Iran: Hassan Ruhani: Präsident der sanften Veränderungen
Im Iran könnte sich unter dem neuen Präsidenten Hassan Ruhani manches ändern – gerade, weil der nicht als Reformer gilt.
Vor gut zwei Wochen ist Hassan Ruhani zum neuen Präsidenten des Irans gewählt worden. Und auch wenn noch nicht ganz klar ist, was er alles anders macht als sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, so ist doch klar, dass er sehr viel anders macht. Wenige Tage nach seiner Wahl forderte er, den Internetzugang im Iran freizugeben. Und forderte ein völlig neues Verhältnis zwischen Gesellschaft und Regierung: „Unter einer starken Regierung versteht man nicht eine Regierung, die überall eingreift“, sagte er im Fernsehen. Die Regierung müsse die Einmischung in das Privatleben der Menschen stoppen. Fast zeitgleich lästerte er via Twitter über den staatlichen Sender Irib: Wenn der über eine Pandageburt in China berichte, während im Iran unbezahlte Arbeiter protestierten, sei es nicht verwunderlich, dass dies keinen interessiere.
Aufsehen lösten auch seine Erklärungen zum iranischen Atomprogramm aus. „Es ist schön, wenn die Atomanlage Natanz läuft – aber noch schöner, wenn auch andere Fabriken laufen“, sagte Hassan Ruhani und eröffnete damit inoffiziell die nächste Verhandlungsrunde im festgefahrenen Atomstreit zwischen Teheran, USA und der EU. Die Kehrtwende kommt nicht überraschend. Ruhani, 64 Jahre alt, moderater Geistlicher und Mann der ersten Stunde während der islamischen Revolution 1979, gilt als Pragmatiker. Im Wahlkampf hatte er vor allem mit innenpolitischen Themen punkten können. Lockerung der Zensur, Einführung einer Bürgerrechtscharta, Ausbau von Frauenrechten und vor allem: eine gründliche Reform der maroden Wirtschaft. Doch die lässt sich ohne neue Verhandlungen mit den USA und Eingeständnisse im Atomstreit nicht bewerkstelligen. Vorsichtshalber dämpft Ruhani hier die Hoffnungen auf rasche Reformen: Das Volk solle nicht erwarten, die angesammelten Probleme der achtjährigen Präsidentschaft seines Vorgängers Ahmadinedschad binnen Tagen oder Monaten zu lösen.
Die iranische Wirtschaft wird von internationalen Sanktionen am Boden gehalten. Während der Iran immer beteuerte, sein Atomprogramm nur für die zivile Stromgewinnung nutzen zu wollen, hatten die USA und Europa den Verdacht, der Staat strebe nach Nuklearwaffen, und beschlossen ebenso wie die Vereinten Nationen harte Restriktionen. Die EU hat 2012 den Import von iranischem Öl und Erdgas verboten. Die USA haben seit einem Sturm auf die US-Botschaft 1980 fast alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Land abgebrochen. In der Folge befindet sich die iranische Währung Rial im freien Fall. Dem Auswärtigen Amt zufolge lag die Inflation im vergangenen Jahr bei rund 30 Prozent. Markus Potzel, Referatsleiter Nahost, schätzt, die Erdöleinkünfte seien um die Hälfte zurückgegangen, jeder dritte Iraner sei arbeitslos.
Dass Ruhani prinzipiell bereit ist, zugunsten einer stabilen Wirtschaft das iranische Atomprogramm zu opfern, hat er bereits 2003 unter Beweis gestellt. Unter dem damaligen Präsidenten Mohammed Chatami war Ruhani Chefunterhändler mit der internationalen Atomenergiebehörde IAEO. Unter seiner Regie erklärte sich der Iran damals bereit, die Urananreicherung zu stoppen. In einem Gastbeitrag für das „Time“-Magazin 2006 verurteilte Ruhani deutlich jedes Streben nach einer Atomwaffe: „Ein mit nuklearen Waffen ausgerüsteter Iran würde die Region destabilisieren, ein Wettrüsten provozieren und die spärlichen Ressourcen verschwenden.“
Unklar ist, ob Ruhani sich mit seinen Positionen im Iran durchsetzen kann. „Gerade dass er kein Reformer ist, birgt Chancen“, erklärt Henner Fürtig, Direktor des Giga-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Ruhani habe das Vertrauen des Revolutionsführers Ayatollah Ali Chamenei, dem die größte Fraktion im Parlament, die „Prinzipientreuen“, bedingungslos gehorchten. Das gebe ihm die Chance, sanfte Veränderungen einzuleiten. Fürtig rechnet mit einer Stiländerung in der iranischen Politik: Innenpolitisch werde Ruhani im Vergleich zu Ahmadinedschad wohl stärker auf Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte setzen, Posten eher nach Kompetenz und weniger nach Loyalität besetzen. Auch antisemitische Tiraden, wie man sie von Ahmadinedschad kennt, seien von Ruhani nicht zu erwarten. „Form und Stil werden sich ändern, die Inhalte weniger“, sagt Fürtig. Aus dem Auswärtigen Amt hingegen ist die Hoffnung zu vernehmen, dass es unter Ruhani „endlich wieder substanzielle Dialoge“ mit dem Iran in der Frage nach dessen Nuklearprogramm, aber auch zu anderen außenpolitischen Fragen geben wird. So könnte der Iran etwa in der Frage der Syrienkrise eine Schlüsselrolle in der Region spielen.
Fest steht, dass auch von Ruhani keine Umwälzungen im iranischen System zu erwarten sind. Zwar gilt er als bestens vernetzt. Er war Vize-Parlamentssprecher und saß im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in so gut wie jedem wichtigen Gremium des Irans. Doch er ist auch ein Präsident von Gnaden des mächtigen Wächterrats, der von ursprünglich 686 Kandidaten letztlich nur sechs zur Wahl zuließ. Immerhin wurde Ruhanis Wahl, anders als 2009, akzeptiert. Die Reformer von damals, Mir Housain Mussawi und Mehdi Karubi, stehen immer noch unter Hausarrest. Ein Indiz dafür, dass zumindest das iranische Establishment von Ruhani keine Revolution erwartet. Insgesamt aber, so sieht man es im Auswärtigen Amt, ist er für Europa „der beste der am Ende verbliebenen sechs Kandidaten“.
Sidney Gennies, Ruth Eisenreich