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Tief im Osten. Die Jahresauftakt-Klausur des Grünen-Vorstand fand wohl nicht zufällig in Frankfurt (Oder) statt. Im Herbst wird in Brandenburg gewählt.
© Patrick Pleul/dpa

Landtagswahlen 2019: Hält der grüne "Aufschwung Ost"?

Die Grünen befinden sich im Aufwärtstrend. Der hat nun auch Ostdeutschland erreicht. Nur eine Momentaufnahme oder ein dauerhafter Stimmungswechsel?

Bei der Bundestagswahl 2017 landeten die Grünen mit 8,9 Prozent als kleinste von sechs Parteien im Parlament, doch nun befinden sie sich seit Monaten im Höhenflug. In den Umfragen haben sie mittlerweile die SPD abgehängt, bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen erzielten sie Rekordergebnisse. Doch die Bewährungsprobe steht in diesem Herbst bevor, wenn die drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen anstehen. Auch hier geht es aktuell in Umfragen bergauf. Die Wahlkampfstrategie für den Osten ist eines der zentralen Themen bei der Jahresauftaktklausur des Grünen-Bundesvorstands in Frankfurt (Oder).

Wie stehen die Grünen im Osten da?

Deutschland war für die Grünen immer ein zweigeteiltes Land. In Teilen Westdeutschlands stiegen sie in den letzten Jahren zur Volkspartei auf. Seit 2011 stellen die Grünen in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten, seit 2016 sind sie im Südwesten sogar stärkste politische Kraft. Im Osten mussten sie hingegen regelmäßig wegen der Fünf-Prozent-Hürde zittern. Bei der letzten Bundestagswahl kamen sie in allen ostdeutschen Ländern – mit Ausnahme von Brandenburg – nicht über fünf Prozent. In Mecklenburg-Vorpommern flogen sie 2016 aus dem Landtag. Doch seit Kurzem ist eine Trendwende zu erkennen. In Brandenburg und Thüringen kamen die Grünen in Umfragen zuletzt mit zwölf Prozent auf zweistellige Werte. Ein deutliches Plus im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2014, wo sie mit 6,2 beziehungsweise 5,7 Prozent in den Landtag eingezogen waren. In Sachsen lagen sie zuletzt bei neun Prozent gegenüber 5,7 Prozent bei der letzten Wahl.

Woher kommt die momentane Stärke der Partei?

Im Osten profitieren die Grünen auch von der bundesweiten Stimmung. Das Hoch hat mehrere Gründe. So hat es sich für die Grünen ausgezahlt, dass sie nach der letzten Bundestagswahl bereit waren, Verantwortung zu übernehmen – auch in einer ungewöhnlichen Konstellation wie Jamaika mit Union und FDP. In den Verhandlungen machten sie deutlich, dass sie auch schmerzhafte Kompromisse eingegangen wären. Gleichzeitig kämpften sie vehement für zentrale Forderungen wie den Kohleausstieg, sodass wieder deutlich wurde, wofür die Partei steht.

Natürlich profitieren die Grünen auch von der Schwäche der anderen Parteien, insbesondere der SPD. Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben gezeigt, dass sie auch in der Lage sind, CSU und CDU Wähler abspenstig zu machen. Das liegt nicht zuletzt an den beiden neuen Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck, die seit knapp einem Jahr im Amt sind. Sie wirken unverbrauchter als das Spitzenpersonal anderer Parteien, haben eine andere Sprache und einen anderen Politikstil etabliert. Das kommt offenbar auch im Osten an.

Erfolgreiches Duo. Die Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock kommen bislang gut an.
Erfolgreiches Duo. Die Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock kommen bislang gut an.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Kann der grüne „Aufschwung Ost“ von Dauer sein?

Umfragen sind noch lange keine Wahlergebnisse, darauf weisen Grünen-Politiker immer wieder hin. Doch führende Grüne wittern jetzt die Chance, im Osten auch abseits städtischer Hochburgen einen Fuß in die Tür zu bekommen. Aufmerksam haben sie eine aktuelle Befragung zur Kenntnis genommen. In einem Meinungsbarometer der „Leipziger Volkszeitung“ gab fast jeder fünfte Befragte an, dass die Grünen ihm inhaltlich am nächsten stünden. Keine andere Partei erreichte im Osten höhere Werte.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die Grünen im Osten immer noch eine strukturelle Schwäche haben. Von den 75000 Mitgliedern sind weniger als zehn Prozent in Ostdeutschland aktiv. Wenn in Brandenburg Wahlkämpfe anstehen, kommen deshalb schon mal Unterstützer aus Berlin, um beim Plakatekleben zu helfen. Für diesen Sommer ruft der Bundesverband der Grünen zum „Wahlkampfurlaub“ im Osten auf. Doch auch wenn die Grünen zwischen Ostsee und Thüringer Wald noch nicht so stark verankert sind wie im Westen, verändert sich auch hier etwas. Bundesweit haben die Grünen im letzten Jahr 10000 neue Mitglieder gewonnen. Überproportional hoch war der Zuwachs im Osten.

