt:
„Diese dritte große Koalition ist von allen Lösungen die am wenigsten schlechte: mit unleugbaren sozialen Fortschritten, die die Unterhändler der SPD erzielt haben, zugunsten der Schwächsten und der Mittelschicht und zur großen Entrüstung der Unternehmer und der kleinen und mittleren Unternehmen, die in diesen Bereichen den Rückzug „ihrer“ konservativen CDU/CSU nicht verstehen. Übrigens sind mit Ausnahme des sehr sicherheitsbezogenen bayerischen CSU-Vorsitzenden (Horst) Seehofer, der für das Innere und die Förderung der „Heimat“ antritt, die Schlüsselressorts in den Händen der SPD. Als wolle die CDU in erster Linie Angela Merkel als Kanzlerin halten und sich auf ihre Führungsqualitäten verlassen, während (die Partei) deren Ablösung vorbereitet. Denn Merkel ist innerhalb ihrer eigenen Partei nicht mehr unumstritten.“

Die konservative norwegische Tageszeitung „Aftenposten“ analysiert:
„Die Vereinbarung weckt keine Begeisterung. Sowohl CDU/CSU als auch SPD waren bei der Wahl im Herbst recht schwach. Eine der Ursachen war der verständliche Unmut der Wähler über eine Regierungszusammenarbeit über die traditionelle Grenze zwischen rechts und links hinweg. [...] Nun bekommt Deutschland eine stabile Regierung. Die EU bekommt ein stabiles Deutschland, das mit Frankreich zusammenarbeiten kann, um das europäische Projekt besser auf die Spur zu bringen. Es ist nicht gesagt, dass die Wähler negativ reagieren.“

Das überregionale niederländische Zeitung „NRC Handelsblad“ weist auf den deutlichen Stempel der SPD in der möglichen neuen Koalition hin und die Folgen für Europa:
„Auf Europa kommen noch mehr Veränderungen zu, als man bisher dachte. Bekannt war, dass die Koalition ehrgeizige Pläne mit Europa hat. Hinzu kommt eine personelle Verschiebung. In den vergangenen acht Jahren war die EU in Berlin ein CDU-Monopol von Merkel und dem Spar-Falken im Finanzministerium, Schäuble. Merkel behält die Führung, aber sie wird bald flankiert sein von zwei Sozialdemokraten. (...) Es wäre nicht überraschend, wenn dieses Team eher geneigt wäre, EU-Ländern mit einer schwächeren Wirtschaft entgegenzukommen als das Tandem Merkel/Schäuble.“

Die liberale dänische Tageszeitung „Politiken“ schreibt:
„Gewiss haben viele die große Koalition eigentlich satt, doch sie bedeutet das, was für die Deutschen am wichtigsten ist: Stabilität. (...) Angela Merkel wird weder zuhause noch außerhalb Deutschlands die dominierende Figur sein, an die sich die Welt in den vergangenen Jahren gewöhnt hat. Eine geschwächte Kanzlerin, die Teile ihrer Politik und große Ministerposten in den Regierungsverhandlungen aufgeben musste, und die tiefen prinzipiellen Gegensätze zwischen SPD und CSU in der Asyl- und Sozialpolitik können diese große Koalition ausbremsen, bevor sie die nächste Wahl in gerade vier Jahren erreicht.“

Die konservative schwedische Tageszeitung „Svenska Dagbladet“ meint:
„Den Angaben zufolge bekommen die Sozialdemokraten sowohl das Finanz- als auch das Arbeitsministerium, und Schulz wird Außenminister. Sozialdemokratischer Jackpot. Das größte christdemokratische Element der Vereinbarung scheint eine bescheidene Senkung der Einkommenssteuer zu sein. Das wird teuer. Doch der Preis kann noch höher werden. Mit den Sozialdemokraten in der Regierung wird die Alternative für Deutschland die größte Oppositionspartei. Kein Wunder, dass man unzufrieden ist.“

Die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien warnt:
„Große Koalitionen werden normalerweise nur geschlossen, damit ein Land eine bestimmte Gefahr abwehren kann, zum Beispiel die Gefahr eines Krieges oder einer drohenden Hyperinflation. Entsteht eine große Koalition nur deshalb, weil sich die politischen Eliten daran gewöhnt haben, dann ist es ein Weg in die Hölle. Die Menschen werden dann bei nächster Gelegenheit stärker den Protest wählen. Gut bekannt ist das aus Österreich. Mit der dritten großen Koalition unter (Kanzlerin) Angela Merkel startet Deutschland in eine unsichere Saison.“

Die regierungsnahe Budapester Tageszeitung „Magyar Idök“ kommentiert die Flüchtlingsfrage: 
„(Bundeskanzlerin Angela) Merkel muss auch beweisen, dass man die fast zwei Millionen Fremden, die man aufgenommen hat, integrieren kann. (...) Man weiß von einer halben Million arbeitsloser Flüchtlinge, aber viele sind nicht registriert. Wir drücken der neuen deutschen Regierung aufrichtig die Daumen, dass sie mit ihnen etwas anzufangen weiß. Nicht wegen Merkel, sondern unseretwegen. Denn viele Hunderttausend frustrierte, desillusionierte, wurzellose Menschen innerhalb der Schengen-Zone: das ist eine echte Zeitbombe.“

Die linksliberale slowakische Tageszeitung „Pravda“ schreibt:
„Die Sozialdemokraten wussten aus Erfahrung, welch großes Risiko sie eingehen, und entschieden sich daher, ihre Haut nicht allzu billig zu verkaufen. Das scheint ihnen gelungen zu sein, denn sie gingen aus den Verhandlungen um die Postenverteilung als Sieger hervor. (...) Das Problem liegt aber woanders. Künftig könnten sich die Wähler fragen, wozu sie überhaupt noch zu den Urnen gehen sollen, wenn am Schluss so oder so wieder eine große Koalition herauskommt. Diese scheinbare Alternativlosigkeit wird Wasser auf die Mühlen der AfD sein. Auch darum müssen die Sozialdemokraten in der Regierung erfolgreich sein. Andernfalls erwartet sie der politische Tod.“

Die russische Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“ findet: 
„Und es hat doch geklappt. Der konservative Block aus CDU und CSU, angeführt von Angela Merkel, und die SPD haben den Durchbruch mitgeteilt: Es gibt eine große Koalition. Natürlich nur, sofern die 440 000 SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag unterstützen. (...) Als eine der außenpolitischen Prioritäten im Koalitionsvertrag wird eine Lösung des Ukraine-Konflikts genannt. Was die EU-Sanktionen gegen Russland angeht, gibt es in dem Text nichts Neues. Deren Aufhebung bleibt mit der Einhaltung des Minsker Abkommens verbunden.“ (dpa)

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