Klausur zum Jahresauftakt: Die Grünen wollen mehr Europa
In Frankfurt (Oder) trifft sich Anfang kommender Woche der Bundesvorstand der Grünen. Dabei soll es auch um die Europawahlen im Mai gehen.
Der Ort ist mit Bedacht gewählt: Die Grünen beginnen das politische Jahr 2019 mit einer Klausurtagung in Frankfurt (Oder). Im Mai 2004 gehörte die heutige Grünen-Chefin Annalena Baerbock zu den Menschen, die auf der Oder-Brücke, die Frankfurt mit dem polnischen Slubice verbindet, die Ost-Erweiterung der Europäischen Union feierten. 15 Jahre später ist von der damaligen Euphorie nicht mehr allzu viel zu spüren. Doch bis zur Europawahl im Mai dieses Jahres wollen die Grünen wieder mehr Begeisterung für die Gemeinschaft und ein weiteres Zusammenwachsen Europas wecken.
Bei der Europawahl 2014 holten die Grünen 10,7 Prozent
Bei der letzten Wahl im Jahr 2014 holten die Grünen 10,7 Prozent und schickten elf Abgeordnete ins Europaparlament. Die Partei, die sich immer als die Europapartei verstanden hat, konnte in der Vergangenheit ihre Anhänger oft besser mobilisieren als andere Parteien. Dieses Mal wollen sie ihr Ergebnis weiter steigern – angesichts der aktuellen Umfragewerte dürfte das ein realistisches Ziel sein.
Bei der bevorstehenden Wahl sehen die Grünen sich allerdings stärker als je zuvor gefordert – auch weil die Europagegner dieses Mal stärker zu mobilisieren versuchen. Für „Arroganz und Selbstgewissheit“ sei kein Raum, heißt es deshalb in der Europa-Erklärung, die der Bundesvorstand verabschieden will und die dem Tagesspiegel vorliegt. Ein zweiter Schwerpunkt bei der Klausur Anfang nächster Woche werden die drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sein.
Keine Rückkehr zum Nationalstaat
In ihrem Europa-Papier benennen die Grünen offen die Probleme: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte verliere die Europäische Union mit Großbritannien ein Mitgliedsland. Außerdem ließen soziale und ökonomische Ungleichgewichte die Lebensverhältnisse der Menschen weit auseinanderdriften, heißt es weiter. Verlust- und Abstiegsängste, Enttäuschungen, der Mangel an Anerkennung sowie Zweifel daran, dass der Staat im Interesse aller und nicht nur im Interesse mächtiger Lobbys handele, „bieten dem Populismus und Nationalismus einen Nährboden“.
Die Antwort auf die Krise kann für die Grünen aber nicht in der Rückkehr zum Nationalstaat liegen, wie ihn rechtspopulistische Kräften in ganz Europa beschwören. „Frieden, Sicherheit und Wohlstand gibt es nicht im Nationalen“, heißt es in der Erklärung. Und weiter: „Ein Europa, in dem nationale Grenzen wieder hochgezogen werden, würde gemeinsame Lebensräume trennen, Pendler im Stau stehen lassen und den Verkehr von Waren unterbinden.“ Das wäre „nicht nur für die Menschen in den Grenzregionen, sondern für ganz Europa fatal“.
Die Grünen wollen den Rechtsstaat in Europa verteidigen
Zum Jahresbeginn setzen die Grünen klar auf eine Botschaft: die Verteidigung des Rechtsstaats in Europa. In Polen und Ungarn, aber auch in Italien und Österreich würden Demokratie und Meinungsfreiheit immer stärker von den eigenen Regierungen angegriffen, kritisieren sie. Doch der Rechtsstaat, um den in den vergangenen Jahrzehnten gerade in Osteuropa so hart gerungen worden sei, dürfe nicht wieder aufgegeben werden. „Ohne einen liberalen Rechtsstaat keine Demokratie.“ Einen kleinen Seitenhieb verpassen die Grünen den Politikern in den Reihen der CDU, die fordern, Klagerechte von Umweltverbänden einzuschränken.
Besserer Schutz für Whistleblower
Um die Rechtsstaatlichkeit in Europa wieder zu stärken, schlagen die Grünen konkrete Instrumente vor: So soll den Regierungen, die Rechtsstaatsprinzipien verletzen, die Verfügung über EU-Gelder entzogen werden. Die Kommission soll diese künftig direkt an Kommunen oder andere Fördermittelempfänger auszahlen. Wer Fördergelder erhalten will, muss außerdem bereit sein, sich einer Kontrolle über die rechtmäßige Verwendung zu unterziehen, und dafür mit der Europäischen Staatsanwaltschaft kooperieren. Außerdem verlangen die Grünen einen besseren Schutz von Whistleblowern und ein verbindliches Lobbyregister für alle EU-Institutionen.
Einige dieser Forderungen finden sich bereits im Europawahlprogramm – aber Klausuren dienen ja immer auch der Selbstvergewisserung. Wenn es nach dem neu gewählten Frankfurter Oberbürgermeister René Wilke geht, haben die Grünen jedenfalls den Ort der Tagung passend gewählt: Bei seinem Amtsantritt im vergangenen Sommer bezeichnete der Linken-Politiker, der bei seiner Kandidatur von den Grünen unterstützt wurde, die Nachbarstädte an der Oder Frankfurt und Slubice als „Leuchtfeuer der Hoffnung für die europäische Idee“. Seine Stadt will er zum „Ort der europäischen Debatte“ machen. Und über die Oder würde Wilke gerne eine zweite Brücke bauen, um die Verbindung nach Slubice weiter zu festigen.