Grüne sind in den Kommunen verwurzelt

Das liegt auch daran, dass die Grünen mittlerweile in den Kommunen Wurzeln schlagen. So wurde etwa in Greifswald 2015 erstmals in Ostdeutschland ein Grüner zum Oberbürgermeister gewählt, in Frankfurt (Oder) gibt es seit 2017 einen grünen Baudezernenten. Wahlergebnisse wie in Baden-Württemberg, Bayern oder zuletzt Hessen sind auch deshalb möglich geworden, weil die Grünen hier seit Jahrzehnten in den Kommunen als gestaltende Kraft wahrnehmbar sind. Je mehr das nun auch im Osten passiert, desto stärker kann die Verankerung werden.

Den Grünen kommt außerdem zunehmend Verantwortung als möglicher Regierungspartner zu. In Thüringen würde die Partei gerne die rot-rot-grüne Koalition fortsetzen. In Sachsen-Anhalt waren die Grünen nach der letzten Wahl als Partner von CDU und SPD gefragt, um eine Mehrheit jenseits der AfD bilden zu können. Auch diese Rolle könnten sie nach den drei Wahlen im Herbst spielen.

Warum waren die Grünen bisher so schwach im Osten?

Dafür gibt es viele Erklärungsversuche. Zum einen liegt es daran, dass seit der Wende ein Teil der potenziellen Wähler – vor allem jüngere, gut gebildete Frauen – in den Westen gezogen sind. Auch sind im Osten weniger Wechselwähler von der SPD zu holen. Die Grünen wurden außerdem in erster Linie als Ökopartei wahrgenommen und besetzen damit ein Thema, das gerade in strukturschwachen Regionen nicht unbedingt dominant war. Nach dem Hitzesommer könnte sich zum einen die Wahrnehmung für dieses Thema geändert haben.

Mit welchen Themen wollen die Grünen im Osten punkten?

Im Zentrum soll der gesellschaftliche Zusammenhalt stehen. Dazu gehören die Lebensverhältnisse auf dem Land. „Wie überwinden wir es, dass Menschen in bestimmten Regionen abgehängt sind?“, ist eine der Fragen, die Grünen-Chef Habeck aufwirft. Das fängt bei Bus- und Bahnverbindungen an und geht bis zum Pflegepersonal und der Hebammenversorgung. Aber auch soziale Ungleichheiten will die Grünen-Führung stärker thematisieren. Eine konkretes Beispiel brachte Habeck zum Jahresanfang: Er regte eine Art staatliches „Wagniskapital“ in Höhe von 25000 Euro für junge Unternehmer an. Für Erben im Westen möge das kein großes Angebot sein, sagte Habeck. Aber in Ostdeutschland, wo keine großen Vermögen vererbt würden, sei das anders – und damit ein Schritt zu „mehr Chancengleichheit“.

Wie reagieren die anderen Parteien?

Mit den Umfrageergebnissen der Grünen steigt auch der politische Druck auf die Partei. Vor allem die AfD schießt sich immer stärker auf die Ökopartei ein und baut so ein linkes Feindbild auf. Georg Pazderski, AfD-Bundesvorstand und Berlin-Chef, verfasste unlängst eine 13-seitige Streitschrift, wie man die Grünen „angreifen“ müsse. Diese seien ein „Elitenprojekt für lautstarke und betuchte Minderheiten“ und würden eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, heißt es darin. Auch auf dem AfD-Landesparteitag in Brandenburg am Wochenende machten AfD-Chef Alexander Gauland und Landeschef Andreas Kalbitz Stimmung gegen die Grünen. Damit stehen die Rechtspopulisten längst nicht mehr alleine da. FDP-Chef Christian Lindner teilte beim Dreikönigstreffen auffällig häufig gegen die Grünen und ihren Vorsitzenden Habeck aus. Selbst in der Union betrachtet man die Ökopartei inzwischen als „politischen Hauptgegner“, wie CSU-Generalsekretär Markus Blume in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte. Er wirft den Grünen vor, Politik durch populistische Angstmacherei zu betreiben und damit die Gesellschaft zu spalten.

Kann es bundesweit mit den Grünen auch wieder bergab gehen?

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 erlebten die Grünen einen vergleichbaren Höhenflug, doch danach ging es auch wieder bergab. Schon bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin im September 2011 musste Renate Künast feststellen, dass es nicht für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin reichte. Manche Grünen weisen allerdings auch darauf hin, dass die aktuellen Grünen-Werte – anders als nach dem Fukushima-Schock – „selbst erarbeitet“ und somit stabiler seien.

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